Stand: 14.01.2020 18:09 Uhr

Parchimer Kinderklinik unter Druck

von Simona Dürnberg, Andrea Everwien, Philipp Hennig, Nils Naber und Lisa Wandt

von Simona Dürnberg, Philipp Hennig und Nils Naber

Claudia Schmidt
Für die Mutter zweier Frühchen, Claudia Schmidt, ist die Schließung der Kinderstation Parchim eine Katastrophe.

Seit Dezember vergangenen Jahres steht fest: Die Kinderstation im mecklenburgischen Parchim bleibt vorerst vollständig geschlossen. Für Mütter wie Claudia Schmidt ist das eine "Katastrophe" - mit ihren beiden Frühchen ist Claudia Schmidt auf ein Kinderkrankenhaus in der Nähe angewiesen. Nun muss die Mutter auf das 50 Kilometer entfernte Schwerin oder auf das noch weiter entfernte Rostock ausweichen.

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Tagesklinik in Planung

Betreiber der Klinik in Parchim ist der Asklepios-Konzern. Laut Asklepios werde der Betrieb der Kinderstation bald wieder aufgenommen, allerdings nur tagsüber und mit vier statt der ehemals 16 Betten. Im Notfall sollen die Kinder am Abend und in der Nacht per Hubschrauber nach Schwerin geflogen werden. Einen Landeplatz gibt es dafür aber in Parchim noch nicht.

Gesundheitsminister Harry Glawe kam im Dezember des vergangenen Jahres nach Parchim, um die Tagesklinik-Lösung zu verkünden. Die Sicherstellung der Krankenhausversorgung fällt in seinen Aufgabenbereich. Laut Glawe sei diese nicht in Gefahr: Die Versorgung sei "durch den Maximalversorger Schwerin über 24 Stunden sichergestellt". Von Parchim nach Schwerin fährt man allerdings fünfzig Minuten. Laut Akademie für Kinder- und Jugendmedizin sei ein solcher Fahrtweg zu lang.

Ärztemangel als Grund für Schließung?

Asklepios Klinik Parchim
Guido Lenz, Asklepios Regionalgeschäftsführer, begründet die Schließung der Kinderklinik mit dem Ärztemangel.

Ausweichen auf Schwerin oder Rostock - mit dieser Notlösung müssen die Eltern und Kinder in Parchim und Umgebung schon seit Juni des vergangenen Jahres zurechtkommen, seitdem ist die Kinderstation stillgelegt. Asklepios begründet diese Entscheidung mit dem Ärztemangel: "Mittlerweile ist es halt so, dass es unheimlich schwer ist, Ärzte zu rekrutieren, weil es wenige Ärzte sind, weil sie auch sehr ungern ins ländliche Gebiet kommen. Weil sie sich lieber in Ballungsräumen aufhalten", so Guido Lenz, Asklepios Regionalgeschäftsführer.

Doch wie kam es zu dem Ärztemangel? Im vergangenen Jahr verließen in kurzer Zeit gleich mehrere Ärzte die Klinik. Ein Arzt sei in den Ruhestand gegangen, anderen Kinderärzten sei gekündigt worden. Alle Versuche, die Stellen nachzubesetzen, blieben laut Asklepios erfolglos.

Online-Petition gegen Schließung

Die junge Mutter Nastja Lange hatte schon vor einem halben Jahr eine Online-Petition gestartet, um die Kinderstation zu erhalten. 50.000 Menschen haben unterschrieben - gebracht hat es bisher nichts. Nastja Lange möchte trotzdem weiterkämpfen - auch um Parchim als Wohnort für junge Familien zu erhalten: "Mich als junge Familie zieht hier eigentlich nichts mehr her, wenn ich weiß, dass meine Kinder nicht adäquat medizinisch versorgt werden können", so Lange.

Verlustgeschäft Kinderklink?

Kinderstationen - vor allem im ländlichen Raum - sind wirtschaftlich nicht immer ertragreich. Darauf weist auch eine aktuelle Studie hin. Um die Versorgung rund um die Uhr sicherzustellen, braucht es viel Personal. Das ist teuer. Gleichzeitig gibt es in Mecklenburg-Vorpommern immer weniger Kinder und damit Patienten im ländlichen Bereich. 

Asklepios Regionalgeschäftsführer Guido Lenz betont, dass die Schließung der Kinderklinik in Parchim "keine wirtschaftliche Entscheidung" gewesen sei. Asklepios würde die Klinik gerne "mit ihrem vollem Leistungsportfolio am Netz halten", aber ohne Ärzte funktioniere dies nicht.

Proteste gegen Schließung

Mit der Tagesklinik-Lösung und der vorübergehenden Schließung der Kinderklinik sind viele Menschen in Parchim und um Umgebung nicht einverstanden und zeigen sich bei Protesten empört über den Gesundheitsminister Harry Glawe.

Auch der zuständige Landrat Stefan Sternberg ist entrüstet und vermutet finanzielle Gründe hinter der Klinikschließung: "Am Ende sind es Konzerne, die diese Krankenhauslandschaft prägen und die dann auch mal ganz schnell gucken zwischen Daumen und Zeigefinger, ob sich das noch rechnet und ich glaube einfach, dass Parchim ein Opfer der Daumen- und Zeigefingerpolitik so eines Konzerns ist", so Sternberg.

Bundesweit weniger Kinderbetten

Die Zahl der Kinderbetten ist in Deutschland von 31.000 auf circa 18.000 zurückgegangen - obwohl die Zahl der behandlungsbedürftigen Kinder ansteigt, auch die der chronisch kranken Kinder.

Professor Claus-Peter Zimmer leitet die Kinderklinik der Uni Gießen. Er merkt an: Chronisch kranke Kinder seien von so manchem Geschäftsführer ungern gesehen. Ein früherer Arbeitgeber habe ihm das auch einmal schriftlich mitgeteilt: "Wenn ich weiter so viele chronisch kranke Kinder behandle, dann wird man mir die Schwestern-Stellen und die Arzt-Stellen streichen, damit ich nicht mehr auf die Idee komme, sie zu behandeln", so Zimmer.

So offen wie Zimmer äußern sich nur wenige Kinderärzte. Auch er habe von seinem Arbeitgeber die Auflage erhalten, nur über die allgemeinen Entwicklungen in der Kinderheilkunde zu sprechen.

Geburtenstation in Crivitz auch bedroht

Der Protest in Mecklenburg-Vorpommern richtet sich mittlerweile nicht nur gegen die Schließung der Kinderstation in Parchim. Denn gleichzeitig soll auch noch die Geburtenstation eines weiteren Klinikbetreibers im 20 Kilometer entfernten Crivitz geschlossen und nach Parchim verlegt werden.

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig pfeift ihren eigenen Minister zurück und verlangt Nachverhandlungen. "Wir sehen es sehr kritisch, dass Unternehmen Gewinne machen und dort, wo das nicht geht, schließen sie. Das machen wir nicht mit", so Schwesig.

Wenige Tage später einigt man sich darauf, ein halbes Jahr zu überlegen, wie man die Fusionen der Geburtsstationen Crivitz und Parchim verhindern kann. Die Schließung der Kinderstation in Parchim wird aber offenbar nicht erneut diskutiert.

Ver.di fordert Rekommunalisierung

Steffen Kühhirt von ver.di glaubt, dass Asklepios mitverantwortlich für die Probleme sei. Er plädiert dafür, sich nicht von einem privaten Betreiber abhängig zu machen.
Wie viele andere Menschen in Parchim fordert er eine Rekommunalisierung der Kinderklinik in Parchim: "Nach meinem Dafürhalten muss wirklich ernsthaft geprüft werden, die Kinderklinik oder vielleicht das ganze Haus zu rekommunalisieren. Weil es ja ganz offenkundig ist, dass Asklepios es nicht aus eigener Kraft schafft, oder auch nicht aus eigenem Willen heraus."

Beim zuständigen Kreis Ludwigslust-Parchim bestätigt man auch, dass über die Rekommunalisierung von Teilen des Krankenhauses nachgedacht werde. Ob das die Kinderstation in Parchim rettet, bleibt allerdings offen.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 14.01.2020 | 21:15 Uhr

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Gesundheitspolitik