Familiennachzug: Kommen wirklich mehr Syrer?
In dieser Woche veröffentlichte "Bild" eine angeblich exklusive Zahl: 390.000 Syrer dürften 2018 ihre Familien nachholen. Die Zahl der von Deutschland erteilten "Visa zur Familienzusammenführung" stiegen deutlich an. Dabei seien die Deutschen laut "Bild" gar nicht begeistert davon, dass so viele Flüchtlinge ihre Familienangehörigen zu sich holen dürfen, 58,3 Prozent lehnten den gesetzlich vorgesehenen Nachzug ab.
Bereits in der Vergangenheit hatten "Bild" und andere Medien immer wieder mit Prognosen über Millionen Flüchtlinge, die über den Familiennachzug nach Deutschland kommen würden, Angst und Panik geschürt. Jetzt verbreitet "Bild" mit dem Bericht erneut den Eindruck, Deutschland bewillige massenhaft Visa an Syrer, Tendenz steigend. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Bundesregierung bremst Nachzug
Denn bereits im März 2016 hatte die Bundesregierung den Familiennachzug stark gebremst. Seit dem sogenannten "Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren" ist der Familiennachzug für alle Flüchtlinge ausgesetzt, die zwar als Bürgerkriegsflüchtlinge, nicht jedoch als individuell Verfolgte anerkannt sind. Ein Großteil der Syrer, über deren Asylanträge seit März 2016 entschieden wurde, darf momentan nicht einmal die engsten Angehörigen zu sich holen.
Und sogar für diejenigen, die nach Genfer Konvention anerkannt sind und dadurch noch das Recht haben, ihre Angehörigen zu sich zu holen, ziehen sich die Verfahren momentan oft über Jahre hin. Gründe dafür sind monatelange Wartezeiten auf Termine bei den deutschen Auslandsvertretungen und immer strengere bürokratische Nachweisanforderungen bei deutschen Botschaften. Diese Forderungen sind teilweise kaum zu erfüllen: Zum Beispiel, wenn eine syrische Mutter aufgefordert wird, aus der Türkei zurück ins Heimatland Syrien zu reisen, um dort die Pässe für sich und ihre Kinder verlängern zu lassen. Im Klartext bedeutet das: Familien sind häufig über viele Jahre getrennt.
"Bild"-Zahlen erwecken falschen Eindruck
Dabei sollen die Gesetze zum Familiennachzug eigentlich dafür sorgen, dass Familien zusammen sind und Familienangehörige, vor allem Kinder, sich nicht auf lebensgefährliche Fluchtrouten begeben müssen. Deshalb hat jeder offiziell anerkannte Flüchtling innerhalb von drei Monaten nach seiner Anerkennung das Recht, eine Zusammenführung mit seiner Kernfamilie zu beantragen. Sie dürfen dann mit einem Visum sicher nach Deutschland einreisen.
"Bild" schreibt aktuell von einem deutlichen Anstieg auf rund 230.000 bewilligte Anträge auf Familiennachzug über das Visumverfahren. Die Zahl ist richtig, doch es wird ein falscher Eindruck erweckt, denn sie bezieht sich auf alle erteilten Visa weltweit und nicht nur auf syrische Flüchtlinge.
Allein im Jahr 2016 haben etwa 200.000 Syrer und Iraker den vollen Flüchtlingsschutz in Deutschland erhalten, sie alle haben ein Recht darauf, ihre engsten Familienangehörigen zu sich zu holen. Laut BAMF stellten 2016 rund 56,4 Prozent mehr Menschen einen Antrag auf Asyl als noch 2015. Daraus ergibt sich automatisch auch ein Anstieg der Anträge auf Visa zur Familienzusammenführung. Aktuell könnten rund 268.000 Syrer ihre Familien nachholen, diese Zahl ist nicht neu.
Anspruch für Minderjährige verfällt
Mit welchen Zahlen "Bild" belegen will, dass 2018 "allein rund 390.000 Syrer ihre Familien zu uns holen" dürfen, wird nicht klar. Es klingt, als handele es sich dabei und Menschen, die sicher nach Deutschland einreisen dürften. Dabei ist derzeit noch überhaupt nicht absehbar, wie viele anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte, tatsächlich noch ihre Familienangehörigen zu sich holen werden. Für viele Minderjährige, die auch zu dieser Gruppe gezählt werden, wird der Anspruch auf Familiennachzug bis zum März 2018 sogar komplett verfallen.
Mit Zahlen, die nicht eindeutig sind und als exklusiv verkauft werden, lässt sich aber offenbar besonders gut Panik verbreiten. Im Jahr 2015 hatte "Bild" berichtet, dass "allein von den bis zu 920 000 Asylbewerbern (...) durch Familiennachzug bis zu 7,36 Millionen Asylberechtigte werden" könnten.