Gedenkstätte für NS-Opfer in Karlshagen eingeweiht
Am Dienstag ist in Karlshagen auf Usedom eine Gedenkstätte für Zwangsarbeiter eröffnet worden. Mehr als 600 Häftlinge waren während der NS-Zeit im Konzentrationslager Karlshagen untergebracht, um in der Raketenfabrik in Peenemünde zu arbeiten.
Knapp 30 Menschen sind an diesem verregneten Morgen zusammengekommmen, um vor Schautafeln auf einem ehemaligen Fabrikgelände im Wald still Kränze und Blumen niederzulegen. Philipp Aumann vom Historisch Technischen Museum Peenemünde erklärte den Gästen den Denkmal-Ort: "Wir stehen hier inmitten einer ehemaligen Fabrikanlage zur Serienfertigung dieser Peenemünder Rakete Aggregat vier. Das Fertigungswerk wurde ab 1938 geplant und gebaut. Am Rand dieses Fertigungswerkes wurde eine Lagerhalle gebaut, zu der diese Verladerampe, auf der wir jetzt stehen und dieser Gleisanschluss, der dahinter noch zu erahnen ist, gehörten."
Eröffnung der Gedenkstätte durch Kulturministerin Martin
Bis zu 5.000 Raketen im Monat sollten hier gebaut werden. In Massenproduktion vom Fließband. Dafür haben die Nazis KZ-Häftlinge nach Karlshagen verschleppt. Kulturministerin Bettina Martin eröffnete die Gedenkstätte, die das Land gefördert hat.
"Wir erinnern damit an die Menschen, die in Peenemünde Zwangsarbeit leisten mussten und gelitten haben. Wir erinnern an die Menschen, die hier ausgebeutet, drangsaliert und erniedrigt wurden und die hier gestorben sind. Es waren vor allem Häftlinge aus Ravensbrück, die hier unter unwürdigen Bedingungen zur Arbeit gezwungen wurden", so Bettina Martin.
604 Häftlinge lebten in Karlshagen
604 Männer, die meisten von ihnen aus Frankreich. Schon in den ersten drei Monaten sind 37 von ihnen ums Leben gekommen. Eine Tafel erinnert an zwei junge Männer und ihre Geschichte. Die beiden hatten sich dem deutschen Arbeitsdienst verweigert und wurden deshalb inhaftiert, weiß Philipp Aumann: "Die Brüder Jasbincek waren zwei französische Bergarbeiter aus Lothringen, sehr junge Männer Anfang 20, die hier dann zur Arbeit gezwungen wurden. François wurde von Aufsehern schwer misshandelt, hat sich von diesen Verletzungen nie mehr erholt. Wurden beide 1943 nach Mittelbau Dora verlagert."
Der 23-jährige François starb schließlich an den Verletzungen, die er in Peenemünde erlitten hatte. Sein Bruder Joseph wurde ein wichtiger Zeitzeuge für die Bedingungen, unter denen die Häftlinge hier leben mussten.
Schüler*innen schreiben Namen der Häftlinge
Alle 604 Namen der ehemaligen Häftlinge stehen auf einer der vier Tafeln - handschriftlich. Geschrieben wurden sie von Schülerinnen und Schülern der zehnten Klassen umliegender Schulen. "Wir haben die Namen bekommen, dann durften wir uns drei rausssuchen und aufschreiben und dann haben wir das abgegeben", berichtete eine Schülerin.
"Welchen Namen ich jetzt genau geschrieben habe, wusste ich nicht mehr. Aber man hat dann auch mehr gesehen, was für eine Person das war. In Geschichtsbüchern sieht man ja immer nur, eine Anzahl Menschen sind gestorben. Aber jetzt hat man ja diese Namen gesehen. Und da wurde einem auch bewusst, dass es sehr schlimm war mit dem Zwangsarbeiten. Dass sie teilweise ihr Leben gelassen haben, damit ihre eigenen Brüder in Anführungszeichen getötet werden durch die Waffen, die sie selbst produzieren mussten", sagte ein Schüler.
Gemeinsames Projekt von Museum, BTU und Schulen
Die Gedenkstätte war ein gemeinsames Forschungs-Projekt des Historisch-Technischen Museums Peenemünde mit Usedomer Schulen und der BTU Brandenburgische Technische Universität Cottbus. Museumsdirektor Michael Gericke sagte während des Festakts:
"Für das Historisch-Technische Museum ist das ein besonderer Tag heute. Im Rahmen unserer Weiterentwicklung der Denkmallandschaft Peenemünde, war dieser Ort immer einer von vielen, die wir auf der Denkmalliste hatten. Aber wir wollten ihn nochmal würdigen und herausstellen. Wir konnten fast alle Häftlingsnamen ermitteln und mit dem Hintergrund ist das schon eine würdige Erweiterung und ein schöner Anlass heute für uns."
Mitglieder französischer Opferverbände bei Einweihung
Zur Einweihung sind auch Mitglieder verschiedener französischer Opferverbände gekommen. Darunter Thierry Berkover von der Organisation Memoires des Deportations, Sohn eines Auschwitzüberlebenden. Berkover sagte, er habe mit neun Jahren verstanden, was das Schicksal Deportation bedeute, bis heute beschäftige ihn das. Er sei dankbar, dass sich so viele Menschen in Deutschland mit dieser Katastrophe auseinandersetzen und daran erinnern. Er finde es sehr wichtig, an diesem Tag dabei zu sein, eingeladen zu sein.
Aumann: Schaut euch die Geschichte an, wo sie wirklich passiert ist
Unter den hohen Bäumen sind die Betonteile zu sehen, die davon erzählen, dass an diesem Ort etwas geschehen ist, worüber so schnell kein Gras wächst. Museumsdirektor Aumann hofft, dass viele Menschen die Gedenkstätte besuchen werden: "Der Ort hier ist Teil unserer Denkmallandschaft. Das Angebot des Museums ist ja nicht nur auf der Museumsfläche. Es sind die gesamten 25 Quadratkilometer und da wollen wir unseren Gästen sagen: Lauft hier rum, fahrt hier herum, hier ist ein Fahrradweg, da kommt man auch vorbei und schaut euch die Geschichte an, wo sie wirklich passiert ist. Wir haben jetzt diesen Ort geschaffen, wo man würdig innehalten kann." Ein Erinnerungsort, mitten im Wald, vor den Tafeln Bänke.