Geht morgen die Welt unter? Guillaume Paoli im Gespräch
Nähern wir uns dem Weltuntergang? Im Gespräch mit dem Philosophie-Podcast Tee mit Warum spricht Schriftsteller Guillaume Paoli über menschengemachte Katastrophen und mögliche Wege aus der Krise.
Der französische Philosoph Guillaume Paoli lebt in Berlin. Er wurde bekannt als Theoretiker der "Glücklichen Arbeitslosen" und war von 2008 bis 2013 Hausphilosoph am Leipziger Centraltheater. Paoli ist Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschien von ihm: "Geist und Müll. Von Denkweisen in postnormalen Zeiten". Angesichts des fortschreitenden Klimawandels hält Paoli eine Ende der Menschheit für möglich, formuliert aber auch einen Weg, den Weltuntergang zu vermeiden. Einen Auszug lesen Sie hier,das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.
Herr Paoli, verändern sich Zukunftsängste mit der Zeit? Hatten wir Menschen schon immer Angst vor der Zukunft?
Guillaume Paoli: Angst vor der Zukunft gab es schon immer. Ich glaube, der Unterschied heute ist, - deswegen schreibe ich in meinem Buch von "postnormalen Zeiten" - dass wir nicht mehr im Rahmen von Normalität, also von statistischer Norm denken können. Natürlich gab es schon immer Schwankungen, aber diese Abweichungen von der Norm hielten sich in Grenzen. Man denke an die Temperatur, Klimabedingungen und so weiter. Heutzutage haben wir keinen Vergleich mit der Vergangenheit, denn das, was jetzt passiert, ist zumindest seit es Menschen auf Erden gibt, noch nie passiert. Deswegen besteht diese andere Qualität von Unsicherheit. Ob das mit Angst verbunden sein muss, das glaube ich nicht. Unsicherheit ist nicht unbedingt mit Angst verbunden. Es kommt darauf an, was man für eine Geisteshaltung entwickelt.
Die Angst scheint relativ präsent zu sein. Wenn man wie Sie von "postnormalen Zeiten" spricht, fallen Begriffe wie Krise oder Katastrophe. Das sind zwei Begriffe, die Sie eher skeptisch sehen, um die aktuellen Zeiten zu beschreiben.
Paoli: Im Moment gibt es Hochwasser - das ist eine Katastrophe für die Menschen, die da sind. Waldbrände sind Katastrophen oder kleine oder auch große Einzelphänomene können als Katastrophen beschrieben werden. Aber alle sind Teil eines Zusammenhangs. Deswegen kann man sie nicht als Katastrophe bezeichnen. Die Worte Katastrophe oder Krise blenden aus, dass wir es mit einem Prozess zu tun haben. Dieser Prozess ist, wie wir heute wissen, menschlichen Ursprungs. Dieser Prozess ist von menschlichen Handlungen ausgelöst worden und kann nur von menschlichen Handlungen gelöst werden.
Wir haben kein externes Verhältnis zu Naturphänomenen, was in der klassischen Philosophie nicht gedacht wurde. Da hat man immer, wenn man über das Böse oder Übel reflektiert hat, unterschieden zwischen physischem Übel und moralischem Übel. Physisches Übel ist zum Beispiel ein Erdbeben, als moralisches Übel zählt etwa Krieg. Heute gibt es diesen Unterschied nicht mehr. Hochwasser oder Waldbrand sind menschlichen Ursprungs - und das ist das Neue dabei. Wir wissen, dass das menschliche Denken oder die Unfähigkeit, die Dinge zu Ende zu denken, physische Probleme ausgelöst hat.
Sind die Bezeichnungen Katastrophe und Krise eine Entschuldigung für das Unausweichliche? Müssten wir eigentlich uns selbst in der Verantwortung sehen?
Paoli: Ich würde sagen, dass es eigentlich Symptome sind. Wenn man von Erderwärmung spricht, sagt man, die Erde hat Fieber. Aber Fieber ist ein Symptom, nicht die Krankheit. Wir neigen dazu, wenn wir von Krisen oder Katastrophen sprechen, uns auf die Symptome zu konzentrieren und dabei die Ursache der Krankheit außer acht zu lassen. Das ist meiner Meinung nach gefährlich.
Ist der Weltuntergang wahrscheinlich? Werden wir durch das System, in dem wir leben, alles verlieren?
Paoli: Ich glaube, man muss zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit unterscheiden. Wenn man wirklich den Lauf der Dinge seit mindestens 50 Jahren betrachtet, wo einerseits ein Bewusstsein über die Verschlechterung da war, aber trotzdem eine Unfähigkeit, etwas Wesentliches zu korrigieren, dann sieht es tatsächlich schlecht aus. Wahrscheinlichkeitsrechnung bezieht sich auf vergangene Ereignisse. Vergangene Ereignisse bieten keinen Anlass für Optimismus. Das heißt nicht, dass es unumgänglich ist. Es gibt natürlich eine Möglichkeit eines Umdenkens. Aber es reicht nicht, umzudenken, es ist notwendig, Dinge auch umzusetzen. Ich glaube, dass es noch möglich ist. Und ich glaube, dass die Geisteshaltung ganz wichtig ist in diesem Prozess, dass man keine Gute-Nacht-Geschichten erzählt und keine Verniedlichung stattfindet. Ich plädiere aber überhaupt nicht für Angst und Panik.
Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich. Das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.