Stand: 12.04.2018 06:00 Uhr

Gefangen in Europa

von Alena Jabarine

Ein panischer Anruf

Doch zwei Stunden später weckt mich ein Anruf. "Wir sind gekentert", schreit Hassan, "der Schleuser weg." Panik in seiner Stimme. Fast wären sie ertrunken, doch gemeinsam mit sieben anderen Männern hätte er sich auf eine kleine Insel gerettet. Im Halbschlaf fahren wir zurück Richtung Grenze, noch unschlüssig, was zu tun ist. Denn die Insel, auf der Hassan und die anderen festhängen, befindet sich mitten auf der Grenze. Auf der Grenze zweier Staaten, deren Beziehung gerade so angespannt ist, wie seit Jahren nicht mehr. Wir rufen den Pressesprecher der türkischen Provinz Edirne an, mit ihm hatten wir für heute Nachmittag ein Interview vereinbart. Daraus wird nun ein Hilferuf. Er werde die türkischen Sicherheitskräfte alarmieren, verspricht er, die würden nach den Männern suchen. Wir fahren weiter, rufen nun auch den Pressesprecher der griechischen Regierung an, der ebenfalls beteuert, die griechische Grenzpolizei alarmiert zu haben. Wir fragen uns, wer den Männern wohl schneller zur Hilfe eilen wird.

Hassan, Flüchtling aus Syrien. © NDR/ARD
Will zurück zu seiner Familie: Hassan.

Nahe der Grenze zum militärischen Sperrgebiet parken wir unser Auto und marschieren los. Während die Sonne über wunderschöne griechische Landschaften scheint, sitzt nur wenige hundert Meter von uns entfernt Hassan aus Greifswald auf einer kleinen Flussinsel und wartet darauf, gerettet zu werden. Doch weder die Griechen, noch die Türken kommen. Wir laufen durch Felder, über matschigen Boden, durch menschenleere Natur, wollen so nah wie es geht an den Fluss, so nah wie es geht zu Hassan. Plötzlich sehen wir hinter an einer Wegkreuzung drei Männer vorbeihuschen. Sind das Schleuser? Sie kommen auf uns zu, wir atmen tief durch. Doch ihre verängstigten Blicke verraten sie, es sind Flüchtlinge. Excuse me, sagt einer von ihnen, how can we get to Turkey? Sie führen uns zu ihrer Gruppe. Auf einer kleinen Lichtung sitzen sie, entkräftet, dreizehn Syrer, die ebenso wie Hassan Deutschland für immer verlassen wollen. Kaiss kommt aus Weimar, Hany aus Koblenz, Anis aus Frankfurt. Etwas abseits sitzt mit dem Rücken zu uns eine junge Frau aus Itzehoe mit einem Baby.

Sie sind zurückgelassen worden von einem Schleuser, wissen nicht, wie sie allein über den Evros in die Türkei kommen sollen. Sie haben kein Geld, nichts zu trinken, kaum noch Akku. Doch sich den Griechen zu stellen ist für sie keine Option. Aus Angst, wieder zurück nach Deutschland geschickt zu werden. "Warum habt ihr Deutschland verlassen?" fragen wir. "Ich habe zwei Jahre lang in einem Container gelebt", sagt die Frau mit leiser Stimme. "Das war kein Leben." "Ich habe seit fünf Jahren meine Kinder nicht gesehen", sagt ein zierlicher Mann, "ich werde versuchen, sie aus Syrien in die Türkei zu holen." "Ich bin das einzige Kind, das in meiner Familie noch übrig ist", sagt ein Junge mit blauer Kapuze. "Ich möchte in der Türkei arbeiten, um meinen Eltern zu helfen." Die Luft bleibt stehen. Mein Handy piept. Eine Nachricht von dem türkischen Beamten. "Wir können die Männer auf der Insel nicht retten, die Insel befindet sich auf griechischem Territorium."

"Was tun Sie hier?"

Wir wollen zurück zum Auto, unsere Handys aufladen. Auf dem Weg sehen wir aus der Ferne einen griechischen Polizeiwagen auf uns zufahren. Endlich! Was tun Sie hier? Fragt der dickliche griechische Polizist, den Arm lässig aus dem Fenster hängend. Dies ist militärisches Sperrgebiet. Wir haben Sie doch gerufen, antworten wir. Keine Reaktion. Papiere, sagt der eine. Einsteigen, sagt der andere. Die Polizei, auf die wir seit acht Stunden warten, ist nicht gekommen, um Hassan zu retten. Sie ist gekommen, um uns in Gewahrsam zu nehmen. Es geht zur Polizeistation nach Didimoticho. Dem Ort, an dem wir gestern noch Hassan interviewt hatten. In dem Büro, in dem jedes Bild an der Wand schief hängt, müssen wir unsere Aussage machen. Stunden vergehen, während wir auf zwei grauen Stühlen an der Wand sitzen in Angst, dass diese Geschichte kein gutes Ende nehmen wird. Weder für uns, noch für Hassan.

Wir telefonieren mit Türken, Griechen und Deutschen. Bis in die höchsten Instanzen sind alle alarmiert, doch auch die höchsten Instanzen versichern uns, in diesem Fall nichts tun zu können, für Hassan und die anderen Gekenterten, die in diesem Moment an Äste geklammert um ihr Leben bangen, weil sie in Deutschland nicht das fanden, was sie sich erhofft hatten. "Das ist zu nah an der türkischen Grenze", sagt ein griechischer Beamter. "Wenn wir die Männer retten, werden die Türken auf uns schießen." Also lässt Griechenland sie dort einfach verrecken? "Weißt du, wie viele Flüchtlinge wir hier schon haben sterben sehen?", sagt er und zündet sich eine Zigarette an.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 12.04.2018 | 21:45 Uhr

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