Günther Wessel: "Wir brauchen eine Politik, die radikal vom Auto weg denkt"
Der Journalist und Schriftsteller Günther Wessel hat viele Jahre seines Lebens als leidenschaftlicher Autofahrer verbracht - und sich dann allmählich auf ein Leben ohne Auto eingestellt.
Im Feature "Ohne Auto leben?!" auf NDR Kultur erzählt Wessel, wie moderne Mobilität funktionieren kann. Dafür hat er sich auch Kopenhagen angesehen, eine Stadt, die sich schon vor einigen Jahren dazu entschlossen hat, den Autoverkehr aus ihrem inneren Bereich weitgehend auszuschließen. Ohne Auto leben - das ist nicht nur ein Entschluss, den Günther Wessel für sich gefunden hat, sondern es ist auch ein Politikum, zumal in Zeiten des Klimawandels.
Herr Wessel, Ihre Entscheidung, ohne Auto zu leben, liegt schon ein paar Jahre zurück. Sind Sie zwischenzeitlich mal rückfällig geworden?
Günther Wessel: Ich bin rückfällig geworden dahingehend, dass ich ab und zu mal Auto fahre. Ich habe 2018 mein letztes Auto weggegeben, habe aber nie darüber nachgedacht, mir wieder ein neues zu kaufen. Ich bin seither Mitglied eines Carsharing-Verbandes, habe dieses Carsharing etwa ein halbes Dutzend Mal genutzt, bewege mich in der Stadt eigentlich immer ohne Auto. Manchmal geht es aufs Land hinaus, dann braucht man ein Auto, weil man im ländlichen Brandenburg mit Öffis schlecht unterwegs ist.
Wie verändert sich das Leben, wenn man weiß: Ich habe kein Auto?
Wessel: Interessante Frage. Vielleicht plant man manche Dinge mehr. Vielleicht muss man manchmal ein bisschen genauer hingucken. Das macht es komplizierter. Ich muss halt mit Öffis unterwegs sein - das macht es manchmal schwieriger, und manchmal macht es das leichter, weil ich überhaupt nicht darüber nachdenke, dass ich jetzt eine Alternative hätte, nämlich das Auto, dass ich eventuell dann einen Parkplatz suchen müsste, wenn ich irgendwo ankomme. Das macht das Leben auf eine gewisse Art und Weise preiswerter, weil jedes Auto Unterhalt kostet, wahrscheinlich monatlich etwa 250 bis 300 Euro, wenn man alle Kosten wie Benzin, Anschaffung, Reparaturen und so weiter zusammenrechnet. So wird es billiger, und für mich macht es das Leben auf eine gewisse Art und Weise viel leichter, weil ich über bestimmte Sachen nicht mehr nachdenke. Ich fahre Fahrrad oder Öffis und komme damit gut durch mein Leben.
Das Auto ist in gewisser Weise auch ein Schutzraum, wenn man damit unterwegs ist. Wie geht es ohne Schutzraum? Hat es etwas verändert?
Wessel: Ja, ich glaube auch, dass das Auto deswegen manchmal sehr attraktiv ist. Es ist es nicht immer schön, in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein - aber es kann auch schön sein. Es kann schön sein, wenn man jemanden trifft, den oder die man anlächelt, wenn man mit Leuten ins Gespräch kommt, so ganz aus der Situation heraus. Wenn man merkt, dass das öffentliche Verkehrssystem in einer so großen Stadt wie Berlin gut funktioniert, mit so vielen unterschiedlichen Menschen, wie die miteinander umgehen. Das ist doch irgendwie ganz positiv. Man setzt sich mit den Mitmenschen mehr auseinander, und man hat deswegen mehr negative, aber auch mehr positive Erlebnisse. Daher diesen Schutzraum aufzugeben finde ich gar nicht so schlecht für mich.
Welche Maßnahmen würden Sie sich von politischer Seite wünschen, was die Verkehrspolitik angeht?
Wessel: Wir haben im Augenblick in Deutschland insgesamt 48 Millionen Autos. Ich muss es mal ganz brutal sagen: Ich glaube, man braucht als normaler Mensch in fast keiner Stadt eines. Es gibt bestimmte Jobs, da ist man auf Autos angewiesen - die dürfen auch gerne weiter fahren. Jeder andere sollte sich fragen, wie ehrlich er ist, wenn er sagt, er braucht unbedingt sein Auto. Wir brauchen eine Politik, die radikal vom Auto wegdenkt und andere Verkehrsmittel im Verhältnis bevorzugt. Wir haben jahrzehntelang die Autos bevorzugt und müssen das jetzt umdrehen. Wir brauchen Fahrradwege, wir brauchen besser ausgebauten öffentlichen Personen-Nahverkehr, und dann regelt sich sehr vieles. Man sieht es an jeder Ecke: Überall steht irgendeine Blechkiste herum und stört eigentlich.
Das Interview führte Philipp Schmid.