drei Erwachsene sitzen an Schultischen und hören einander zu © Gesche Jäger/Volkshochschule Hamburg Foto: Gesche Jäger
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AUDIO: GEW-Befragung: Schlechte Arbeitsbedingungen für Hamburger VHS-Lehrer (4 Min)

GEW-Befragung: Schlechte Arbeitsbedingungen für Hamburger VHS-Lehrer

Stand: 05.02.2025 18:44 Uhr

Hochqualifizierte Lehrkräfte bringen Migranten und Geflüchteten an der Volkshochschule Hamburg Deutsch bei und übernehmen in den Sprachkursen oft auch eine wichtige soziale Rolle. Doch sie arbeiten selbst oft unter schlechten Bedingungen. Dem System drohen die Fachkräfte wegzulaufen.

von Christopher Gaube

Die Befragung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft trägt den Titel "Working poor". Sich arm arbeiten klingt vielleicht makaber. Allerdings bringt es die Lage der gut 90 Lehrkräfte im Bereich der Integrations- und Berufssprachkurse an der Hamburger Volkshochschule den Ergebnissen nach gut auf den Punkt.

Veranstaltung bei der GEW © NDR.de Foto: Christopher Gaube
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft präsentiert bei einer Veranstaltung die Zahlen der Befragung.

Zur Präsentation der Zahlen sind viele Kursleiterinnen und Leiter ins GEW-Haus an der Rothenbaumchaussee gekommen. Man kennt sich, ist gespannt, wie gravierend die Befragung ausfallen wird. "Ich bin schon zirka 20 Jahre in dem Bereich und es wird immer prekärer, je älter man wird", sagt eine der Lehrerinnen an diesem Abend. Vor allem beim Blick auf die Rentenberechnung werde ihr bange. Einer der wenigen männlichen Lehrer in diesem Bereich erklärt, dass "die meisten hier freiberuflich tätig sind. Sie sind quasi selbstständig, aber arbeiten eigentlich wie unselbstständige. Und da ist ein Missstand." Denn für Freiberufler gibt es weder Urlaubs- noch Krankengeld. Sie müssen sehen, wie sie über die Runden kommen.

Unbezahlte Vorbereitungszeiten schmälern das Honorar

Das weiß auch Detlef Zunker, der bei der Hamburger GEW für die Erwachsenenbildung zuständig ist. Es war seine Idee, die Lage der Lehrkräfte im Bereich der Integrations- und Berufssprachkurse an der Hamburger Volkshochschule mithilfe einer Befragung greifbar zu machen. Doch die Ergebnisse zeichnen ein düsteres Bild. Zwar sind 75 Prozent der Befragten glücklich mit ihrer Berufswahl, doch "mit den Arbeitsbedingungen sind 66 Prozent unzufrieden. Mit der Vergütung sind 89 Prozent unzufrieden", spricht Zunker laut aus, was auf dem großen Bildschirm ohnehin zu lesen ist. "Und dann kommen wir nochmal zum Knaller - mit der prognostizierten Rente sind 96 Prozent unzufrieden."

Wie hoch die Rente ausfällt - dazu gibt es keine genauen Zahlen. Dafür aber zum Verdienst der Lehrkräfte. Für eine Unterrichtsstunde bekommen die Kursleiter, so gibt es das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vor, 42,23 Euro brutto. Davon bleiben am Ende aber nur noch knapp 13,50 Euro übrig - nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen, Rücklagen für Krankheit und Bereinigung durch unbezahlte Vor- und Nachbereitungszeiten. Denn das gehört auch zur Realität: Die Lehrkräfte leisten im Schnitt 19 Unterrichtsstunden pro Woche an der Volkshochschule, arbeiten dafür aber etwa 32 Arbeitsstunden. Bezahlt wird nur die Zeit im Klassenzimmer.

"Man nimmt in Kauf, Bildungspersonal zu verlieren"

Auf dem Podium im GEW-Gewerkschaftshaus sitzt auch Professorin Julia Schütz. Sie leitet die empirische Bildungsforschung an der Fernuni Hagen und hat die Befragung wissenschaftlich begleitet. "Die Lehrkräfte sind im Regelfall akademisch ausgebildet. Das heißt, sie bringen wichtige Kompetenzen mit. Das ist eine enorm wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe."

Julia Schütz kennt die schlechten Arbeitsbedingungen auch aus anderen Bereichen der Bildungsarbeit: "Daher muss die Frage meiner Meinung nach lauten: Warum entsprechen die Rahmenbedingungen nicht der Wichtigkeit dieser Aufgabe? Ich denke auch, dass sich unsere Gesellschaft das nicht leisten kann oder sollte, Bildungspersonal zu verlieren."

Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen in einem Integrationskurs mit Alphabetisierung im Eltern-Kind-Zentrum (EKiZ) in der Elbkinder-Kita Uffelnsweg. © picture alliance/dpa | Christian Charisius Foto: Christian Charisius
AUDIO: Probleme bei Integrationskursen für Geflüchtete (9 Min)

Budgets sind abhängig vom Bundeshaushalt

Es liegt auch im Interesse des BAMF, die Lehrkräfte in den Integrations- und Berufssprachkursen zu halten. Schließlich handelt es sich um hoch qualifizierte Kursleiter, die sich für diese Aufgabe besondere Qualifikationen aneignen mussten. So wollen es die Anforderungen der Bundesbehörde aus Nürnberg.

"Die Forderung nach Erhöhung ist verständlich und gehört ja auch zum Wesen einer Gewerkschaft", erklärt Benjamin Beckmann, Leiter Referatsgruppe "Integrationskurse" im BAMF auf Nachfrage vom NDR. "Wenn man das Geld aber nicht an anderer Stelle wegnehmen will, also zum Beispiel weniger Teilnehmende in den Kursen haben möchte oder geringere Bezahlung der Träger, dann braucht es zusätzliche Mittel in hoher zweistelliger, möglicherweise dreistelliger Millionenhöhe." Und darüber entscheide nicht das BAMF allein, sondern der Haushaltsgeber, also der deutsche Bundestag.

Sorge um angekündigte Migrationspolitik

Weil aber die Ampel-Koalition über den Haushalt für das laufende Jahr zerbrochen ist, werden die Mittel für die Integrations- und Berufssprachkurse nur nach und nach freigegeben. Erst in der vergangenen Woche wurde das Budget bis zum Sommer genehmigt. Wie es danach weiter geht: unklar.

Veranstaltung bei der GEW © NDR.de Foto: Christopher Gaube
Detlef Zunker (l.) und Julia Schütz von der Fernuni Hagen bei der Veranstaltung der GEW

Eine extrem belastende Situation, sagt Angelina Stern von der Volkshochschule Hamburg. Dort leitet sie das Zentrum für Deutsch als Fremdsprache - an dem jedes Jahr 1.700 Menschen in Integrations- und Berufssprachkursen Deutsch lernen. "Das hat viel Unsicherheit bei den Kursleitenden ausgelöst, weil sie freiberuflich tätig sind und sie natürlich nicht wissen, wie es dann im nächsten Monat aussieht." Stern fordert, dass der Bereich besser finanziert und stabilisiert wird. Weil die Kurse nicht schnell eingestellt und wieder aufgenommen werden können, benötige man Planungssicherheit.

Von den jüngsten politischen Entwicklungen ist die VHS-Mitarbeiterin verunsichert: "Integrationskurse habe ich mit aufgebaut. Ich war immer sehr optimistisch, weil es ein sinnvolles und wichtiges Programm ist. Mit dieser angekündigten Migrationspolitik sorge ich mich, ob dieses System auch betroffen sein kann." Angelina Stern warnt davor, dass Gefährder nichts mit Integrationskursen zu tun haben. "Ich würde eher sagen, dass dieses Kurssystem dazu dient, den Menschen eine Perspektive zu geben, sie zu stabilisieren und Mitglieder dieser Gesellschaft zu werden."

Krankengeld eine der wichtigsten Forderungen 

Ob die Träger und Lehrkräfte im Bereich der Integrations- und Berufssprachkurse künftig mehr Sicherheit bekommen, hängt also von den Prioritäten des neu gewählten Bundestages ab. Näher dran ist da die Hamburger Bürgerschaft. Die hat erst im Dezember beschlossen, die Hälfte der Sozialabgaben für die bei der Volkshochschule beschäftigten Lehrkräfte in den Integrationskursen zu übernehmen. Ein großer Erfolg und doch zu wenig - sagt Gewerkschafter Detlef Zunker: "Unsere Forderung beinhaltet auch, dass die Arbeitnehmerähnlichen, wenn sie krank sind, eine Honorarfortzahlung bekommen."

Die Volkshochschule soll in die Lage versetzt werden, über zusätzliche Mittel einen Honorarausfall für Krankheiten zu zahlen. "Das gibt es auch schon - in Berlin wird das entsprechend gezahlt und das funktioniert auch", schiebt Zunker hinterher. 

Parteien finden Idee gut, wollen aber erst einmal rechnen

Hat das Chancen in der neuen Legislaturperiode? Nils Hansen, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg, sagt nach der Präsentation der GEW-Befragung: "Vor dem Hintergrund der gesamthaushalterischen Lage ist das etwas, was wir prüfen müssen. Und wenn das umsetzbar ist - haushalterisch - ist das inhaltlich etwas, was ich als sehr lohnend empfinden würde."

Und wie sieht das die CDU in Hamburg? "Die Gesellschaft und die Wirtschaft unterliegen einem ständigen Wandel, sodass die Weiterbildung wirklich eine Schlüsselrolle hat", sagt Birgit Stöver, Fachsprecherin für Bildung. "Und wir werden uns für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Honorarkräfte einsetzen." Die Zeit für die Politik läuft, denn das wurde während der Veranstaltung auch deutlich: Viele der Lehrkräfte überlegen sich, einen Job mit besseren Bedingungen zu suchen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Nachmittag | 05.02.2025 | 14:20 Uhr

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