Luna Ali © privat

Heimkehr nach 14 Jahren: Autorin Ali über ihre bewegende Syrien-Reise

Stand: 20.03.2025 16:50 Uhr

Der 15. März ist der Jahrestag der Syrischen Revolution - 2011 begannen die Proteste gegen Staatspräsident Baschar al-Assad, der im vergangenen Dezember gestürzt wurde. Die Autorin Luna Ali war erstmals seit 14 Jahren wieder in ihrer Heimat.

Luna Ali © privat
Beitrag anhören 7 Min

Die Schriftstellerin ("Da waren die Tage"), die in Hildesheim Kulturwissenschaften studiert hat und in Berlin lebt, war unter anderem in Damaskus und Aleppo unterwegs.

Frau Ali, nach Ihrer Ankunft haben Sie wahrscheinlich eine Nacht drüber geschlafen. Wie geht es Ihnen heute?

Luna Ali: Mir geht es ganz gut. Es fühlt sich noch ein bisschen surreal an, wieder zu Hause zu sein in meinem Zimmer. Ich bin sehr müde.

Was war das für ein Gefühl, das erste Mal nach 14 Jahren wieder nach Syrien zu kommen?

Buchcover: Luna Ali - Da waren Tage © S. Fischer Verlag
"Da waren Tage" ist bei S. Fischer erschienen und kostet 24 Euro.

Ali: Es war einerseits eine tiefe Ruhe, die ich so vorher nicht gespürt und auch nicht erwartet hatte, weil wir sehr aufgeregt waren in Bezug auf die Grenze, ob es irgendwelche Probleme geben könnte. Auch sich quasi in die Hände eines Fahrers zu begeben, den man nicht persönlich kennt und so weiter. Es war sehr viel Aufregung und Angst damit verbunden. Als wir in Damaskus angekommen sind - ich bin mit meiner Mutter gereist -, war es einerseits eine tiefe Ruhe, aber es hat sich gleichzeitig sehr surreal angefühlt, dass wir tatsächlich vor Ort waren.

Was hat diese Ruhe in Ihnen ausgelöst?

Ali: Ich kann es gar nicht so genau beschreiben. Um ehrlich zu sein, weiß ich es selber noch nicht ganz genau, was diese Ruhe erzeugt hat. Vielleicht, dass wir es tatsächlich geschafft haben, anzukommen. Dass das, was wir lange Zeit für unmöglich gehalten haben, doch möglich ist und dass wir in Damaskus saßen und gesehen haben, dass all diese Menschen noch da sind.

Was ist Ihnen in Damaskus aufgefallen?

Ali: Wir sind in Damaskus in dem Viertel Bāb Tūmā gewesen, das ist ein eher christliches und touristisches Viertel. Es ist ziemlich unberührt geblieben vom Krieg. Man sieht kaum bis gar keine Zerstörung. Das war quasi der erste Moment des Ankommens, und wir haben gemerkt: Hier leben Menschen nach wie vor und meistern das Leben, auch mit den ganzen Schwierigkeiten, die es gibt: wenig bis gar kein Strom, es gibt kein Trinkwasser. Zu sehen, dass trotz dieser ganzen Widerstände die Menschen ihr Leben fortgeführt haben, war ein Gefühl, das ich nicht genau beschreiben kann, weil man von außen immer nur die allerschlimmsten Nachrichten hört.

Weitere Informationen
Der NDR Reporter Sulaiman Tadmory liest in einer Akte. © Screenshot
ARD Mediathek

Geheime Akten: Was geschah in syrischen Folterkellern?

Zehn Jahre lang war es für NDR Reporter Sulaiman Tadmory undenkbar, in seine Heimat Syrien zurückzukehren. Doch nach dem Sturz von Diktator Assad war für ihn klar: Er muss zurück - und berichten. Dort stößt er auf Spuren eines brutalen Folterapparates. Video

Das heißt, Sie hatten im Vorfeld eine etwas andere Erwartungshaltung?

Ali: Wir waren einerseits in Damaskus und andererseits in Aleppo. In Aleppo wurden unsere Erwartung in der Hinsicht leider erfüllt. Die Erwartung ist natürlich, dass es sehr gefährlich ist, vor allem für uns. In Aleppo war es für nicht möglich, einfach so alleine durch die Straßen zu laufen - das war in Damaskus sehr wohl möglich, vor allem da, wo wir uns aufgehalten haben, im Stadtkern. Sobald man weiter nach außen geht, wird es wiederum schwierig

In diesem Monat ist es im Westen des Landes wieder zu heftigen Kämpfen gekommen zwischen den Regierungstruppen und den Anhängern des gestürzten Machthabers Assad. Wie kann man sich das Reisen in diesem Land vorstellen? Kommt es sehr auf die Region oder den Ort an?

Ali: Es kommt total auf den Ort an. Wir sind einerseits nach Aleppo gefahren, andererseits nach Suweida, was im Süden ist. An die Küstenregionen haben wir uns überhaupt nicht getraut, auch nicht nach Homs oder Hama. Das Reisen an sich ist in bestimmten Gebieten möglich; zwischen Damaskus und Aleppo ist es mit dem Bus möglich. Am besten tagsüber - nachts gibt es durchaus die Gefahr, dass die Busse angegriffen werden. Genauso nach Suweida: Tagsüber ist es an sich kein Problem, aber nachts kann es zu Raubüberfällen kommen oder im schlimmsten Fall zu Entführungen. Das sind die täglichen Probleme, die den Menschen dort gerade widerfahren. Und andererseits kommt es auch total darauf an, wer man ist. Wir mit unserem deutschen Pass sind eventuell gesicherter als andere. Das, was in den letzten Wochen passiert ist, sind nicht nur Auseinandersetzungen zwischen den ehemaligen Regierungstruppen und der jetzigen Übergangsregierung, sondern es wurden Zivilistinnen und Zivilisten ermordet. Und das nicht nur von der Übergangsregierung, sondern auch von anderen Zivilistinnen und Zivilisten. Das heißt, es gibt durchaus die Gefahr eines internen Konflikts zwischen den Menschen, der nicht einfach so überbrückt werden kann.

Was waren denn ihre eindrücklichsten Begegnungen auf dieser Reise?

Ali: Es gab eine Geschichte, die wir von einem Schmuckverkäufer erzählt bekommen haben: Man musste zum Militärdienst, aber sein Cousin hat das die ganze Zeit aufgeschoben und hat auch sein Studium nicht beendet. Mit 30 wollte er dann heiraten, Kinder kriegen und sein Studium abschließen - aber dafür hätte er zum Militär gehen müssen. Er wollte aber nicht zum Militär, also hat er sich die Augen lasern lassen, und zwar zu minus zehn Dioptrien, damit er nicht zum Militärdienst muss.

Der Zeitpunkt dieser Reise war für Sie ein besonderer, denn der 15. März ist für Sie ein wichtiger Tag. In ihrem Debütroman "Da waren Tage" aus dem letzten Jahr geht es um einen gebürtigen Syrer, der in Hannover lebt, und jedes Jahr, am Jahrestag der Syrischen Revolution, holen ihn diese Ereignisse wieder ein. Wenn Sie das Buch weiterschreiben würden, was würden Sie - nach dieser Reise - für 2025 hinzufügen?

Ali: Für mich ist der Schreibprozess an sich ein Prozess des Verstehens. Beim Schreiben verstehe ich erst, um was es tatsächlich geht. Während des Schreibens denke ich über die Analyse der Zustände nach. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich es noch gar nicht sagen, ich bin so überwältigt von allem Erlebten. Diese eine Woche hat sich angefühlt wie ein ganzer Monat.

Das Gespräch führte Charlotte Oelschlegel.

Weitere Informationen
Der Oberarzt Mustafa Fahham. © Screenshot
2 Min

Bund fördert Klinikpartnerschaften mit Syrien

Mustafa Fahham ist Oberarzt am Klinikum Bremerhaven. In Berlin wirbt er für Partnerschaften mit seinem Herkunftsland. 2 Min

Der Infostand des Flüchtlingsrats Mecklenburg-Vorpommern. ©  Jens Büttner

Drängen Ausländerbehörden in MV Syrer zur Ausreise?

Der Flüchtlingsrat kritisiert Briefe-Aktion der Städte Rostock und Schwerin, in der Syrer auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hingewiesen werden. mehr

Ein Mann mit kurzen Haaren und Drei-Tage-Bart sitzt vor einem Computer und blickt in die Kamera. © NDR.de Foto: Ulrike Hummel

Online-Magazin "Qantara": Der andere Blick auf den Nahen Osten

Das Portal genießt bei Muslimen in Deutschland großes Vertrauen. Chefredakteur Jannis Hagmann setzt auf kritische Berichte. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 20.03.2025 | 14:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Nahaufnahme von Notenblättern mit lila und roter Beleuchtung. Darauf liegt der Schriftzug "CHOR MUSIK" in großen weißen und rosa Buchstaben. © NDR | istock/getty images

Chormusik - Klangwelten der Vokalmusik entdecken

Tallis Scholars bis Maybebop - Chormusik aus sechs Jahrhunderten von der Renaissance bis zur Gegenwart. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Alexej Gerassimez © Nikolaj Lund Foto: Nikolaj Lund

Festspielfrühling auf Rügen beginnt: Der Rhythmus gibt den Ton an

Der Schlagwerker Alexej Gerassimez ist in diesem Jahr künstlerischer Leiter des zehntägigen Kammermusikfestivals. mehr