Alan Gilbert zur US-Wahl: "Das Land hat seine Orientierung verloren"
Der 78-jährige Republikaner Donald Trump hat die US-Präsidentenwahl gewonnen. Der Dirigent Alan Gilbert zeigt sich im Interview wenig erfreut darüber: "Ich war noch nie so pessimistisch wie heute."
Alan Gilbert wurde 1967 in New York City geboren. Er war von 2009 bis Juni 2017 Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker und ist seit September 2019 Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters.
Herr Gilbert, wie haben Sie die letzten Stunden erlebt - haben Sie die Wahlnacht verfolgt?
Alan Gilbert: Ich hoffe, es ist okay, dass ich auf Englisch antworte. Ich bin zu aufgeregt, um all das, was ich zu sagen habe, auf Deutsch zu sagen. Ganz ehrlich, ich kann einfach nicht glauben, dass wir jetzt, acht Jahre später, wieder hier stehen und darüber reden müssen. Was für ein erbärmlicher Zustand, in dem sich die Welt befindet.
Ich bin nicht die ganze Nacht auf geblieben, um die Ergebnisse der Wahl zu verfolgen. Aber es war klar, als ich schlafen ging, dass es nicht unbedingt in die richtige Richtung geht. Das ist wirklich ein komisches Gefühl, für mich als Amerikaner zu sehen, wie dieses Land seine Orientierung verloren hat. Wie zynisch!
Das war ganz klar eine bewusste Strategie, die Leute ungebildet und desinformiert zu halten. Für diejenigen, die an der Macht sind, scheint das zu funktionieren. Es ist traurig zu sehen, dass die Mehrheit der Amerikaner für etwas gewählt haben, dass ihnen letztendlich schaden wird. Diese ganze Idee, dass früher alles besser war und wir wieder zurück müssen in die sogenannten goldenen Zeiten - rein faktisch betrachtet sind die Dinge heute doch besser als je zuvor! Aber die Leute werden gerne in dem Glauben gelassen, dass immer jemand anderes Schuld an dem Ganzen ist und man sich deshalb vor denen schützen muss.
Ich werde nicht aufgeben und versuchen weiterhin hoffnungsfroh zu bleiben. Aber ehrlich gesagt war ich noch nie so pessimistisch wie heute. Es sieht nicht nur in Amerika so düster aus. Überall gibt es extreme Tendenzen, und ich hoffe, dass es sich irgendwann wieder einpendeln und in die richtige Richtung gehen wird.
Wie so oft werden dann diejenigen, die verantwortlich sind für das ganze Chaos und den angerichteten Schaden, sich aus der Verantwortung ziehen und verleugnen, auf der falsche Seite der Geschichte gestanden zu haben. Lassen Sie uns die Daumen drücken, dass sich die Menschheit nicht irgendwann selbst zerstört.
Sie waren acht Jahre lang Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker und sind darüber hinaus gut mit der US-amerikanischen Musik- und Kulturszene vernetzt. Was hören Sie aktuell von Ihren Freunden und Bekannten?
Gilbert: Dieses Land ist so gespalten, und ich habe absolut nichts zu tun mit denjenigen, die diesen wirklich üblen Mann gewählt haben. Ich glaube, wir leben in unterschiedlichen Blasen. In meinem Bekanntenkreis ist kaum jemand zu finden, der politisch anderer Meinung ist, als ich. Klar gibt es hier und da gesunde Meinungsunterschiede, aber grundsätzlich sehen wir die Dinge ähnlich. Wir hatten gehofft, dass Trump nicht gewählt wird.
Kunst ist irgendwo verbunden mit Politik, aber gleichzeitig auch getrennt davon. In diesen herausfordenden Zeiten ist es nie wichtiger gewesen, nach der Wahrheit zu suchen. Und darum geht es in der Kunst: um die Suche nach der Wahrheit. Ich zum Beispiel arbeite damit, meine Meinung zu sagen. Das ist nicht jedermans Sache und das ist okay. Ich sehe Kunst nicht zwingend als politisches Werkzeug. Das gesagt, ist die Grundlage einer jeden großen Kunst die Wahrheit und unseren Wissens- und Erfahrungsreichtum zu feiern. Das legte sozusagen das Fundament der Aufklärung. Und genau darum ist es jetzt wichtiger denn je, dass wir als Kulturschaffende so leidenschaftlich arbeiten, wie nie zuvor.
Was müsste passieren, um die aktuelle gravierende Spaltung in den USA aufzuheben?
Gilbert: Das wird ein sehr langer Prozess werden, denn hier geht's um eine kulturelle Spaltung. Und wenn da Menschen sind, die kein Interesse daran haben, Dinge zu hinterfragen, für die Fakten nichts bedeuten, dann ist es sehr schwer, eben diese Menschen umzustimmen. Ich hoffe nur, dass die Qualität nach der Wahrheit zu suchen, nicht vollends ausstirbt. Aber solange die Machtinhaber es in der Hand haben, den Zugang zu Bildung zu unterbinden und das Leben der Menschen auf einem niedrigen Niveau zu halten, sodass die unzufrieden bleiben und das Gefühl haben, dieses Regime weiter unterstützen zu müssen, werden wir es schwer haben.
Was glauben Sie, wie wird das deutsch-amerikanische oder europäisch-amerikanische Verhältnis in Zukunft aussehen?
Gilbert: Am Ende geht es doch um zwischenmenschliche Beziehungen. Und mir als Amerikaner ist die aktuelle Lage wirklich unangenehm, aber ich hoffe, dass man mich weiterhin als Mensch wahrnimmt und nicht als Teil einer Vorstellung davon, wie alle Amerikaner sein müssen. Denn es ist klar, dass nicht alle Amerikaner gleich sind, genauso wenig, wie alle Deutschen gleich sind.
Politisch gesehen, mit Blick auf die Nato und so weiter, bin ich ziemlich nervös. Ich habe echt keine Ahnung, was passieren wird. Aber ich setze auf die Möglichkeit, dass sich Menschen auch in Zukunft verstehen werden. Daran müssen wir einfach glauben.
Das Gespräch führte Julia Westlake.