Boris Herrmann an Deck der Malizia © Pierre Bouras

Boris Herrmann bei der Route du Rhum: Feuertaufe in der Hölle

Stand: 04.11.2022 15:50 Uhr

Zwei Jahre nach seinem Start zur Vendée Globe geht es für Weltumsegler Boris Herrmann wieder allein aufs Wasser. Die zwölfte Auflage des Transatlantik-Klassikers Route du Rhum wird für den Hamburger der erste Solo-Härtetest mit seinem neuen Schiff.

von Bettina Lenner und Sven Kaulbars

Es regnet wie aus Kübeln in der bretonischen Hafenstadt Saint-Malo. Die ungewöhnlich warmen vergangenen Wochen ziehen Tiefdruckgebiete mit kräftigen Stürmen nach sich. Es wird verflixt ungemütlich für Boris Herrmann und die anderen Solo-Segler, die am Sonntag (13.02 Uhr) in das Transatlantik-Abenteuer Route du Rhum starten. Ein Klassiker seit mehr als 40 Jahren - und ohnehin berüchtigt wegen seiner ruppigen Bedingungen.

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Boris Herrmann zeigt an Deck der Malizia Daumen hoch. © Antoine Auriol

Start der Route du Rhum mit Boris Herrmann jetzt live

Mit dreitägiger Verspätung sind die 138 Skipper in ihr Transatlantik-Abenteuer gestartet. NDR.de überträgt noch bis 16 Uhr im Livestream (in englischer Sprache). mehr

Stürme und Seegang: "Für die Nerven das Extremste"

"Die erste Woche wird sehr hart. Wir haben wahrscheinlich drei aktive Kaltfronten, die wir durchqueren müssen, bevor wir die angenehmeren Gefilde im Süden erreichen", prognostiziert Herrmann und weiß als erfahrener Seemann genau, was damit auf ihn zukommt. Wind bis zu 55 Knoten, bis zu zehn Meter Seegang: "Das ist für die Nerven, für das Schiff, für das Material das Extremste, was man sich vorstellen kann. Das wird wirklich eine Feuertaufe."

VIDEO: "Malizia - Seaexplorer": Herrmanns Hightech-Yacht für die Weltumseglung (3 Min)

Ganz ungelegen kommen dem 41-Jährigen die extremen Bedingungen indes wohl nicht. Ist seine zweite Teilnahme an der Route du Rhum doch der Stresstest mit der neuen "Malizia - Seaexplorer". Erst Mitte Juli war das bewusst robust gebaute Hightech-Boot vom Stapel gelaufen. Kaum vier Monate später folgt nun schon eine echte Bewährungsprobe.

"Wir werden bei diesem Rennen alle Segelbedingungen haben. Es ist meteorologisch super anspruchsvoll und interessant, das ganze Team wird unheimlich viel lernen", sagt Herrmann, der zwei Jahre nach seiner aufsehenerregenden Teilnahme bei der Vendée Globe erstmals wieder solo im Einsatz ist. "Ich freue mich darauf. Es ist ein tolles Schiff und kann am Wind fliegen", schwärmt der Hamburger, der die gut 18 Meter lange Rennyacht selbst mitkonzipiert hat.

Beim Grundvertrauen ins Schiff "noch misstrauisch"

Doch noch längst läuft nicht alles glatt. Gibt es technische Schwierigkeiten, wie erst die jüngsten Trainingsfahrten wieder zeigten. Auch deshalb ist Herrmann zurückhaltend: "Ich mag mein Schiff, aber beim Grundvertrauen bin ich noch misstrauisch, weil wir in den vergangenen Wochen zu viele Probleme hatten", räumt der viermalige Weltumsegler ein.

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Es braucht einfach seine Zeit, bis Mensch und Material harmonieren. Und so geht es für das Team Malizia beim 3.540 Seemeilen (6.562 Kilometer) langen Sprung über den großen Teich nach Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe nicht um eine Top-Platzierung, sondern um "die Weiterentwicklung des Bootes und das Ankommen", erklärt Herrmann, der bei seiner Route-du-Rhum-Premiere vor vier Jahren mit der Vorgängerin Fünfter geworden war.

"Bei der letzten Route du Rhum hatte ich bereits zwei ganze Saisons gesegelt, darunter zwei Transatlantiks, und war bei der Lernkurve mit dem Schiff bei 90 Prozent. Jetzt bin ich bei 40 Prozent und ganz am Anfang", erläutert er.

"Wer weiß, vielleicht komme ich gut durch die ersten Stürme. Kann dann richtig angreifen und schön nach Guadeloupe düsen. Aber ich will mir selbst nicht zu große Hoffnungen machen. Es ist ein langer Weg, bis so eine Maschine im Racemodus sein kann." Boris Herrmann

In weniger als 14 Tagen über den großen Teich

Gefordert sind beim Einhand-Klassiker 138 Solisten aus 15 Nationen, darunter sieben Skipperinnen, die in sechs Klassen und alle gleichzeitig starten - so viele wie noch nie. Klimabotschafter Herrmann, der unterwegs erneut Daten für die Meeresforschung sammeln wird, gehört zu den 37 Imoca-Skippern und will den weiten Weg in die Karibik in weniger als 14 Tagen hinter sich bringen.

Kommt er ins Ziel, hat er die Qualifikation für seine zweite Vendée-Globe-Teilnahme 2024/2025 schon sicher - dann mit ausgereiftem Boot. Bei seiner Premiere hatte nur die Kollision mit einem Fisch-Trawler kurz vor dem Ziel eine noch bessere Platzierung als Rang fünf verhindert.

Beim Ocean Race wieder rund um den Erdball

Auf dem Weg dorthin steht nach der Route du Rhum, auf der einst Piraten im 17. und 18. Jahrhundert Rum aus der Karibik nach Europa brachten, bereits am 15. Januar 2023 die nächste Herausforderung an: Der gebürtige Oldenburger wird erstmals beim Ocean Race mitsegeln. Das wichtigste Mannschaftsrennen um die Welt mit Stippvisite in der Kieler Förde führt in sieben Etappen um die Erde. "Beim Ocean Race sollten wir dann auch in der Position sein, das Rennen wettkampforientiert anzugehen. Darauf freuen wir uns alle", blickt Herrmann auf die "Kür" voraus.

Zunächst aber kommt die Pflicht. Gilt es, das Schiff am Sonntag beim Spektakel von Saint-Malo mit rund einer Million Fans im Pulk der anderen 137 Boote unbeschadet über die nur 0,9 Seemeilen lange Startlinie zu bugsieren. Im Nordatlantik Wind und Wetter zu trotzen - und sich dann von den Passatwinden im warmen Süden ins Ziel tragen zu lassen.

Eine Flasche Rum für die Seele und die Erinnerung

Damit das gelingt, hat Herrmann neben ganz viel Technik und seglerischem Know-how traditionell eine Flasche des Getränks dabei, das der Route du Rhum seinen Namen gibt - und dem gepeinigten Seemann Kraft. Herrmann: "Wenn ich mich eine Woche durch diese Hölle gekämpft habe, mit aufkommender tropischer Stimmung an Bord so langsam der Muskelkater, die Schmerzen und der Schlafentzug entweichen, dann kann ich vielleicht mal an dieser Flasche Rum riechen und mich daran erinnern, dass es auch noch ein Leben außerhalb dieses reinen Überlebenskampfes gibt."

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 06.11.2022 | 22:50 Uhr

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