Jüdische Gemeinde fordert Rückgabe der Poolstraßen-Synagoge

Stand: 19.02.2024 14:23 Uhr

Neben der jüdischen Gemeinde gibt es noch eine zweite Gemeinde in Hamburg: die liberale jüdische Gemeinde. Sie fordert nun von der Stadt ein eigenes Gotteshaus - auf historischem Boden.

von Peter Helling

Es ist ein echter Schatz in einem Hinterhof in der Hamburger Neustadt. "Der Neue Tempel in der Poolstraße ist ein Ort, der für uns liberale Juden und Jüdinnen wichtig ist, weil er die Keimzelle für das liberale Judentum weltweit ist", sagt Eike Steinig, Vorstandsmitglied der liberalen jüdischen Gemeinde, des sogenannten Israelitischen Tempelverbands. Er zeigt auf den alten, hell getünchten Steinbogen. "Wir haben hier zum Beispiel das Tor, durch den zum ersten Mal Männer und Frauen zusammen in eine Synagoge gegangen sind, das war ein Novum damals!"

Die Wiege des liberalen Judentums weltweit

Der Innenraum der früheren Synagoge in der Hamburger Poolstraße. © NDR
So sah der Innenraum der Synagoge an der Poolstraße früher aus.

Ein Novum, das weltweit Nachahmer fand. Es war ein einzigartiger Ort mit 200 Jahre alter Tradition. Hier liegt die Wiege des liberalen Judentums weltweit, auf das sich heute mehrere Millionen Menschen berufen, besonders in den USA: mit Orgel, Chorgesang und Gleichbehandlung von Männern und Frauen.

1937 musste die liberale jüdische Gemeinde das Gebäude unter Wert verkaufen, 1944 wurde es durch eine Fliegerbombe zerstört. Inzwischen hat die Stadt das Gelände erworben und gesichert. "Ich möchte es natürlich aus dieser Hinterhof-Situation, die absolut unwürdig ist für diesen so historisch wichtigen Ort, herausholen, und dazu braucht es einen breiten Konsens. Und den wollen wir anstreben", sagt Finanzsenator Andreas Dressel.

Liberale jüdische Gemeinde sieht sich als rechtmäßige Besitzerin des Geländes

Konsens herrscht gerade aber keiner. Eike Steinig sieht seine Gemeinde als rechtmäßige Besitzerin des Geländes. Die fordert es jetzt zurück und möchte das Gebäude wiedererrichten. "Wir vermissen einfach die Verantwortung auch der Politik unserer Gemeinde gegenüber", sagt er. "Da gibt es auch gesetzliche Rahmen, da gibt es auch Gerichtsurteile, die uns auch bestärken und sagen: Hier muss eine gleichwertige Förderung und Behandlung stattfinden."

Liegt das Ewige Licht unter dem Schutt?

Eike Steinig berührt den Eingangsbogen mit der Hand, bevor er durchgeht. Über ihm: die ehemalige Orgelempore, dann der trübe Himmel, links und rechts niedrige Backsteingebäude aus der Nachkriegszeit. Hier war mal eine Autowerkstatt. Rostige Stäbe, Graffiti, schmutziger Beton. Viel ist nicht geblieben von der alten Pracht. Eike Steinigs Augen leuchten trotzdem. "Wir müssen uns einfach vorstellen, wie erhaben dieser Raum war, in seiner Größe für über 500 Menschen. Mit Kerzenschein und Kronleuchtern, mit Orgelempore", sagt er.

Am anderen Ende war der heiligste Ort, wo die Thorarollen aufbewahrt wurden. Jetzt ist dieser Teil mit Folie abgehängt. Dahinter erkennt man alte Ornamente, Blütenranken. In der Wölbung hängt noch ein rostiger Haken. "An dieser Stelle hing das Ewige Licht dieser Synagoge. Es kann sein, dass es seit dem Bombentreffer eventuell unter dem Schutt liegt. Das wäre eine Sensation", so Eike Steinig.

Noch viel juristische Klärung in den kommenden Jahren nötig

Andreas Dressel und Eike Steinig schütteln sich die Hand. Viel werde juristisch zu klären sein in den kommenden Jahren, sagt der Finanzsenator. Zur Forderung der Gemeinde meint er: "Ich kann das subjektiv verstehen, und trotzdem sind wir in einem Rechtsstaat, der das auch sauber klären muss. Es dauert so lange, wie es dauert."

Geschichte dieses Ortes soll wieder lebendig werden

Eike Steinig hat eine Mappe mit Bauplänen geöffnet. Seine Gemeinde hat eine Machbarkeitsstudie durch ein renommiertes Architekturbüro in Auftrag gegeben. Das Ziel: Dass in diese brüchigen Ruinen wieder Leben kommt, mit einem Café, einer Bibliothek, als Treffpunkt für alle, nicht nur für Juden und Jüdinnen. Aber eben auch: eine Synagoge auf traditionsreichem Boden. "Es ist ein fantastischer Ort, es kann wirklich wieder zum Leuchtturm des liberalen Judentums in Hamburg werden, den wir gemeinsam aber erlebbar machen müssen." Die Geschichte dieses Ortes soll wieder lebendig werden, soweit sind sich Stadt und Gemeinde einig. Eine große Vision an einem einzigartigen Ort - mit vielen offenen Fragen.

Das Gelände in der Poolstraße ist derzeit nicht öffentlich zugänglich, soll aber laut Senat demnächst schon von außen sichtbar werden und beim Tag des Offenen Denkmals am 8. September besuchbar.

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