AfD und NPD-Logos auf einer Leine. (Bildmontage) © fotolia Foto: igor
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AUDIO: Extremismus der Mitte in Deutschland nimmt zu (8 Min)

Autoritarismus-Studie: Wird Rechtsextremismus gesellschaftsfähig?

Stand: 14.11.2024 14:58 Uhr

Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie belegt: In Westdeutschland steigt der Anteil von rechtem Gedankengut. Ein Gespräch mit NDR Info Redakteur Patrick Seibel.

Kürzlich ist die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie vorgestellt worden. Seit 2002 messen die Forschenden dort die Einstellungen der deutschen Bevölkerung. Im Zentrum stehen auch Einstellungen im Bereich Rechtsextremismus. Patrick Seibel hat sich intensiv mit dieser Forschung, der Entwicklung und mit der Studie beschäftigt.

Ist der Rechtsextremismus größer geworden?

Patrick Seibel: Ja, er ist etwas angestiegen. Allerdings sehen wir, dass das im moderaten Bereich innerhalb der üblichen Schwankungen über die Jahre bleibt. Aktuell sehen wir anhand der Zustimmungswerte, die bei entsprechenden Fragen eines Fragebogens gemessen wurden, rund 4,5 Prozent der Interviewten mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild. Einen deutlichen Anstieg gibt es woanders, bei einer Unterkategorie: bei der Ausländerfeindlichkeit.

Was sind die Ergebnisse?

Seibel: Ich gebe mal zwei Beispiele für Aussagen. Die Erste: "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in gefährlichem Maß überfremdet." Dieser Aussage stimmen knapp 34 Prozent der Befragten zu. Das ist ein Anstieg um fast acht Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Befragung vor zwei Jahren. Ein anderes Beispiel ist die Aussage "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen." Das sind gut 33 Prozent, die sagen: Da stimme ich zu oder ich stimme überwiegend zu. Hier ist das ein Anstieg um fast sechs Prozentpunkte.

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Das sind schon deutliche Entwicklungen. Trotzdem muss man fragen: Ist man rechtsextrem, wenn man solche Aussagen teilt?

Seibel: Nein, das reicht nicht - und das bedeutet es auch nicht. Ausländerfeindlichkeit ist eine von sechs Dimensionen des Rechtsextremismus. Diese sechs Dimensionen werden mit jeweils drei Aussagen abgefragt. Diesen Aussagen können die Interviewten auf einer Skala von eins bis fünf zustimmen. Eins heißt dabei "lehne ich völlig ab", fünf bedeutet "stimme voll und ganz zu." Nur wer in allen sechs Dimensionen, bei insgesamt 18 Fragen, mindestens den Wert 3,5 erreicht, dem wird ein manifestes rechtsextremes Weltbild bescheinigt.

Was macht Ausländerfeindlichkeit so gefährlich?

Seibel: Sie gilt als die Brücken-Ideologie zum Rechtsextremismus, als das Tor, weil Ausländerfeindlichkeit der ideologische Kern des Rechtsextremismus ist. Da geht es immer wieder um einen angeblichen Kampf zwischen uns und den "Fremden". Genau darum kocht eine Partei wie die AfD das Thema Migration und Ausländer so stark hoch, weil sie dort an Diskussionen und Ansichten in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte andocken kann.

"Wir konnten das immer gut belegen. Die entsprechenden Einstellungsmomente, die sonst als extrem gefasst wurden, finden Sie eigentlich im Alltag überall bei. Und das wissen eigentlich auch alle. Aber die Mitte gehört zu einer der Grundfesten unserer Gesellschaft." Oliver Decker

Das sagt Oliver Decker. Er ist Professor für Sozialpsychologie und Leiter der Leipziger Autoritarismus-Studie. Das haben sie tatsächlich immer wieder festgestellt: So extreme Aussagen sind auch in der Mitte immer wieder verbreitet. Übrigens, die hohen Werte bei der Ausländerfeindlichkeit kommen von einem extremen Anstieg in Westdeutschland. In den ostdeutschen Bundesländern war die Ausländerfeindlichkeit seit Beginn der Messungen immer schon höher. Jetzt hat der Westen nachgezogen.

 Was gibt es noch für bemerkenswerte Ergebnisse?

Seibel: Die Zustimmungswerte zur Demokratie insgesamt sind zurückgegangen. Die werden auch in verschiedenen Bereichen gemessen: Die Zustimmung zur Demokratie als Idee ist im Osten mit 94 Prozent Zustimmung stabil hoch. Im Westen ist sie aber zurückgegangen, sogar auf einen historischen Tiefstwert von 89 Prozent. Da werden vielleicht manche Leute sagen: "Na ja, das ist doch noch nicht so dramatisch." Aber wenn man die anderen Bereiche dazu nimmt - vor allem den Bereich "Zustimmung zur Demokratie, wie sie in Deutschland funktioniert" -, da gehen die Werte in den Keller. Da liegen sie im Westen bei 46 Prozent und im Osten bei gerade einmal 30 Prozent. Unterm Strich sind das auch Tiefstwerte.

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Das könnte Konsequenzen haben.

Seibel: Ja, mittelfristig sollten wir die Demokratie in der Form, wie wir sie haben, nicht für selbstverständlich halten, warnen auch die Forschenden. Denn es gibt neben der Demokratie-Unzufriedenheit auch eine nennenswerte Anzahl von Menschen, die bestimmten Aussage zustimmten, nämlich: "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert." Das sind 17,6 Prozent. Weitere 21 Prozent sagen bei dieser Aussage: "Teils stimme ich zu, teils nicht." Die teils-teils-Aussagen bedeuten für die Forschung ein gefährliches Potenzial. Sie nennen das latente Zustimmung, denn die kann sich unter Umständen auch in eine manifeste Zustimmung verwandeln.

Die Bundestagswahl kommt früher als erwartet. Was könnten die Ergebnisse der Studie für diese Wahl bedeuten?

Seibel: Oliver Decker sagte, es sei ein Irrtum, zu glauben, dass die AfD nur in ostdeutschen Bundesländern große Wahlerfolge feiern könne. Angesichts der Ausländerfeindlichkeit im Westen, so sagt er, kann er sich vorstellen, dass das auch dort passiert. Ausländerfeindlichkeit hat es immer schon gegeben. Aber früher sei sie nicht wahlentscheidend gewesen. Das hat sich jetzt bei einem nennenswerten Prozentsatz geändert.

Was kann man dagegen tun?

Seibel: Die Forschenden sagen: Es ist so wichtig, dass die Demokratie im Alltag gelebt wird, dass wir wissen: Wir sind wirklich in einer Demokratie. Wir werden nicht von oben herab regiert, sondern wir haben auch was mitzubestimmen. Das geht bis rein in die Betriebe, in die Schulen, in die Familien. Natürlich haben auch die politischen Parteien und die Medien eine große Aufgabe: nämlich mehr über die Sachthemen und die echten Probleme zu reden und keine Ressentiments zu transportieren.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Vormittag | 13.11.2024 | 10:20 Uhr

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