Auf See mit Boris Herrmanns Malizia - Das hat gesessen!
Gefährlich, spektakulär und ruppig - am 10. November startet der Hamburger Skipper Boris Herrmann bei der Vendée Globe. Zum zweiten Mal nimmt er daran teil: ganz allein, "non stop" einmal um die Welt. Die NDR Reporter Tom Gerntke und Sven Kaulbars durften vor der bretonischen Atlantikküste in Lorient auf der Malizia Seaexplorer mitsegeln. Das hat gesessen.
Lorient, 10:30 Uhr. Wir treffen uns im Hangar vom Team Malizia. Es liegen Taue auf dem Boden, ein Paar Foils - geordnetes Chaos. Helene reicht uns Rettungswesten und Helme, was soll das denn jetzt? Es ist ein sonniger Morgen, fast windstill. Kein Grund zur Sorge also.
Boris Herrmann - der Skipper - ist malade. Liegt flach, hat sich irgendwas über Nacht eingefangen. Stattdessen übernimmt der Engländer Will Harris das Kommando. Spätestens mit dem Ocean Race im vergangenen Jahr ist Harris die rechte Hand von Boris, sein Co-Skipper.
An Harris‘ Seite sind heute die Amerikanerin Cole Brauer, Stuart McLachlan, kurz "Stew" und der legendäre Fly-Captain Antoine Auriol. Ebenfalls an Bord: der Bürgermeister von Lorient und ein Vertreter aus dem Sponsorenpool des Team Malizia.
Route einmal um die Ile-de-Groix
Wir stechen in See. Der Jockel schiebt uns aus dem Hafen von Lorient. Sanft gleiten wir an den alten U-Boot-Bunker-Anlagen aus dem Zweiten Weltkrieg vorbei, die inzwischen Zentrum des europäischen Hochseesegelsports sind und Trainingsort von Boris Herrmann.
Die Malizia Seaexplorer läuft zunächst unter Motor - ruhig und stetig fahren wir mit 17 weiteren Imoca-60-Yachten aufs offene Meer. Ziel ist die Startlinie vor der Ile-de-Groix, eine Insel, die der 60.000-Einwohner-Stadt Lorient vorgelagert ist. Einmal rum, als Erster im Ziel sein - darum geht's uns allen heute.
Nach 60 Sekunden dampfen wir aus jeder Pore
Die erste Überraschung für uns an Bord ist die forsche Ansage von Cole: "Jungs, kommt mal mit unter Deck. Hier ist der Grinder, zieht doch mal das Großsegel hoch." Sie erklärt uns kurz die Funktionsweise der Kurbel und dann geht's ab. Und zwar ab nach oben. Helm, Jacke, Rettungsweste - nach 60 Sekunden dampfen wir aus jeder Pore.
"Jungs, kommt mal mit unter Deck. Hier ist der Grinder, zieht doch mal das Großsegel hoch." Profi-Seglerin Cole Brauer
Cole steht kühl neben uns und sagt trocken: "Noch 10 Meter, Jungs. Come on!" Das kann doch jetzt nicht wahr sein. "Kauli" stöhnt, Tom pumpt, Cole lächelt. "Nur noch zwei Meter, gleich habt ihr's." Eine unfassbare Anstrengung. Nach gut drei Minuten ist es geschafft, das Großsegel angeschlagen auf 29 Meter Höhe.
Der Motor ist mittlerweile aus - Stille. Mitten rein ruft Stew "noch acht Minuten bis zum Start." Jetzt wird’s ernst. Wir legen uns an Deck platt auf den Rücken. Und jetzt wissen wir auch, warum wir Helme aufhaben. Über uns fliegt das Vorsegel von links nach rechts. Bloß nichts an den Kopf bekommen.
Harris gibt die Anweisungen: knackig, kurz, vertraut
Wir erwischen den fast perfekten Start, Bug an Bug passieren die 17 Schiffe die Startlinie und wir vorneweg. Harris und die Crew geben sich Anweisungen - knackig, kurz, vertraut. Das ist das Einzige, was man hört.
Und plötzlich macht das Schiff keine Fahrt mehr. Wir stecken in einem Flautenloch fest, direkt in der Abdeckung der Insel. Im Päckchen liegen die Rennmaschinen dicht an dicht nebeneinander. Ein Winddreher schiebt das Feld kurz darauf auseinander. Jetzt bekommen wir mal das Gefühl dafür, wie abhängig dieser Sport von feinsten äußeren Einflüssen ist.
Harris, ein gewiefter Taktiker, entscheidet sich gegen den Kurs, den ein Großteil der Flotte wählt. Die meisten Schiffe steuern Richtung offene See, Will beschließt, dicht unter Land zu bleiben. Kauli raunzt: "Falsche Entscheidung!" Das ist eben der Unterschied zwischen Profi-Segler und Laie.
Der Wind kommt zurück und die Malizia gewinnt an Fahrt. Während der Rest der Flotte mit zwei Knoten dahin dümpelt, machen wir immerhin sechs Seemeilen Fahrt. Harris streckt den Kopf aus dem Cockpit, guckt sich um und schmunzelt: "We take the lead." Was ein Teufelskerl!
Was für ein enges Finish
Für uns fühlen sich die sechs Knoten schon relativ flott an, dabei ist die Malizia einige Tage zuvor mit 36 Knoten durch die Bucht von Lorient geschossen. Tom wird schlecht bei dem Gedanken.
Wir erreichen die Ostspitze der Insel und halsen als führendes Boot in Richtung Ziellinie. Scheint 'ne sichere Nummer zu sein. Denkste! Wieder dreht der Wind und an der Backbord-Seite schieben sich zwei französische IMOCA-Yachten vorbei. Was für ein enges Finish. Wir beenden die Regatta auf Platz 3, schmeißen den Motor wieder an und steuern Richtung Lorient.
Fünfstündiger Segeltörn öffnet die Augen
Kurz vor der Hafeneinfahrt drehen wir das Schiff in den Wind und bergen das Großsegel. Was für ein riesen Lappen. 170 Quadratmeter extrem widerstandsfähiges Segeltuch. Allein die Vorstellung, einen Riss im Segel flicken zu müssen, so wie es Herrmann vor vier Jahren bei der Vendée Globe in Höhe Kap Hoorn bei schwerem Wetter tun musste, flößt uns kolossalen Respekt ein.
Ohnehin: Dieser fünfstündige Segeltörn, bei strahlendem Sonnenschein und leichten Bedingungen, hat uns die Augen geöffnet. Was diese Seglerinnen und Segler leisten, von handwerklichen Fertigkeiten, über taktische Finesse bis hin zu mentaler Stärke auf hoher See, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Es bleibt das letzte Abenteuer im professionellen Sport. Wir sind um einiges schlauer… und platt.