David Begrich von Miteinander e.V. - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. © picture alliance / dpa | Arno Burgi Foto: Arno Burgi

David Begrich über Höcke: "Selbstinszenierung wie bei Shakespeare"

Stand: 15.05.2024 14:53 Uhr

Am Dienstag hat das Landgericht Halle den AfD-Politiker Björn Höcke zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er bei einer Rede im Jahr 2021 wissentlich eine Parole der Sturmabteilung der NSDAP verwendet hat.

Der Soziologe David Begrich vom Magdeburger Verein "Miteinander" hat den Prozess in Halle vor Ort verfolgt und hat das Auftreten des Politikers analysiert.

Herr Begrich, wie haben Sie den Auftritt von Höcke erlebt?

David Begrich: Ich habe den Eindruck, dass Björn Höcke - also nicht seine Verteidigung, sondern er als Person - dort eigentlich so etwas wie eine Selbstinszenierung vorgeführt hat, die mich sehr stark an William Shakespeare erinnert, also an ein Lehrstück oder an "Hamlet"; ein Versuch, sich als eine Person darzustellen, die feindlichen Anfechtungen der äußeren Welt ausgesetzt ist und diesen allein widersteht. Höcke hat sich als "verfolgte Unschuld" dargestellt, aber eben auch als jemand, der sich rechtschaffen und ehrlich um die Wahrheit bemüht und der überhaupt nicht versteht, warum er vor Gericht steht.

Wenn man diesen Auftritt mit den Mitteln der Theaterkritik analysieren würde, was würden Sie sagen? Wen spricht er damit an?

Begrich: Ich glaube, dass Höcke immer zwei Publika anspricht - unabhängig davon, ob er gerade vor Gericht steht, auf einer Kundgebung redet oder eine Parteitagsrede hält. Auf der einen Seite adressiert er die Kernwählerschaft oder die Kernanhängerschaft der AfD, die ja wesentliche Weltanschauungs-Elemente seiner Reden teilt, die rechtsextrem sind. Da operiert er mit Signalwörtern, also er wiederholt immer wieder bestimmte Begriffs-Varianten auf Invektiven des Nationalsozialismus. Dann gibt es eine zweite Gruppe, die sehr viel größer ist und die ihm, glaube ich, ganz genauso wichtig ist. Das ist das allgemeine Publikum. Das sind Sie und auch ich, denen er signalisiert: "Seht her, ich bin ein grundseriöser, ernster Politiker, gleichzeitig treuer Staatsbürger, der zu Unrecht in den Medien und der Politik dämonisiert wird!" Diese beiden Botschaften oder diese beiden Rollen, die er sozusagen in seinen Auftritten adressiert, gehören unmittelbar zusammen und sind Voraussetzung für seinen politischen Erfolg.

Dann ist so ein Verfahren für ihn so etwas wie willkommene PR?

Begrich: Ja, das ist zumindest eine ambivalente Angelegenheit, die sich nicht ohne Weiteres auflösen lässt. Das eine ist ja ein formaljuristisches Strafverfahren. Es gibt eine Anklage von der Staatsanwaltschaft, die vertreten wird. Höcke hat ein Anwaltsteam beauftragt, ihn zu verteidigen. Das ist das strafprozessuale Prozedere. Das andere ist aber der gesellschaftliche Resonanzraum, in dem er agiert. Ich glaube, man muss Höcke auch zutrauen, dass er nicht nur glaubt, in einem Strafprozess - wie in Halle geschehen - zu agieren, sondern natürlich in einem gesellschaftlichen Resonanzraum, in einem medialen Resonanzraum, in dem er auch auf Wirkung bedacht ist. Das war mit jeder Faser mit jedem Wort seiner Einlassung zu merken. Ich mache es mal an einem Beispiel fest: Es ging um die Frage, ob er wissen konnte, dass die Parole "Alles für Deutschland" eine strafbare Parole der Sturmabteilung der NSDAP war. Es war eine interessante Einlassung, dass er zum Schluss des Prozesses gesagt hat: Ob man es auch verbieten wolle, wenn die Nationalsozialisten sinngemäß "guten Tag" oder "auf Wiedersehen" gesagt hätten. Ich glaube, das richtet sich natürlich nicht an die im Gerichtssaal anwesenden Juristen, sondern an das breite Publikum. Das ist eigentlich die Strategie der - ich nenne es jetzt mal - Selbstverharmlosung. Er ist als Politiker permanent damit beschäftigt, zu kommunizieren und zu sagen: "Seht her, ich werde dämonisiert, und zwar zu Unrecht dämonisiert. Eigentlich bin ich ein rechtschaffener Staatsbürger, der im Interesse des Landes als Abgeordneter handelt."

Sie beschäftigen sich ja schon lange mit den Plänen von Höcke und der AfD. Was würde es für die Kultur bedeuten, wenn die Partei an die Macht käme?

Begrich: Ich glaube, kurz gesagt, wenn die AfD die Kulturpolitik bestimmen würde, hätten wir eine groteske Situation, in der wir eigentlich in den kulturellen Habitus des Wilhelminischen Nationalismus der Kaiserzeit zurückfallen würden. Das ist sozusagen die Prägeepoche, von der die Kulturpolitik der AfD immer und immer wieder spricht. Die AfD weist der Kultur eine ganz bestimmte Rolle und Funktion zu: Es geht nicht um die Abbildung von gesellschaftlichen Widersprüchen, Kontroversität, sondern es geht um nationale Erbauung und nationale Erziehung. Wenn wir uns noch einmal vor Augen führen was die AfD für Anfragen zum Thema Kulturpolitik in den Landtagen stellt, da werden dann bestimmte Theaterprojekte thematisiert, zum Beispiel mit Geflüchteten. Das möchte die AfD nicht, sondern sie weist dem Theater eben die Rolle der nationalen Erbauungsstätte zu. Und da muss man einfach sagen: Dieses Theaterverständnis, dieses Erziehungs-, dieses Literatur- oder Kulturverständnis ist eigentlich mit einer pluralistischen Gesellschaft nur sehr schwer oder im Kern gar nicht vereinbar.

Was befürchten Sie für Thüringen?

Begrich: Für Thüringen befürchte ich, was ich für alle Bundesländer befürchte, wenn die AfD einen weiteren Zuwachs an Macht bekommen könnte, nämlich eine Einschränkung der kulturellen Diversität, der Vielfalt und der Vielstimmigkeit dieses Landes. Ich glaube, es ist hohe Zeit, dass sich alle dessen bewusst werden, was da auf dem Spiel steht.

Das Gespräch führte Julia Westlake.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Nachmittag | 15.05.2024 | 16:20 Uhr

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