Wohnen in Deutschland will gelernt sein
Andom Geremedehn grübelt, in welche Tonne der Eierkarton gehört: die blaue, braune, gelbe oder grüne? Der Eritreer entscheidet sich für gelb. Ein Eierkarton ist schließlich eine Verpackung. Knapp vorbei, dennoch lobt ihn Joachim Gerke von der Stadtentsorgung in Rendsburg: "Es ist schwierig. Andom sagt zu Recht, es ist eine Verpackung, aber wenn eine Verpackung Papier ist, dann bitte in die blaue Tonne." Andom Geremedehn sucht eigentlich eine Wohnung. Darum lernt er vorher noch, wie man ein guter deutscher Mieter wird. Dafür bietet die Stadt Rendsburg den Flüchtlingen einen Kurs an, das Ziel: der "Mieterführerschein".
Der "Mieter-Lehrplan" von Andom Geremedehn und seinen Mitstreitern umfasst alles, was ein Vorzeigemieter beherrschen sollte: die Hausordnung, fachgerechtes Stoßlüften, den korrekten Umgang mit Küchengeräten - und eben Müll trennen nach der deutschen Verpackungsverordnung. Leben auf Deutsch in vier Lektionen.
"Mieterführerschein" gegen Vorurteile
Um die realen Alltagsprobleme von und mit Flüchtlingen zu lösen, haben sich ein paar engagierte Beamte aus Rendsburg diesen Kurs ausgedacht. "Mit Samthandschuhen kommen Sie nicht weit", findet der Initiator Uwe Jensen, ein Mann mit festem Händedruck und schwerer Aktentasche. Die Teilnahme am Projekt ist freiwillig und soll helfen, bei Vermietern Vorurteile abzubauen. Denn Tausende Flüchtlinge suchen derzeit in Deutschland eine Wohnung auf dem normalen Wohnungsmarkt. Doch viele finden keine. Jensen glaubt, dass liegt auch an Vorurteilen der Vermieter.
In Rendsburg etwa hatte eine Flüchtlings-WG Pommes gemacht und das Fett auf dem Herd vergessen. Plötzlich stand die Pfanne in Flammen. Die Flüchtlinge versuchten das heiße Fett mit Wasser zu löschen. Eine schlechte Idee: Es kam zu einer kleinen Explosion. Zu Schaden kam niemand, aber die Dunstabzugshaube war hinüber, die Küche musste renoviert werden. "In einer kleinen Stadt wie Rendsburg spricht sich so was unter Vermietern schnell rum", sagt Jensen. Das führe dazu, dass einige Vermieter nicht so sehr gern an Flüchtlinge vermieten. "Bei einigen weiß ich definitiv, dass es so ist, bei anderen gibt es schon immer gewisse Vorbehalte." Mit dem "Mieterführerschein" will er versuchen, diesen Vorbehalten etwas entgegen zu setzen. Seine Schützlinge würden den Vermietern dadurch zeigen, dass sie motiviert sind, mit dem Eigentum der Vermieter sorgsam umzugehen.
Staubsaugerbeutel und Wäschenetz
Im Kurs für Haushaltselektronik wechselt Flüchtling Rami Chihada aus Syrien deshalb jetzt ganz korrekt den Staubsaugerbeutel. Oder er lässt sich von einem Fachverkäufer aus dem lokalen Elektrofachgeschäft erklären, dass man einen BH in ein Wäschenetz steckt, bevor er in die Waschmaschine kommt. "Ein Kopfkissenbezug geht auch", erklärt der Verkäufer. Ein BH könne sich sonst in der Schleuder verfangen, dann sei die teure Waschmaschine kaputt. Die Flüchtlinge hören zu, nicken viel. Nach jeder Lektion erhalten sie alle Inhalte in einer Mappe, auf Arabisch und mit vielen Piktogrammen.
Jensen ist bewusst, dass einige Kursinhalte etwas komisch wirken können, aber er hält sie für sinnvoll: "Viele Menschen, die geflüchtet sind, kommen aus ähnlichen Verhältnissen wie den unseren. Wenn sie aber Menschen nehmen, die aus ärmeren Regionen stammen, die nicht so hochtechnisiert sind, da haben Sie durchaus Probleme mit der Haushaltstechnik. Das sollte man gar nicht so belächeln, das ist wirklich wahr. Dass bei einem Staubsauger mal der Beutel gewechselt werden muss, das ist manchmal nicht so leicht zu vermitteln."
Zur feierlichen Übergabe der "Mieterführerscheine" im Rathaus gratuliert sogar der Bürgermeister persönlich: "Ich bin stolz auf Sie", sagt Pierre Gilgenast (SPD). Dann bekommt jeder der acht Teilnehmer seine laminierte Urkunde mit Stempel. "Ich hoffe, das hilft, eine Wohnung zu finden", sagt Rami Chihada. Aktuell wohnt er in der etwa 40 Quadratmeter großen alten Bademeisterwohnung am Schwimmbad. Seine Frau schläft mit den beiden Kindern im Schlafzimmer, Rami Chihada hat sein Bett ins Wohnzimmer gestellt, neben den Esstisch.
Kurse im "Umgang mit orientalischen Mietern"
Aber nicht nur die Flüchtlinge drücken die Schulbank: Manfred Neuhöfer hat schon mehr als 200 Hausmeistern und Hausverwaltern Kurse im "Umgang mit orientalischen Mietern" gegeben. Neuhöfer schreibt sonst Gutachten über Mietpreisentwicklungen für die Bundesregierung, aber jetzt sieht er akuten Handlungsbedarf. "Wohnungsunternehmen haben es hier mit einer Klientel zu tun, die sie vorher so nicht hatten. Türkische Migranten, die hier aufgewachsen sind, wissen, wie der Hase in Deutschland läuft." Die hätten zwar auch ihre Gepflogenheiten, wüssten aber, wie die Regeln und Normen in Deutschland sind, auch beim Thema Wohnverhältnisse. "Die Leute aus Syrien, aus Afghanistan aus dem Irak, die sind ein paar Monate lang in einer Sammelunterkunft gewesen und müssen dann eigentlich von Grund auf lernen, wie das Wohnen hier in Deutschland funktioniert." Deshalb müssten Hausmeister genau wissen, wer kommt und wie man die neue Zielgruppe ansprechen muss.
Neuhöfer war selbst oft im "Orient", wie er sagt. Seine Frau ist Marokkanerin. Die meisten von dort kämen hier schnell gut klar, sagt er: "Aber wenn nur einer von 500 seinen Müll aus dem Fenster wirft, dann kann man sagen, der Anteil ist ja sehr klein. Trotzdem ist das Problem, das entsteht, wenn Müllsäcke aus dem zehnten Stock geworfen werden und zerplatzen, so groß, dass ein Wohnungsunternehmen sich um diesen Fall kümmern muss."
Bei ihm lernen Hausmeister jetzt, was zu tun ist, wenn sich männliche Flüchtlinge tagsüber langweilen und dann in den Wohnanlagen die Spielplatzbänke besetzen. Viele Mütter fühlten sich dadurch gestört und beobachtet. "Da muss ein Wohnungsunternehmen handeln", sagt Neuhöfer. "Ich empfehle den Wohnungsunternehmen, auf die jungen Männer zu zugehen und ihnen im Zweifelsfall auch Räume anzubieten. Etwa eine leer stehende Garage, wo sie etwas machen können." Er höre aber manchmal auch von Wohnungsunternehmen, dass als Ultima Ratio Parkbänke abmontiert worden seien, um Sitzgelegenheiten zu entziehen.
Gar nicht so viele Unterschiede im Zusammenleben
Rami Chihada glaubt, so viele Unterschiede gebe es eigentlich nicht im Zusammenleben. Aber er kann manche Vorbehalte von Vermietern verstehen: "Bei uns gibt es arme und reiche Leute und gebildete und ungebildete." Und manche seien eben ein bisschen lauter und machten viel Müll. Er selbst hat gute Neuigkeiten: Ob es am "Mieterführerschein" lag oder nicht, wenige Wochen nach Kursbeginn hat Rami Chihada in Rendsburg eine Wohnung gefunden. Zentral in der Innenstadt mit genug Platz für seine beiden Kinder und die Familie. "Ich bin sehr glücklich, dass es jetzt geklappt hat. Ich hoffe, es fängt ein neues Leben an", sagt er.