Bereichern sich Kliniken an fehlerhaften Herzgeräten?
Kliniken verdienen offenbar an defekten Medizinprodukten. Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung lassen sich Krankenhäuser implantierbare Defibrillatoren von Krankenkassen bezahlen, obwohl sie diese als Ersatz für defekte Geräte vom Hersteller kostenlos erhalten haben. Der AOK-Bundesverband wirft den Krankenhäusern vor, sich auf diese Art zu bereichern. Nach Angaben der Kasse sei allein ihren Versicherten dadurch ein Schaden von mehreren zehn Millionen Euro entstanden.
AOK: Grundlegendes Problem
Die Kasse geht von einem grundlegenden Problem bei der Abrechnung von Austauschoperationen aus. Es handele es sich nicht um einen Einzelfall, sagte Jürgen Malzahn vom Bundesverband der AOK. Pro Jahr gebe es mehrere Serienschäden bei unterschiedlichen Medizinprodukten wie Hüftprothesen oder Brustimplantaten. Wie oft tatsächlich vom Hersteller kostenlose Ersatzgeräte zur Verfügung gestellt werden und die Kliniken sie abrechnen, ist unklar.
Im konkreten Fall hatte die Firma St. Jude Medical - heute Abbott - im Oktober 2016 vor einer vorzeitigen Batterieentladung bei bestimmten Herzgeräten gewarnt. Es handelte sich um sogenannte implantierbare Herzdefibrillatoren. Sie können einen kräftigen Stromstoß abgeben, wenn das Herz aus dem Takt gerät, damit sich der Herzschlag wieder normalisiert. Sollte sich die Batterie unbemerkt entleeren, könnte das Gerät im Notfall nicht reagieren.
Der Hersteller schrieb damals, wenn die Entscheidung getroffen werde, das betreffende Gerät auszutauschen, stelle St. Jude "ein Ersatzgerät kostenlos zur Verfügung". Bei wie vielen Patienten dies erfolgt ist, ist unklar. Der Medizinproduktehersteller Abbott, zu dem das frühere Unternehmen St. Jude heute gehört, hat auf Anfrage von NDR, WDR, SZ nicht reagiert. Nach Schätzungen der AOK ließen sich in Deutschland Tausende Patienten ihr Gerät wechseln.
Abrechnung über Fallpauschale
Für diese Austausch-Operationen stellen Krankenhäuser den Kassen eine pauschale Summe in Rechnung. Die sogenannte Fallpauschale enthält verschiedene Kosten, etwa die für Personal, aber auch die für das Gerät. Nach der Auffassung von Jürgen Malzahn vom AOK-Bundesverband hätten die Kliniken den Anteil für die Herzgeräte abziehen müssen.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht dies so. Auf Anfrage teilte sie mit, Kliniken müssten die Abrechnung um die Gerätekosten mindern. Der Kostenvorteil dürfe nicht bei den Kliniken liegen.
AOK versucht Geld einzutreiben
Im Fall der fehlerhaften Defibrillatoren versucht der AOK-Bundesverband seit zwei Jahren, das Geld zumindest nachträglich wieder einzutreiben - offenbar ein mühsames Geschäft. Jürgen Malzahn sagt, die Kliniken würden die Kassen nicht einmal pflichtgemäß informieren, so dass sie gar nicht erst erführen, ob und wo nach einem Serienschaden entsprechende Ersatzgeräte eingesetzt würden.
Inzwischen weiß die AOK nach eigenen Angaben von 146 Krankenhäusern in Deutschland, in denen Patienten Ersatzgeräte eingesetzt wurden. Etwa die Hälfte der angeschriebenen Kliniken hat nach Angaben der AOK inzwischen die Kosten für die Ersatz-Herzdefibrillatoren erstattet, unter anderem das Klinikum Oldenburg. Es teilte auf Anfrage mit, dem Haus sei es wichtig gewesen eine Lösung zu finden, "damit keine unbeabsichtigte Bereicherung unseres Krankenhauses entsteht". Deshalb habe die Klinik den Anteil für die Implantatkosten nachträglich aus den Rechnungen heraus gerechnet und so "verhindert, dass die Versichertengemeinschaft durch Mehraufwendungen geschädigt wird".
Einige Kliniken weigern sich
Weitere Kliniken verhandeln offenbar noch mit der AOK. Einige Krankenhäuser verweigern sich allerdings hartnäckig, die Kosten zu erstatten. NDR, WDR und SZ fragten einige Kliniken exemplarisch an, die sich nach ihren Informationen weigern, die Gerätekosten zurückzuzahlen, unter anderem das Klinikum der Barmherzigen Brüder in Trier. Das Krankenhaus rechnete Austausch-Operationen nach eigenen Angaben in vollem Umfang ab, obwohl der Hersteller kostenlose Geräte zugesagt hatte.
Das Klinikum gibt nun an, nicht zu wissen, ob es die Ersatzgeräte tatsächlich umsonst erhalten hat. Die Recherche dazu gestalte sich schwierig, teilte es mit, "da zu diesem Zeitpunkt noch keine patientenbezogene Zuordnung von Implantaten erfolgte". Gleichzeitig betont das Klinikum jedoch, dass es sich grundsätzlich mit den Abrechnungen "vollkommen im Rahmen der entsprechenden gesetzlichen Regelungen" bewege, also auch bei Fällen, in denen ein kostenloses Ersatzgerät zur Verfügung gestellt wird.
Unklare rechtliche Lage
Andere Kliniken haben entweder gar nicht oder nur mit einem allgemeinen Statement reagiert. Das Kernargument: Die Abrechnung erfolge über das System der Fallpauschalen, auf die tatsächlichen Behandlungskosten komme es dabei nicht an. Juristisch ist derzeit nicht geklärt, ob eine solche Abrechnungspraxis rechtmäßig ist.
Der Medizinrechtler Andreas Spickhoff von der Universität München hält sie jedenfalls für "nicht zufriedenstellend". Er spricht von einem "verkorksten System" und fordert von der Politik eindeutige klare Regeln. Seiner Ansicht nach muss sie die Gesetze so ändern, dass kostenlose Ersatzgeräte für defekte Produkte am Ende nicht den Kassen in Rechnung gestellt werden dürfen.
Das Bundesgesundheitsministerium sieht jedoch offenbar keinen Handlungsbedarf. Es beurteilt das Vorgehen der Kliniken anscheinend als rechtens. In einer Antwort auf eine Anfrage von NDR, WDR und SZ teilte das Ministerium mit, die Höhe der Fallpauschalen würde auf der Grundlage von Stichproben berechnet. Vergütet würden dann die "im Durchschnitt entstehenden Kosten". Insofern sei für die Abrechnung nicht erheblich, ob diese Kosten "auch in Gänze in jedem Einzelfall entstehen". Das bedeutet also, dass die Kliniken aus Sicht des Ministeriums weiterhin Ersatzgeräte in vollem Umfang in Rechnung stellen dürfen, selbst dann, wenn sie sie umsonst bekommen haben.