Gefangen in Europa
Eine Nacht im Gefängnis
Spätabends wird klar, man wird uns nicht gehen lassen. Wir werden fotografiert, müssen Fingerabdrücke abgeben, uns nackt ausziehen. Kurz bevor unsere Telefone in einen Spint geschlossen werden, erhalten wir eine letzte Sprachnachricht von Hassan: "Alena, das wird das letzte Mal sein, dass du von mir hörst. Bald gehen unsere Telefone aus. Wenn uns keiner holt, werden wir einer nach dem anderen sterben. Ruft das Rote Kreuz, das Fernsehen ..." Die Sprachnachricht reißt ab, man nimmt uns unsere Handys weg und schließt uns in eine Zelle. Am nächsten Tag werden wir vor dem Gerichtssaal vom griechischen Boulevardfernsehen empfangen. Ob wir verheiratet seien, will eine Reporterin aufgeregt wissen. Im Gerichtssaal ist mir bitterkalt. Ich zittere vor Müdigkeit und Angst. Angst davor, wie dieser Prozess in einem fremden Land für uns ausgehen wird. Betreten militärischen Sperrgebiets kann in Griechenland mit mehreren Jahren Haft bestraft werden. Und Angst um Hassan und die Jungs, die in Sichtweite des griechischen Festlandes vermutlich immernoch um ihr Leben bangen. Alles scheint surreal.
Während wir warten öffnet sich die Gerichtstür und ein Polizist führt dreizehn Menschen herein. Uns stockt der Atem. Hany, Kais, Anis, die Frau mit dem Baby und die anderen. Sie sind gepackt worden, die dreizehn Hoffnungslosen aus dem griechischen Dickicht. Müssen gleich aussagen, ebenso wie wir. Waren wir gestern noch erhabene deutsche Journalisten, die an der Grenze gestrandete Flüchtlinge interviewten, so sitzen wir nun im selben Boot. Werden derselben griechischen Richterin vorgeführt. Müssen alle um unsere Zukunft bangen. Unsere Blicke treffen sich, wir schauen zu Boden. In den folgenden zwei Stunden werden wir so tun, als hätten wir uns noch nie zuvor gesehen.
"Rede nicht mit den Flüchtlingen"
Nacheinander werden sie nach vorne gerufen, von der Richterin nach ihren Namen gefragt. Sie lügen. Was sie an der Grenze gemacht hätten, werden sie gefragt. Sie seien gerade aus Syrien nach Europa gekommen, behaupten sie. Die Richterin hält sie für illegale Eindringlinge nach Europa. Dass sie in Wahrheit ihr Leben riskiert haben, um Europa wieder zu verlassen, ahnt hier niemand. Sie kommen in ein geschlossenes Camp für vier Monate. Gefangen in Europa. Als sie aus dem Gerichtssaal geführt werden, werfe ich ihnen einen letzten Blick zu. "Rede bloß nicht mit den Flüchtlingen", gibt mir unser Dolmetscher einen wohlgemeinten Rat. "Das macht hier keinen guten Eindruck."
Wir werden freigesprochen. Die Richterin räumt die schlechte Beschilderung des militärischen Sperrgebiets ein, glaubt uns, dass wir ohne Vorsatz die verbotene Zone betreten haben. Wir werden aus dem Gerichtssaal geführt, an den Kamerateams vorbei, zurück zur Polizeistation. Eine Ewigkeit, bis wir unsere Telefone wieder anschalten können. Fast 40 Stunden, nachdem wir uns in der Nacht von unserem Protagonisten Hassan verabschiedet haben, erfahren wir, dass er sein Ziel Türkei erreicht hat. Erst jetzt das Gefühl der Erleichterung. Doch gerettet wurde Hassan weder von den Türken, noch von den Griechen. Es war ein Schleuser, engagiert von Familienangehörigen in der Türkei, wissend, dass syrische Leben in Europa heute kaum noch etwas wert sind. Hassan, der Friseur aus Greifswald, der vor drei Jahren hoffnungsvoll nach Deutschland kam, setzt jetzt seine Hoffnungen auf die Türkei. In Istanbul wird er noch einmal ganz von vorne anfangen.
- Teil 1: "Wie kann ich leben?"
- Teil 2: Ein panischer Anruf
- Teil 3: Eine Nacht im Gefängnis