Gegen die Landflucht: Neues Leben für alte Dörfer
Owschlag und Borgstedt liegen in Schleswig-Holstein. Beide Orte waren Bauerndörfer, Landflucht und Dorfsterben drohten. Aber die beiden Dörfer steuern dagegen an - erfolgreich.
Owschlag und Borgstedt liegen mitten in Schleswig-Holstein. Beide Orte waren Bauerndörfer. Heute gibt es hier ein bisschen Landwirtschaft, eine Autobahn, Leute wohnen hier. Wo ein Hof verschwand, wurde gebaut.
Gero Neidlinger ist der Bürgermeister von Borgstedt und sagt, inzwischen gebe es einen Riesenbedarf an Wohnungen, "nicht nur an Grundstücken für einen Familienhausbau, sondern auch an Wohnungen". Owschlag, die Nachbargemeinde, stehe vor der Herausforderung "dass wir einen Wandel haben in der Altersstruktur", sagt Christiane Ostermeyer, Bürgermeisterin von Owschlag. Borgstedt und Owschlag sind zwei Dörfer, die sich neu erfinden.
Borgstedt: Vom Bauernhof zum Mehr-Generationen-Hof
Als Reaktion auf die sinkenden Einwohnerzahlen hat Borgstedt das Projekt Mehr-Generationen-Hof ins Leben gerufen. 13 Genossenschaftswohnungen befinden sich auf dem Mohr-Hof. Hauptsächlich für Ältere. Einer der Bewohner ist Hans-Jürgen Mohr-Baarsch, er hatte hier früher seinen Bauernhof. Er freut sich, dass er den "alten Schiet" nicht mehr am Hals hat. Bürgermeister Neidlinger sagt, Borgstedt müsse aufpassen, dass die Alten im Dorf bleiben und nicht gehen. "Das ist auch heute noch aktuell, dass Ältere gerne in die Stadt ziehen", sagt Neidlinger.
Aber die die Gemeinde fand einen Investor, der das Experiment "Mietwohnungen auf dem Land" wagte : von kleinen Zweizimmerwohnungen bis zur großen Wohnung ist hier alles dabei. Auf die Wohnungen musste man sich bewerben. Auch das Ehepaar Senftinger hat sich beworben und ist schließlich aus dem Nachbardorf hergezogen. Peter Senftinger sagt, es sei schwer gewesen, nach 28 Jahren in Büdelsdorf noch mal umzuziehen: "Wir hatten da 128 Quadratmeter, und hier sind es 75, inklusive Terrasse. Das war schon ein Unterschied!"
Junge Leute kehren zurück nach Borgstedt und bauen
Leben ändern sich. Wohnungen für alte Menschen, die keinen großen Haushalt mehr stemmen können, sind auf dem Land noch selten. Und Borgstedt will auch die Jungen: Paare, Alleinerziehende, Singles, Familien. Sogar Sozialwohnungen sollen gebaut werden, wenn sich das Geld dafür findet. Aber besonders begehrt sind auf dem Land immer noch Grundstücke, auf denen man sein eigenes Haus bauen kann. Unter den Bauherren sind junge Leute, die hier aufgewachsen sind und wieder in die Heimat zurückkehren. Bürgermeister Neidlinger sagt, um eine Auswahl zu treffen, wer hier bauen darf, habe die Gemeindevertretung Kriterien festgelegt: Borgstedter, die ein Ehrenamt ausüben, werden bevorzugt.
Owschlag: Schule bekommt "Bürgerwohnzimmer"
Vereine halten ein Dorf lebendig. Und jenseits der eigenen vier Wände braucht es Orte, wo alle sich treffen. In Owschlag, 16 Kilometer entfernt von Borgstedt, entsteht so ein Ort der Begegnung - geboren aus der Not. Die Schule verliert Schüler. Bürgermeisterin Ostermeyer sagt: "Das bedeutet für uns, dass unsere große Schule, die eigentlich für 800 Schüler ausgerichtet war, nur noch mit 140 Grundschülern bestückt ist." Christiane Ostermeyer gibt ihr Amt im Juni ab. Aber was aus der halb leer stehenden Schule wird, beschäftigt sie weiter. Die Gemeinde hätte die leeren Räume abreißen können. Hat sie aber nicht. Zum Beispiel ist ein Musik-Therapie-Raum geplant. Rund 740.000 Euro kostet der Umbau, der Großteil kommt vom Land und der EU. Ende des Jahres soll alles fertig sein. Außerdem sei ein sogenanntes Bürgerwohnzimmer geplant, sagt Ostermeyer: zum Fußball gucken, Vorträge hören, reden, zusammen sein - eine richtige Mitte eben.
Borgstedt bekommt ein Dorfzentrum
Diese Mitte fehlt in vielen Dörfern, die auf großen landwirtschaftlichen Flächen entstanden sind. Und die oft keine Kneipe mehr haben. Die beiden Gasthöfe von Borgstedt öffnen nur noch für Feiern und Beerdigungen. Als im Ort eines der letzten Grundstücke frei wurde, sagten die Borgstedter sich: "Wir müssen unbedingt verhindern, dass das letzte Grundstück innerhalb des Dorfes auch noch dicht bebaut wird", sagt Bürgermeister Neidlinger. Das Dorfzentrum "Dorpshuis" wurde gebaut. Bewusst kein Retro-Fackwerk, sondern, wie alle Gebäude in Borgstedt, im Stil seiner Zeit. Und die Leute kommen. Die Alten und die Jungen.
Die Einwohnerzahl von Borgstedt ist in vier Jahren um 270 Menschen gestiegen. Es ist nicht alles in Butter in Borgstedt und Owschlag. Aber die beiden Dörfer haben sich auf den Weg gemacht.