Ein ausgebrannter Tanklaster in Afghanistan. © dpa picture alliance Foto: epa Jawed Kargar

Kundus-Angriff: Menschenrechtsgericht entlastet Deutschland

Stand: 16.02.2021 15:46 Uhr

Die Ermittlungen der deutschen Justiz zu einem Luftangriff im afghanischen Kundus 2009 mit vielen Toten sind nach Ansicht des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausreichend gewesen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die deutsche Justiz im Verfahren um den Nato-Luftangriff im afghanischen Kundus entlastet. In dem Fall, über den auch Panorama berichtete, wurden mehr als 100 Menschen bei einem Luftangriff auf entführte Tanklaster getötet, darunter dutzende Zivilisten. Abdul Hanan, der seine acht- und zwölfjährigen Söhne verlor, warf Deutschland Menschenrechtsverletzungen und mangelnde juristische Aufarbeitung vor.

(Archiv-Beitrag vom 21.01.2010)

VIDEO: Bundeswehr in Afghanistan: Gelähmte Armee (7 Min)

Grund für den Angriff damals war die Kaperung zweier Tanklaster durch radikalislamische Taliban in der Nähe des deutschen Feldlagers in der nordafghanischen Provinz Kundus. Bundeswehr-Oberst Georg Klein ordnete die Bombardierung an, da er befürchtete, dass die Tanklaster als rollende Bomben gegen das Feldlager und die Bundeswehr-Soldaten eingesetzt werden könnten.

"Humanitäre Hilfeleistung" statt Entschädigung

Die Ermittlungen der deutschen Justiz zu dem Angriff seien ausreichend gewesen und Deutschland habe nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, urteilten die Straßburger Richter. Bereits zuvor wurden Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen Oberst Klein eingestellt, da sich nicht ausreichend Anhaltspunkte für einen Verdacht ergeben hatten. Die Hinterbliebenen scheiterten mit Entschädigungsklagen vor deutschen Gerichten, die Bundesregierung hatte den betroffenen Familien nach eigenen Angaben aber eine "humanitäre Hilfeleistung" in Höhe von je 5.000 Dollar gezahlt.  

Gespaltene Reaktionen auf das Urteil

Franz Josef Jung (CDU) hat das Urteil begrüßt. Jung war Bundesverteidigungsminister zum Zeitpunkt des Angriffs. Zwar seien in jener Nacht "leider Gottes Opfer zu beklagen" gewesen, die Entscheidung für den Angriff sei jedoch aus damaliger Sicht begründet gewesen.

Der Berliner Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck hob hervor, dass es nie eine deutsche Entschuldigung für den Luftangriff gegeben habe. Die beiden Vertreterinnen der Bundesrepublik hätten zwar in der Anhörung des Falls vor der Großen Kammer des EGMR im vergangenen Jahr ihr Bedauern über die zivilen Opfer zum Ausdruck gebracht. "Es wäre aber schön gewesen, wenn das auch direkt an Hanan und andere Dorfbewohner kommuniziert worden wäre", sagte Kaleck. "Das hätte eine große Wirkung gehabt." 

 

Weitere Informationen
Die US-Kampfdrohen "Predator" am Himmel über Afghanistan © dpa / picture-alliance Foto: Kirsty Wigglesworth

Bundeswehr in US-Drohnenangriffe verwickelt?

Laut "New York Times" soll die Bundeswehr auch nach Ende des Nato-Kampfeinsatzes in Afghanistan in US-Drohnenangriffe gegen Terrorverdächtige verwickelt gewesen sein. Das Bundesverteidigungsministerium wies den Bericht zurück. mehr

Warnschilder auf dem ehemaligen NATO-Trainingsgelände (Firing Range) bei Bagram, Afghanistan. © NDR

Afghanistan: Keine Räumung von Blindgängern?

Die Bundesregierung will ein mit Bundeswehr-Munition verseuchtes Areal in Afghanistan offenbar nicht gründlich räumen. Panorama hatte über Blindgänger als tödliches Erbe der NATO berichtet. mehr

Ein Bundeswehrsoldat und ein Dolmetscher in Bundeswehruniform sprechen nahe Kundus im Distrikt von Char Darreh mit Bewohnern. © picture alliance/dpa Foto: Maurizio Gambarini

Deutschland lässt afghanische Helfer im Stich

Afghanische Ortskräfte waren unsere Helfer - zum Beispiel als Dolmetscher. Jetzt drohen ihnen die Taliban mit dem Tod. Trotzdem wird ihnen die Ausreise nach Deutschland oft verweigert. mehr

Die Rauchsäule der Sprengung eines Blindgängers in Afghanistan. © NDR

Das tödliche Erbe der NATO

Die ISAF-Truppen hinterlassen in Afghanistan ein tödliches Erbe: Blindgänger. Überall, wo gekämpft wurde, wo es Luftangriffe gab - und auch dort, wo sie trainiert haben. mehr

US-Soldaten in Afghanistan © dpa / Philippe E. Chasse

Massaker an Kindern: Was Afghanistan aus Soldaten macht

Wie wird aus einem Soldaten ein Massenmörder, der kaltblütig Kinder erschießt? Panorama hat mit Soldaten und Afghanistan-Kennern gesprochen, die beschreiben, wie der Krieg Menschen verändert. mehr

Ein Bundeswehrsoldat patrouilliert in Kundus (23.11.2004). © dpa - Bildfunk Foto: Peter Endig

Bundeswehr in Afghanistan: Die gelähmte Armee

Vor acht Jahren sind deutsche Soldaten ausgezogen, um den Frieden zu sichern. Aber in Afghanistan herrscht kein Frieden, sondern Krieg. mehr

Bundeswehrstreife, Bild. NDR. © NDR

Krieg in Afghanistan - die verbitterten Opfer der Bundeswehr

Ein Bundeswehrsoldat tötete irrtümlich eine afghanische Frau und zwei Kinder. Deutschland zahlte ein "Blutgeld". Damit sei die Sache erledigt, hieß es. Doch ist das wirklich so? mehr

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 21.01.2010 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bundeswehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Das Panorama-Archiv

Alle Panorama-Beiträge seit 1961: Stöbern im Archiv nach Jahreszahlen oder mit der Suchfunktion. mehr

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?