Kein Familiennachzug: Von der Willkommenskultur zur Abschreckung
Salah hat gehört, Deutschland sei das beste Land der Welt, als er sich im Mai 2015 hierher auf den Weg macht. Seine Familie bleibt zunächst in Syrien. Seine Frau Fidan ist schwanger. Er will sie so auf keinen Fall mitnehmen auf die lebensgefährliche Flucht nach Europa. Tochter Zuzu ist anderthalb Jahre alt, als Salah sie zurücklassen muss. Salah will alleine vorfahren und sie auf sicherem Weg nachholen, sobald er in Deutschland ist. Heute wäre seine Tochter Zuzu vier Jahre alt, sie hätte einen Bruder, Bayram. Doch Salahs Familie wird nie wieder komplett sein.
Salah flieht 2015 vor dem Krieg
Im Jahr 2015, als so viele kamen, war es für anerkannte Flüchtlinge nach deutschem Recht noch möglich, Kinder und Ehepartner nachzuholen. Jede Woche registrierten sich Tausende syrische Männer in Deutschland, die nur deshalb alleine vorgefahren waren, weil sie von diesem Recht Gebrauch machen wollten. Aber seit diesen Monaten im Jahr 2015, als noch galt: "keine Obergrenze für politisch Verfolgte", ist viel passiert.
In Syrien sollte Salah für das Regime kämpfen, er hatte einen Brief von der Armee bekommen. Kämpfen in Assads Armee bedeutet: Beteiligung an Tötung von Zivilisten, Folter von Gefangenen und anderen Verbrechen. Dies ist der Auslöser für Salahs Flucht. Als er es 2015 bis nach Ratingen in Nordrhein-Westfalen schafft, glaubt er, dass er seine Familie innerhalb eines halben Jahres aus Aleppo rausholen kann. Er muss neun Monate warten, bis er seinen Asylantrag stellen kann. In Deutschland rechnet er mit dem Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention, ist am Anfang sehr motiviert.
Damals wurden die meisten Syrer in Deutschland als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt, sie bekamen damit ein Aufenthaltsrecht für drei Jahre und das Recht, ihre Familien nachzuholen. Heute bekommen knapp 60 Prozent der Syrer nur den minderen Schutz, den sogenannten subsidiären Schutzstatus, sie haben damit ein Aufenthaltsrecht für ein Jahr und dürfen ihre engsten Familienangehörigen nicht nachholen.
Kein Nachzug und weniger Schutz
Hinter dieser neuen Entscheidungspraxis steckt eine einfache wie folgenschwere Rechnung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière: Weil er die "Überlastung der Aufnahmesysteme" befürchtete, ordnete das Ministerium die Herabsetzung des Schutzstatus für Flüchtlinge aus Syrien an und setzte den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz bis März 2018 aus.
Als Salah mehr als ein Jahr nach seiner Ankunft in Deutschland endlich seinen Asylbescheid bekommt, wird ihm lediglich ein minderer Status, der sogenannte subsidiäre Schutz, zugesprochen, der ihm nicht das Recht gibt, seine Familie zu sich zu holen. Salah kann es nicht fassen, er hätte seine Familie niemals zurückgelassen, wenn er sich nicht auf dieses Recht verlassen hätte. "Ich habe jede Hoffnung verloren, als ich diesen Bescheid bekam. Wie sollte ich das meiner Frau erklären?", erzählt er. Salah versteht nicht, wieso sich die Regeln plötzlich geändert haben, an seiner Bedrohung in Syrien habe sich doch schließlich nichts geändert.
200.000 Syrer warten auf ihre Angehörigen
Die Regierung hatte die Asylregeln schrittweise so verschärft, dass viele Männer, die alleine vorgefahren waren, bis heute ohne ihre Familien in Deutschland sind. Es warten immer noch schätzungsweise rund 200.000 Syrer in Deutschland auf ihre Angehörigen. Genau benennen lässt sich diese Zahl nicht, denn bisher durften die meisten von ihnen nicht mal einen Antrag auf Familiennachzug stellen.
Salahs Frau kann im Dezember 2016 nicht länger in Aleppo ausharren, sie macht sich mit den beiden kleinen Kindern auf den Weg in die Türkei, nach Izmir. Sie warten dort auf die Gelegenheit, nach Griechenland zu kommen. Salah klagt in der Zwischenzeit gegen seinen Asylbescheid. Wenn er doch noch als Flüchtling anerkannt wird, könnte er seine Familie endlich holen. Es vergehen drei Monate, bis seine Frau so verzweifelt ist, dass sie nur noch die Flucht über das Meer als Ausweg sieht. Sie und ihre beiden Kinder Zuzu und Bayram können nicht schwimmen, als sie die Überfahrt nach Griechenland wagen.
"Mein Herz hat mir gesagt, dass sie dabei sind"
Salah sitzt damals in seinem Zimmer in seiner Ratinger Flüchtlingsunterkunft, er befürchtet, dass etwas nicht stimmt, als er seine Frau den ganzen Tag nicht erreichen kann. Er probiert es stundenlang, beginnt im Internet nach Nachrichten zu suchen. Erst findet er nichts, dann liest er: "21 Menschen sind ums Leben gekommen, ertrunken vor der türkischen Küste." "Mein Herz hat mir gesagt, dass sie dabei sind", sagt Salah. Nach 300 Metern war das Schlauchboot durch eine Welle umgekippt. Fidan, Zuzu und Bayram ertrinken im Mittelmeer. Salah selbst hat kein Visum, um zu ihnen zu reisen, sie zu begraben. Er darf Deutschland nicht verlassen. Er kann nicht zu ihnen zurückkehren, muss aber 3.000 Euro für ihre Überführung bezahlen. Die Familie wird in ihrer Heimat Aleppo begraben.
Salah hatte gegen seinen Asylbescheid geklagt. Er wartet noch auf das Urteil. Er hat gute Chancen, nun doch noch den richtigen Flüchtlingsschutz zu bekommen. Innenminister Thomas de Maizière möchte trotzdem den Familiennachzug für subsidiär Geschützte auch über 2018 hinaus aussetzen.