Gendergerechtigkeit im Musikbusiness: Wie kann die Branche fairer werden?
Lea Karwoth ist Projektmanagerin bei Keychange, einer Initiative, die sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen im Musikbusiness einsetzt. Im Interview spricht sie über weibliche Megastars, die die Pop-Welt dominieren.
Keychange ist ein globales Netzwerk, das sich für Gleichberechtigung im Musikbusiness und eine Neustrukturierung der Branche einsetzt. Das Netzwerk wird von einem EU-Programm unterstützt. Lea Karwoth gehört zum deutschen Team der Initiative.
Taylor Swift, Adele, Billie Eilish: Stehen diese Namen für einen Umbruch im Pop-Business?
Lea Karwoth: Ja, das kann man schon so sagen, weil viele der Genannten und auch weitere Künstlerinnen nicht nur wahnsinnig talentierte Musikerinnen sind, sondern auch sehr geschätzte, tüchtige und einflussreiche Persönlichkeiten. Taylor Swift hat sich sehr erfolgreich gegen ihre Vertragsbedingungen gewehrt, die Rechte an ihrer eigenen Musik zurückgewonnen und tritt damit sehr selbstbestimmt auf. Künstlerinnen wie Billie Eilish, die sich öffentlich zu psychischer Gesundheit äußern, können anderen Mut machen. Rihanna ist eine wahnsinnig erfolgreiche Geschäftsfrau. Ich würde sagen, dass die alle Vorbilder sind für die nächste Generation, was sehr wichtig ist. Mit Keychange wollen wir genau diesen Umbruch im Pop-Business fördern und dafür sorgen, dass Musikerinnen die gleichen Chancen haben wie männliche Kollegen.
Die Beyoncés und Adeles dieser Welt sind die Speerspitze: Die haben viel Macht, haben aber auch viel Sicherheit. Wie sieht es aus in der Breite? Lassen wir uns da ein bisschen blenden von diesen großen Namen? Wo stehen Frauen heute im Musikbusiness wirklich?
Karwoth: Die Realität in der Musikwelt sieht natürlich anders aus. Frauen in Führungspositionen in den großen Musikunternehmen sind noch deutlich unterrepräsentiert. Es gibt in der Musikbranche auch einen stärkeren Gender-Pay-Gap als im Durchschnitt aller Branchen. Frauen berichten immer wieder von Diskriminierung und Sexismus. Es gibt einige Musikgenres abseits des Popgeschäfts, zum Beispiel bei Heavy Metal, wo Frauen ganz stark unterrepräsentiert sind. Auch in Berufen wie zum Beispiel unter Musikproduzent*innen sind Frauen in der Minderzahl. Deshalb fördern und unterstützen wir mit Keychange gezielt Frauen und unterrepräsentierte Geschlechter in der Branche, indem wir ihnen eine Plattform bieten, sie miteinander vernetzen und mit ihnen gemeinsam Strategien entwickeln, wie die Branche fairer für alle werden kann.
Das betrifft also nicht nur die Künstlerinnen auf der Bühne, sondern Frauen sind in nahezu allen Berufsfeldern in der Musikbranche unterrepräsentiert, richtig?
Karwoth: Genau. Es gibt da bestimmte Berufsfelder, in denen das stärker ausgeprägt ist als in anderen. Man sieht das auch in anderen Branchen, dass zum Beispiel im Marketingbereich mehr Frauen sitzen, und in den Chefetagen wird es dann sehr dünn.
Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Bei Festivals werden zu 80 Prozent Männer im Line-Up gebucht. 85 Prozent der Musik in den deutschen Charts wird von Männern komponiert. Das bedeutet auch, dass Männer das Geld bekommen. Männer haben dadurch Macht und Einfluss. Wofür setzen sich Keychange konkret ein?
Karwoth: Mit Keychange erheben wir unter anderem genau solche Zahlen und machen auf dieses Ungleichgewicht aufmerksam. Denn Macht ist in der Musikbranche immer noch sehr ungleich verteilt. Wir wollen das ändern, indem wir Musikfestivals und Musikorganisationen dazu aufrufen, sich zu Quotenzielen zu verpflichten, in ihren Wirkungsbereichen auf mehr Geschlechtergerechtigkeit zu achten und den Wandel so zu beschleunigen. Außerdem fördern wir Talente gezielt mit unserem Programm, indem wir die nicht nur die Karrieren von Musikerinnen, sondern auch von Professionellen aus unterschiedlichen Teilbereichen, zum Beispiel hinter der Bühne, fördern. In der Musikbranche läuft sehr viel über persönliche Kontakte und Netzwerke, und das Business wird oft von Männern, unter Männern gemacht. Deshalb ist ein weiblich geprägtes Netzwerk wie KeyChange so wichtig. Wir schaffen mit dieser Kampagne auch Bewusstsein für diese Ungleichheiten und sensibilisieren für die Notwendigkeit von Veränderungen.
Gibt es Dinge, die wir alle tun können, um Frauen gezielt zu fördern? Oder sind das doch Dinge, die auf struktureller Ebene entschieden werden müssen?
Karwoth: Ich glaube schon an die Macht der Konsument*innen, und das ist auch etwas, das wir untersucht haben: Inwieweit spielt eigentlich Geschlechtergerechtigkeit unter Musikkonsument*innen eine Rolle? Entscheide ich mich als Festivalgängerin zum Beispiel bewusst für ein Festival mit einem ausgeglichenen Line-Up, oder entscheide ich mich bewusst für eine Playlist, in der mehr Frauen sind? Da gibt es auch unterschiedliche Angebote. Ich rate immer, mal die eigenen Playlisten zu untersuchen und zu schauen: Wie sieht es eigentlich aus in meinem Hörverhalten, was sehr männlich geprägt ist durch das Angebot, was da ist. Aktuell fehlt es den meisten Konsument*innen noch an Auswahlmöglichkeiten.
Das Interview führte Charlotte Oelschlegel.