Femizide in Deutschland: Wenn Männer Frauen töten
Mehr als 100 Frauen sterben jedes Jahr durch die Hand ihrer Partner oder Ex-Partner. Seit 2015 wertet das BKA Gewalt in Partnerschaften in Deutschland statistisch aus.
Jeden Tag gibt es in Deutschland einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau. Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Und dabei bleibt Gewalt von Männern gegen Frauen oft verborgen. Viele Frauen haben Angst, zur Polizei zu gehen - weil sie fürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird. Die Dunkelziffer vermisster und schwer verletzter Frauen kennt niemand.
Partnerschaftsgewalt richtet sich vor allem gegen Frauen
Das BKA wertet Gewalt in Partnerschaften in Deutschland seit 2015 statistisch aus. In seiner Auswertung erfasst das BKA die Opfer von vollendetem Mord und Totschlag sowie Körperverletzung mit Todesfolge durch Partnerschaftsgewalt. Die Opfer sind zu fast 90 Prozent Frauen. Im Jahr 2021 starben 113 Frauen und 14 Männer durch Gewalt in der Partnerschaft.
Insgesamt registrierte das BKA im Jahr 2021 146.655 Fälle von körperlicher und psychischer Gewalt - beispielsweise Nötigung - in einer bestehenden oder ehemaligen Partnerschaft. Das sind 2,5 Prozent weniger als im Vorjahr, wo die Zahlen einen bisherigen Höchststand erreicht hatten.
Definition eines Femizids
Der Begriff Femizid kommt aus dem Englischen ("Femicide") und wurde 1976 von der Soziologin Diane Russell geprägt. Im Kontext der internationalen Diskussion bezeichnet er die vorsätzliche Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Femizide sind vor dem Hintergrund geschlechtsspezifischer Macht und Hierarchieverhältnisse zu sehen und werden besonders häufig durch männliche Partner oder Ex-Partner verübt. Weiter gefasste Definitionen beziehen alle Ermordungen von Frauen oder Mädchen mit ein, oder umfassen auch Tötungen von Frauen und Mädchen durch Familienmitglieder und im Kontext sexualisierter Gewalt.
Besitzdenken ist ein wichtiger Faktor
Die Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. Der Mann wähnt sich in dem Glauben, dass die Frau ihm gehört, er die totale Macht über sie hat. "Ich glaube, ein wichtiger Faktor ist immer dieses Besitzdenken: Ich darf bestimmen, was meine Partnerin macht", erläutert Christina Clemm, Fachanwältin für Familien- und Strafrecht in Berlin. Außerdem erklärt sie: "Die Täter, von denen wissen wir, dass sie aus allen Herkünften aus allen Schichten kommen. Es gibt eben nicht den Täter-Typus, sondern es kann jeder Täter werden."
Femizid-Versuche: Ende einer Gewaltspirale
Der Mord ist in den meisten Fällen das Ende einer langen Gewaltbeziehung. Viele Frauen, die in so einer Partnerschaft leben, schweigen darüber, versuchen die Wunden, die Schmerzen, das Leid zu verbergen. Zu groß ist die Angst, die Scham - und die Hoffnung, dass es wieder besser wird. "Das ist häufig so eine Gewaltspirale. Es fängt mit einem Schlag an. Häufig ist es so, dass sich die Täter dann auch entschuldigen, sagen, es kommt nie wieder vor und ich werde mich ändern. Und dann kommt es aber das zweite Mal vor und das dritte und vierte Mal. Irgendwann hören Täter auch auf, sich zu entschuldigen. Und es geht immer weiter", sagt Christina Clemm.
Zu wenig Prävention und Konfliktberatung
Oft kommt es zum Mord, wenn die Frau versucht, sich aus der toxischen Beziehung zu befreien, erklärt Monika Schröttle: "In dem Augenblick, wo die Frau sich aus der Kontrolle löst und es sicher ist, dass dem Mann die Felle wegschwimmen, dann wird die Entscheidung gefällt zu töten. Es sind extrem selten Spontanhandlungen und extrem häufig geplante Taten." Schröttle koordiniert das "European Observatory on Femicide" und leitet den Bereich Gender, Gewalt und Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie fordert mehr Prävention, mehr Konfliktberatung, mehr Täterarbeit, mehr Anti-Gewalt-Trainings: "Bei uns zögert niemand, zum Beispiel terroristische Akte zu verhindern, was wichtig ist. Die kommen aber viel seltener vor als Gewalt gegen Frauen."
Vor allem aber müssen die Hilfsangebote, die es gibt, besser koordiniert werden. Frauen, die gefährdet sind und oft auch schon von staatlichen Stellen betreut werden, müssen umfassender unterstützt werden. Anwältin Christina Clemm konstatiert: "Was passieren müsste, ist, dass Hochrisikofälle sehr viel besser, sehr viel schneller analysiert werden. Und dass wir nicht ein Auseinanderklaffen haben von den verschiedenen Behörden, dem Jugendamt, dem Familiengericht, dem Strafgericht. Sondern dass in einem solchen Fall, wenn der auftaucht, gesagt wird: Wir haben hier eine Situation, und die nehmen wir ernst, weil sie nämlich gefährlich ist."
Soforthilfe bekommen Frauen über das bundesweite Hilfstelefon "Gewalt gegen Frauen" unter der kostenfreien Nummer 08000 116 016. Auf der Seite des Hilfstelefon (https://www.hilfetelefon.de/) gibt es ein umfassendes Onlineangebot für Frauen. Die Seite kann man auch anonym besuchen.