Historiker: Attentat-Bilder machen Trump zum "unbesiegbaren Helden"
Instinktiv reckt Donald Trump unmittelbar nach dem Anschlag blutverschmiert die Faust in den Himmel. Es ist ein Bild, das einen Siegeszug durch die Weltgeschichte antreten wird, so der Historiker Gerhard Paul.
Die Fotos, die nach dem Mordanschlag auf Donald Trump um die Welt gingen, zeigen den inzwischen bestätigten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Ex-US-Präsidenten als Helden. Als einen, der sich nicht unterkriegen lässt. Das wird sich auch auf den Wahlkampf und die Wahl selbst auswirken, wie Professor Gerhard Paul im Interview mit NDR Kultur sagt. Er war Professor an der Universität in Flensburg. Die sogenannte Visual History ist sein Forschungsfeld. Dabei dienen Bilder als Quellen für die Analyse von historischen Ereignissen.
Herr Professor Paul, was macht dieses Foto so besonders?
Prof. Gerhard Paul: Es ist ein ikonisches Foto. Da muss man kein Spezialist sein, um das sofort zu erkennen. Das ist der Bildaufbau. Das ist Trump als Held im Vordergrund, der diese Geste macht, die geballte Faust in den blauen Himmel reckt, leicht blutverschmiert. Vor allem aber ist da die amerikanische Fahne im Hintergrund. Er wird von mehreren Personenschützern, darunter auch eine Frau, geschützt, die sich um ihn herum scharen. Das ist ein starkes Bild, das auch an viele historische Vorbilder erinnert. Man muss nur sagen: Es gibt ja Dutzende von Bildern, und zwar von derselben Situation, die im Augenblick um die Welt gehen. Das beschriebene Bild wird sich nun wahrscheinlich allein durch den Beschnitt und die Auswahl am stärksten in der Erinnerung eingraben.
Was erzählt dieses Bild?
Paul: Das Bild erzählt von einem Helden der amerikanischen Geschichte, der sich nicht unterkriegen lässt. Es kann passieren, was will, sogar ein Attentat. Er steht im Mittelpunkt unter der amerikanischen Fahne, die diese ganze Szene beglaubigt und glorifiziert. Es ist ein Bild, das eine ungeheure Aura ausstrahlt. Die Aura des unbesiegbaren Helden. Bilder dieser Art hat es in der amerikanischen Geschichte immer wieder gegeben.
Welche Bilder fallen Ihnen da sofort ein?
Paul: Das berühmte Foto von Joe Rosenthal vom Februar 1945, die Flaggenhissung auf Iwo Jima auf der Pazifikinsel. Das ist praktisch die patriotische Ikone der amerikanischen Geschichte. Wobei es einen kleinen Unterschied gibt zu dem Bild von Trump. Das Iwo Jima-Bild ist ein inszeniertes. Es gibt einen wunderbaren Film von Clint Eastwood über dieses Bild. Da haben amerikanische Soldaten eine umkämpfte Insel erobert, sind auf einen Berg geklettert, haben die Fahne gehisst. Aber die Fahnenhissung entsprach so gar nicht den Wünschen der Propagandisten. Die mussten dann unter großen Verlusten zum zweiten Mal den Berg erklimmen und die Fahne hissen, damit sie richtig im Bild saß. Das ist ein Bild, das jeder Amerikaner, jede Amerikanerin kennt, durch Plakate, durch Briefmarken. Es gibt sogar ein Museum, das dieses Bild reinszeniert hat. Und es ist dann praktisch wieder Bezug auf dieses Bild mit der amerikanischen Flagge genommen worden - und zwar zu 9/11. Da hat es auch einen Fotografen gegeben, der die Hissung der amerikanischen Fahne auf Ground Zero fotografiert hat. Auch daran erinnert dieses Bild.
Nun können wir bei diesem Bild nicht davon ausgehen, dass es in irgendeiner Weise inszeniert ist. Trump war in akuter Lebensgefahr. Können Sie sich trotzdem vorstellen, dass er in dem Moment gedacht hat: "Jetzt recke ich mal die Faust, es könnte schließlich ein Bild geben"?
Paul: Ich glaube, das war instinktiv. Aber er ist eben auch Medienprofi. Er hat in diesem Augenblick instinktiv das Richtige gemacht. Er hat sich in Positur gesetzt, er lag ja zunächst auf dem Boden. Er ist dann wieder aufgestanden. Er hat sich in Szene gesetzt, hat die Faust geballt und auch den Zuschauern etwas zugerufen. Das ist ein Instinkt gewesen. Das kann man nicht planen.
Und sicherlich auch der Instinkt des Fotografen Evan Vucci. Der hat immerhin schon einen Pulitzer-Preis gewonnen.
Paul: Ja, der Fotograf hat von der Szene Dutzende Aufnahmen gemacht. Das eine aber ist das Bild, das auch kunsthistorisch am prägnantesten aufgebaut ist. An den anderen Bildern ist die Gruppe um Trump herum nicht deutlich zu erkennen. Oder die Personenschützer haben ihn bereits auf den Boden geworfen, um ihn zu schützen. Dieser Fotograf weiß auch, wie man solche Sachen verkauft. Er hat das richtige Bild ausgewählt. Er hat es gleich beschnitten und hat damit den Weg frei gemacht, damit dieses Bild den Siegeszug durch die amerikanische Geschichte und wahrscheinlich auch durch die Weltgeschichte antreten kann.
Jetzt leben wir in einem Zeitalter der Bilder, im Zeitalter von Social Media. Inwieweit ist das auch noch mal ein Unterschied zu den früheren Bildern, die sie vorhin angesprochen haben?
Paul: Die früheren Bilder haben immer nur eine begrenzte Reichweite gehabt. Fernsehen gab es 1945 in den Anfängen in den USA. Die Bilder sind, wie gesagt, durch die Presse bekannt geworden, dann später durch Filmplakate oder Briefmarken. Das ist immer nur begrenzt gewesen. Und es ist vor allen Dingen immer zeitversetzt gewesen. Jetzt gehen die Bilder praktisch in Echtzeit um den Erdball. Durch Social Media ist der Verbreitungsgrad regelrecht potenziert worden. Sie treffen uns in unserem unmittelbaren Lebenszusammenhang - egal, wo wir sind. Das ist ein Unterschied. Die Betrachter werden viel stärker, viel näher, viel emotionalisierter an ein Bild herangeführt als die zeitversetzten Bilder von Plakaten oder aus der Presse.
Viele nehmen nun an, dass das Attentat dem Wahlkampf eine neue Richtung geben könnte. Welche Rolle könnte ein solches Bild dabei spielen?
Paul: Wenn die Republikaner nicht dumm sind - und ich halte sie nicht für dumm, sie sind ganz gewiefte Propagandisten -, dann werden sie das Bild in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellen. Ich würde sogar noch weitergehen. Ich würde sagen, dieses Bild ist der Todesschuss für Joe Biden. Da kommt er nicht mehr mit. Trump hat sich hier unbewusst als Held der amerikanischen Geschichte inszeniert, als einer, der in schwersten Zeiten seinen Mann steht. Da kommt kein anderes Bild und da kommt keine andere Person mehr ran.
Das Interview führt Franziska von Busse.