Blick auf eine Waschmaschine © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun Foto: Oleksandr Latkun

Waschmaschinen & Zimmerböden: Warum sind manche Geflüchtete gleicher als andere?

Stand: 29.04.2022 19:28 Uhr

Steckt hinter der Aussage der CSU-Politikerin Brendel-Fischer, Ukraine-Geflüchtete wüssten wie eine Waschmaschine funktioniert, unbewusster Rassismus? Das fragt Panorama-Autor Sulaiman Tadmory in seinem Kommentar.

von Sulaiman Tadmory

Sulaiman Tadmory
Panorama-Autor Sulaiman Tadmory.

Die bayrische Integrationsbeauftragte Gudrun Brendel-Fischer hat in einer Pressemitteilung geschrieben: Ukrainischen Geflüchteten müsse nicht erklärt werden, wie eine Waschmaschine funktioniert oder dass auf dem Zimmerboden nicht gekocht werden darf. Viele Geflüchtete haben auf Social Media kritisch auf diese Aussagen reagiert. Und weil ich selbst Ende 2015 aus Syrien geflohen bin, weiß ich, was solche Aussagen bei Geflüchteten, die nicht aus der Ukraine kommen, auslösen können. Denn gleichzeitig sehen wir uns größeren Hürden des Staates gegenüber, als die neuen Geflüchteten.

Integration bisher: "Ist halt alles total kompliziert"

Von Ende der 1980er bis Anfang der 1990er-Jahre durften Geflüchtete nach ihrer Ankunft jahrelang, in einigen Fällen bis zu sieben oder sogar zehn Jahre, nicht arbeiten oder einen Deutschkurs machen. Dadurch waren viele Geflüchtete gezwungen, illegal zu arbeiten. Einige Menschen haben sich sogar kriminellen Machenschaften zugewandt.

2015 wollte die Politik es besser machen und den Geflüchteten eine Chance geben, sich zu integrieren. Allerdings wurden uns immer noch viele Hürden gestellt: lange, bürokratische Asylverfahren, monatelange Arbeitsverbote, Residenzpflicht, unsichere Aufenthaltsstatus. Alles ist sehr kompliziert und schwierig. Man kann z.B. oft die sogenannte "Niederlassungserlaubnis" nicht bekommen, wenn man keinen syrischen Pass oder eine Geburtsurkunde hat. Aber wie können Geflüchtete eine Urkunde von Assads Regime erwarten, wenn sie doch vor seinem Folter-Regime geflohen sind? "Tja", sagten viele, "so ist das System nun mal".  Es gibt halt keine Ausnahmen und es war eh immer alles so kompliziert.

Seit Anfang des Krieges in der Ukraine sind Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan etc. sehr enttäuscht. Denn das Problem liegt offenbar doch nicht nur an dem "System".

Warum manche Flüchtlinge gleicher sind als andere?

Für die ukrainische Geflüchteten gibt es weniger Bürokratie. Sie müssen kein langwieriges Asylverfahren durchlaufen, dürfen sich aussuchen, wo sie in der EU hingehen und viele von ihnen bekommen Wohungsangebote, was für andere Geflüchtete die größte Herausforderung ist. Und die Integrationsbeauftragte Gudrun Brendel-Fischer befürwortet diese Bevorzugung.

Blick auf eine Waschmaschine © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun Foto: Oleksandr Latkun
Um Waschmaschinen geht es wohl nicht bei Brendel-Fischers Aussage, meint Panorama-Autor Sulaiman Tadmory.

In einer Pressemitteilung appelliert sie öffentlich an den Bund, Ukrainerinnen und Ukrainern schnellstmöglich und koordiniert einen Zugang zu Sprachkursangeboten zu ermöglichen: "Ukrainischen Geflüchteten muss nicht erklärt werden, wie eine Waschmaschine funktioniert oder dass auf dem Zimmerboden nicht gekocht werden darf." 

Hätte ich also nicht "auf dem Zimmerboden gekocht", wäre ich dann auch bevorzugt worden? Wenn wir Syrer das bloß gewusst hätten… Aber im Ernst: Glaubt irgend jemand, dass es hier um Waschmaschinen geht?

Unbewusster unreflektierter Rassismus?

Nachdem viele meiner syrischen geflüchteten Freunde Gudrun Bendel-Fischers Aussagen auf Social Media kritisiert und die Integrationsbeauftragte auf diesen Posts markiert haben, äußert sie sich nochmal: "Bitte bewerten Sie das von mir Geschriebene und nicht das von anderen Assoziierte."

Gudrun Brendel-Fischer, Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung © picture alliance/dpa | Nicolas Armer Foto: Nicolas Armer
Nach ihrer "Waschmaschinen"-Aussage häuft sich Kritik an der bayerischen Integrationsbeauftragten Gudrun Brendel-Fischer.

Sehr viele haben geäußert, dass sie sich diskriminiert gefühlt haben. Statt sich zu entschuldigen, sagt sie, diese Menschen hätten das bloß selbst assoziiert!

Wie kann eine Frau Integrationsbeauftragte in Bayern sein, die anscheinend einfach nicht interkulturell sensibilisiert ist? Die Pressemitteilung haben viele ihrer Kolleg:innen gesehen, anscheinend hat keiner bemerkt, was an dieser Aussage schlimm ist? 

Wie soll eine Integrationsbeauftragte Ausländer:innen helfen, sich besser und mehr zu integrieren, wenn sie trotz massiver Kritik von Geflüchteten ihre Aussage nicht ändert? Schadet die Integrationsbeauftragte selbst der Integration?

Die Politik ist einfach gerade unfair gegenüber vielen Geflüchteten - sie fühlen sich so weniger als Teil der Gesellschaft, eher als Flüchtlinge zweiter und Menschen dritter Klasse.

Die meisten Politiker:innen möchten nicht, dass Geflüchtete sich diskriminiert fühlen. Sie arbeiten viel für bessere Integration, nur das Wichtigste tun sie oft nicht: Über ihre eigenen Worte nachdenken. Die Pressemitteilung der Integrationsbeauftragten ist ein Beispiel dafür. Fehlt Erfahrung? Oder Empathie und Mitgefühl? Oder steckt eine andere Wahrheit dahinter?

Sind Geflüchtete Teil der Gesellschaft?

Ich habe unter Geflüchteten oft die Diskussion gehört: "Sind wir hier willkommen und Teil der Gesellschaft oder sind wir nur moderne Sklaven, die gerne die Drecksjobs machen dürfen?"

Dann kam der Krieg in der Ukraine, was viele Syrische Geflüchtete sehr berührt hat, denn sie wissen wie schlimm Krieg und Flucht sind. Aber danach hat sie noch etwas anderes berührt: die auffällige Ungleichbehandlung von Geflüchteten. Und damit endete die Diskussion, ob wir hier  wirklich willkommen und Teil der Gesellschaft sind - oder nicht. Denn die Antwort ist: Nein. 

 

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Das Erste | Panorama | 09.11.2021 | 21:15 Uhr

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