"Fortgesetzte Diskriminierung": Der Papst-Beschluss zur Segnung queerer Paare
Der Vatikan hat am Montag entschieden, Segnungen für homosexuelle unverheiratete Paare zuzulassen. Der Religionspädagoge Jens Ehebrecht-Zumsande sieht darin allenfalls einen "Mini-Schritt in die richtige Richtung".
Jens Ehebrecht-Zumsande leitet das Grundlagenreferat "Kirche in Beziehung" im Erzbistum Hamburg. Er ist einer der Initiatoren der Bewegung #OutInChurch.
Herr Ehebrecht-Zumsande, Sie haben sich schon vor mehr als 20 Jahren als schwul geoutet und auch offen mit Ihrem Partner zusammengelebt. Haben Sie sich über diese Entscheidung des Vatikan gefreut?
Jens Ehebrecht-Zumsande: Ein kleines bisschen, weil es ein Mini-Schritt in die richtige Richtung ist. Aber beim genauen Lesen des Textes trat dann doch relativ schnell Ernüchterung ein.
Warum?
Ehebrecht-Zumsande: Weil wir weit davon entfernt sind, dass queere Paare herzlich willkommen sind und mit Freuden gesegnet werden können. Das, was der Vatikan jetzt ermöglicht hat, ist weit von dem entfernt, was wir zum Beispiel von einer Hetero-Trauung kennen. Es darf kein festlicher Gottesdienst sein, es darf nicht im Zusammenhang mit einer standesamtlichen Trauung sein, und es muss ausdrücklich gesagt werden, das queere Lebensformen und Partnerschaften irregulär sind und damit nicht anerkannt werden. Unterm Strich wird die bestehende Lehre zur Homosexualität überhaupt nicht angekratzt, sondern auf der Ebene der Seelsorge wird ein Mini-Schritt auf die queeren Paare zugegangen.
Es ist also kein revolutionärer Akt, sondern nur ein Mini-Schritt, richtig?
Ehebrecht-Zumsande: Ja, und das ist eine Frage der Perspektive. Mit einem anderen Blick kann ich den Papst in gewisser Weise fast auch in Schutz nehmen, weil das in der Weltkirche für viele ein Quantensprung, ein Riesenschritt ist. Für die Menschen in der katholischen Kirche, die sehr queerfeindlich sind, ist das fast nicht mehr auszuhalten. Aber aus meiner Sicht - und ich muss ja erst einmal aus meiner Perspektive gucken - bleibt das weit hinter dem zurück, was ich und viele andere queere Menschen in der katholischen Kirche erwarten.
Es gibt Staaten, in denen homosexuelle Beziehungen immer noch unter Todesstrafe stehen. Können Menschen in solchen Ländern jetzt tatsächlich ganz offen zu ihrem Pfarrer gehen und einen Segen für sich einfordern?
Ehebrecht-Zumsande: Ich glaube, so weit sind wir noch nicht. Aber das ist der Subtext, den man zwischen den Zeilen mitlesen muss. Auch wenn vom Vatikan gesagt wird, dass man die Lehre nicht ändert, ist das trotzdem ein Symbol. Ich glaube, dass das den Menschen in der weltweiten katholischen Kirche den Rücken stärkt, die sich für eine Akzeptanz von Homosexualität und queeren Lebensformen starkmachen.
Haben Sie persönlich Diskriminierung in der katholischen Kirche erlebt?
Ehebrecht-Zumsande: Ja, und ich erlebe sie immer noch. Denn das ist wieder die nächste Kehrseite: Das, was der Vatikan jetzt vorlegt, ist eigentlich die Fortsetzung von Diskriminierung, weil es eben nicht um eine Gleichbehandlung der queeren Paare geht. Insofern findet Diskriminierung weiterhin statt.
Was hat Sie dazu bewogen, katholisch zu bleiben?
Ehebrecht-Zumsande: Das ist ein tägliches Ringen, ich muss mich jeden Tag neu entscheiden. Ich glaube, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass nicht ich falsch bin, sondern diese queerfeindliche Lehre. Und wenn das so ist, dann gehört es zu meinem Selbstverständnis, dass ich mich dafür einsetzen muss, dass sich das ändert. Wenn immer da, wo in unserer Welt Diskriminierung passiert, die Lösung ist, dass man weggeht, dann wird sich nichts ändern. Das ist anstrengend und manchmal auch nicht ganz schön, aber es ist gleichzeitig auch ein gutes Engagement. Ich hoffe, dass mir da noch ein bisschen die Energie bleibt.
Würden Sie und Ihr Partner sich jetzt segnen lassen?
Ehebrecht-Zumsande: Wir werden nächstes Jahr sogar heiraten - aber diese Form des Segens, die der Vatikan anbietet, kommt für mich auf gar keinen Fall infrage. Wir werden, wenn sich das nicht noch positiv entwickelt, eine eigene Segensfeier gestalten.
Was können wir uns überhaupt unter diesem Segen, der jetzt möglich ist, vorstellen? Wie wird der praktiziert?
Ehebrecht-Zumsande: Das muss man erst einmal beobachten. Bei dem, was in dem Papier des Vatikans steht, fehlt mir ein bisschen die Fantasie, was das in der konkreten Praxis bedeutet. Wenn das alles kein feierlicher Gottesdienst sein darf, wenn die Paare nicht mal festlich angezogen sein dürfen, wenn keine Hochzeitsgesellschaft dabei sein darf - dann klingt das so, dass das Paar mehr oder weniger hinter verschlossenen Türen gesegnet werden soll, aber bloß nicht zu öffentlich. Das passt überhaupt nicht zu dem, worum es da geht. Wenn Menschen ihre Partnerschaft feiern, dann sind sie immer in ein großes Familien- oder Freundes-Netz eingebunden. Und wenn diese Personen gar nicht dabei sein dürfen, dann ist das ein bisschen fern von der Realität. In dem Papier sind Beispiele genannt: Das kann im Rahmen einer Wallfahrt oder auf der Straße passieren, wenn ein Paar mal einen Priester trifft - das ist natürlich absurd. Die Paare, die überhaupt noch etwas von der Kirche wollen, werden auf die Pfarrer und Seelsorger*innen zugehen und fragen, was jetzt möglich ist. Und da wünsche ich mir, dass die Kolleg*innen vor Ort den Paaren mit weitem Herzen entgegenkommen.
Immerhin dürfen sie es jetzt mehr oder weniger offiziell machen. Es gab bisher auch schon Segnungen von Menschen, die das heimlich gemacht haben.
Ehebrecht-Zumsande: Es gibt seit vielen Jahren Menschen, die Segnungsfeiern mit Paaren gestalten, aber immer unter der Prämisse: Eigentlich ist es verboten - wir machen es trotzdem. Das ist weder für das Paar gut noch für die Seelsorger*innen. Das ist jetzt ein Stück weit aus dieser Grauzone herausgeholt worden.
Das Interview führte Julia Westlake.