Kliniken auf dem Land: Retten oder Schließen?
Viele Krankenhäuser sind unterfinanziert: Laut dem Krankenhaus-Rating-Report haben 13 Prozent hohe Insolvenzgefahr. Gerade kleinen Kliniken auf dem Land droht das Aus.
Mitten in der Corona-Krise kämpfen sie um ihr örtliches Krankenhaus im niedersächsischen Peine. Klinikpersonal und Bürger sammeln seit Wochen Unterschriften für den Erhalt des Hauses. "Dieses Krankenhaus wird gebraucht, und es ist natürlich ein Arbeitgeber, der ist wichtig für den Standort Peine und für die Identifikation auch der Bevölkerung des Landkreises", sagt Denise Lott, Oberärztin am Klinikum Peine.
Es geht um eine gefühlte Sicherheit
Doch das Klinikum ist seit langem hoch verschuldet und sanierungsbedürftig. Die Patientenzahlen sind immer weiter zurückgegangen, und so stellte der Betreiber Mitte März den Insolvenzantrag. Das Klinikum liegt zudem in einer Region, die verkehrsmäßig sehr gut angebunden ist. Im Umkreis gibt es mehrere große Kliniken - für die meisten Einwohner in weniger als 30 Minuten erreichbar. Aber es geht um eine gefühlte Sicherheit und so sieht sich die Lokalpolitik unter Druck. Sie will das Klinikum zurückkaufen.
"Das ist natürlich auch durchaus ein Vorteil, exzellente Maximalversorger vor der Haustür zu haben. Aber im gesamten politischen Raum ist es völlig klar, dass wir bereit sind dazu, diesen Beitrag zu leisten", verteidigt Henning Heiß von der SPD und Erster Kreisrat des Landkreises Peine die Entscheidung, ein finanzielles Risiko einzugehen. Man wolle den Bürgern nicht sagen müssen, sie seien die Einzigen, die kein Krankenhaus hätten.
"Es ist eine Milchmädchenrechnung"
Der Gesundheitsökonom Reinhard Busse findet, solche Kliniken um jeden Preis zu erhalten, mache keinen Sinn. Er hat 2019 gemeinsam mit anderen Experten eine Studie für die Bertelsmann-Stiftung herausgebracht. Ihr Ergebnis: Von 1.400 Kliniken in Deutschland könne man mehr als die Hälfte schließen - und hätte dann 600 größere, besser ausgestattete Kliniken. Daran hält er auch in Zeiten der Corona-Pandemie fest. "Es ist eine Milchmädchenrechnung, wenn wir nur den Kilometerweg zum Krankenhaus sehen", so Busse. "Wir müssten vielmehr die Minuten rechnen, die tatsächlich vergehen, bis Sie die Behandlung kriegen." Und das werde häufig dadurch kompliziert, dass viele der kleinen Krankenhäuser nicht entsprechend ausgestattet seien und in der Folge ihre Patienten umständlich in größere Kliniken verlegen müssten.
Schlechte Finanzierung liegt am System
Solche Aussagen ärgern Achim Brötel. Zwar hält er diese Argumente im Einzelfall für berechtigt, aber er sieht einen strukturellen Fehler. Die Bertelsmann-Studie verkenne die Realität im ländlichen Raum. Landrat Brötel betreibt im Neckar-Odenwald-Kreis zwei kleine Kliniken. Beide Standorte haben zusammen rund 400 Betten, im Jahr werden dort 60.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Die Kliniken decken dabei eine riesige Fläche in Baden-Württemberg ab. Wenn sie schließen müssten, wäre man vielerorts auf Hubschrauber angewiesen. Der Landkreis muss allein in diesem Jahr 7 bis 8 Millionen Euro zuschießen, um sie am Leben zu erhalten. "Das sind Dinge, die einfach am Finanzierungssystem liegen: Wir bekommen die Leistungen nicht mehr bezahlt", sagt Landrat Achim Brötel. "Wenn das so weitergeht und niemand da ist, der diese Defizite ausgleicht, dann werden die Krankenhäuser sterben."
Der gerade erschienene "Krankenhaus Rating Report 2020" hat festgestellt, dass die Krankenhausstruktur in etwa 40 Prozent der Landkreise "instabil" sei. Dort gebe es viele kleinere Kliniken, die sich wirtschaftlich schlechter betreiben ließen. Denn während die großen Kliniken in den Städten viel mehr lukrative Operationen leisten können, bieten Krankenhäuser im ländlichen Bereich vor allem eine Grundversorgung - die viel schlechter finanziert wird. Chronische Krankheiten, Altersleiden - all das bringt im aktuellen Vergütungssystem kaum Geld.
Wird es die nötigen Reformen geben?
Boris Augurzky ist Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Er fordert eine schnelle Reform, weil Ressourcen wie Fachkräfte immer knapper werden. "Was wir brauchen, ist ein Gesamtkonzept für die Versorgung der Bevölkerung gerade auf dem Land", so der Experte. Wenn man Kliniken schließe, müsse vor allem das Rettungswesen professionalisiert werden und ein gutes ambulantes Angebot vorhanden sein. "Momentan ist es so, dass vieles, was im Gesundheitswesen passiert, ungesteuert erfolgt", sagt Augurzky.
Die Folge ist, dass viele Bürger auf die Barrikaden gehen, wenn ihre Klinik vor Ort geschlossen werden soll. Die Diskussion, wie die Kliniklandschaft zukünftig aussehen soll, auch vor dem Hintergrund einer älter werdenden Bevölkerung, ist längst überfällig. Landrat Achim Brötel hat sich bereits mit einem Hilferuf an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gewandt. "Wir haben am Telefon miteinander gesprochen", erzählt Brötel. Aber viel getan hat sich seitdem nicht, die Bundespolitik meidet das hoch emotionale Thema lieber.