Die Kunst in Kriegszeiten: Brückenbauer oder "Instrument"?
Die Biennale in Venedig startet - und die Kunstschau wird auch geprägt durch den Krieg in der Ukraine. Soll Kunst politisch sein oder nicht? Ein Gespräch mit der neuen Leiterin des Bucerius Kunst Forums Kathrin Baumstark.
Frau Baumstark, das Jahr 2023 soll ein Jahr der Frauen werden in Ihrem Haus. Was heißt das konkret?
Kathrin Baumstark: Am liebsten hätte ich dieses Jahr gar nicht betitelt - irgendwann wären alle selber drauf gekommen. Denn es geht nicht um das Geschlecht, sondern es geht um herausragende Malerinnen, Künstlerinnen, Fotografinnen. Wir beginnen im Februar mit Gabriele Münter. Das ist ein großes Herzens Projekt von mir, da bin ich schon seit ein paar Jahren dran. Endlich kommt diese große Expressionistin nach Hamburg, sie wurde hier so noch nie gezeigt.
Im Sommer kommt Lee Miller zu uns, die Fotografin, die als Fotomodell angefangen hat, als Muse. Sie waren mit Man Ray zusammen - das ist die Geschichte, die viele noch kennen. Aber eigentlich ist sie eine der größten Kriegsfotografinnen des 20. Jahrhunderts gewesen, war in etlichen kurz zuvor befreiten Konzentrationslagern. Viele kennen vielleicht das Bild in Hitlers Badewanne. Eine ganz mutige, großartige Fotografin, die wir zeigen können. Das wird eine Retrospektive werden, wo ihr gesamtes Schaffen zu sehen sein wird, von ihren surrealistischen Stillleben in den 20er-Jahren bis zu den Kriegsverbrechen der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs. Aber auch das Ende ihres Lebens, als sie, traumatisiert auch durch die Erlebnisse des Krieges, sich zurückzieht und die Kamera gänzlich zur Seite legt.
Bei der Biennale in Venedig bleibt in diesem Jahr der russische Pavillon leer - die beiden Künstler haben selbst zurückgezogen. Lange war unklar, ob trotz des Krieges der ukrainische Beitrag stattfinden kann. Er kann. Die 78 Trichter der Wasserinstallation des Künstlers Pawlo Markow sind über abenteuerliche Wege rechtzeitig in Venedig angekommen.
Die Biennale-Direktorin Cecilia Alemani möchte, dass die Biennale ein Raum für Dialog bleibt. Pawlo Markow sagt dazu: "Leider ist die russische Kunst jetzt auf Panzern und Raketen in die Ukraine gekommen. Wir versuchen, unsere Kultur zu retten vor völliger Verzerrung. Daher fühle ich nicht, dass ich jetzt mit Ihnen reden kann. Der einzige Ort, wo wir jetzt einen Dialog führen können, ist die Front."
Wie sehen Sie das? Brücken abreißen oder Gesprächsfaden aufrechterhalten?
Baumstark: Ich finde es schwer, mich dazu zu äußern in meiner gesicherten Position hier in Deutschland. Ich finde es immer sehr anmaßend, darüber zu urteilen. Ich bin aber jemand, der glaubt, dass der Dialog sehr wichtig ist, dass es wichtig ist, im Gespräch zu bleiben, dass es wichtig ist, miteinander in Kontakt zu sein. Ich bin kein Freund von Nationalisten und so weiter. Daher glaube ich, dass die Kunst der Bereich ist, der sehr frei sein sollte und bleiben sollte. Gerade die Kunst schafft es doch, über geistige oder nationale Grenzen hinweg in Dialog zu treten.
Wird dieses Thema in der Kunstszene gerade stark diskutiert?
Baumstark: Natürlich, es ist klar ein Thema. Der Ukraine-Krieg hat das vielleicht wie ein Katalysator beschleunigt, aber es gibt schon lange die Diskussion, wie politisch sind die Künste? Sollte Kunst politisch sein? Was sind unsere Themen? Das ist immer auch eine Gratwanderung, die man eingeht. Die gesellschaftliche Relevanz empfinde ich als etwas sehr Wichtiges. Auch in Ausstellungen zu alten Meistern ist immer auch ein Blick auf heute möglich und wichtig. Aber ich habe immer Bedenken mit dem Begriff der politischen Kunst. Denn politische Kunst ist für mich eine Kunst, die eine Meinung einnimmt, und dann kann es manchmal passieren, dass die Kunst nicht mehr frei ist.
Das heißt, dass Kunst auch instrumentalisiert werden kann. Gibt es da aus Ihrer Sicht momentan eine Tendenz?
Baumstark: Ich habe das Gefühl, es ist eher so ein Ausloten und Austesten. Natürlich gibt es auch die Fragen: Grenzen wir aus? Wen laden wir ein? Das ist in der bildenden Kunst noch nicht mal so schwierig. Natürlich gibt es Institutionen, die Ausstellungen mit Sankt Petersburg, mit Moskau planen - da ist der Dialog auch irgendwann mal vorbei. Aber vor allem in der darstellenden Kunst oder in der Musik ist das auch ein großes Thema. Das ist eine schwierige Gratwanderung.
Das Interview führte Eva Schramm.