"Unsere Kurve" nennt mögliches Gästeverbot "populistisch"
Wiederholt hatte Innenministerin Daniela Behrens rund um das Niedersachsenderby zwischen Braunschweig und Hannover die Fan-Lager kritisiert. Nun hat die SPD-Politikerin um einen Ausschluss der Gästefans gebeten. Von der Fan-Organisation "Unsere Kurve", aber auch aus der Politik kommt Kritik an dem Vorhaben.
Der Plan von Behrens, die Niedersachsen-Derbys zwischen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig in der nächsten Saison ohne Gästefans stattfinden zu lassen, ist bei der politischen Konkurrenz auf Ablehnung gestoßen. Doch auch Bündnis 90/Die Grünen, Koalitionspartner der SPD im Land, lehnt das Vorhaben ab.
"Die unterschiedslose Bestrafung aller Fußballfans ist jedenfalls kein geeignetes Instrument, um zur Deeskalation beizutragen, sondern dürfte den notwendigen intensiven Dialog unnötig erschweren", sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Michael Lühmann, der "Braunschweiger Zeitung". CDU-Experte André Bock sagte, Kollektivstrafen würden "das falsche Signal" aussenden und "alle Fußballfans unter Generalverdacht".
Fan-Organisation: "Behrens stellt Unwissenheit zur Schau"
Auch "Unsere Kurve" hatte das geforderte Gästeverbot am Mittwoch als nicht zielführend zurückgewiesen. "Mit der Forderung der Einführung von Kollektivstrafen stellt Ministerin Behrens ihre komplette Unwissenheit der Sachlage zur Schau", teilte die Organisation mit. Behrens wolle sich als "Law-and-Order-Politikerin" gerieren.
Die SPD-Politikerin hatte nach einem Treffen mit Vertretern der Clubs im Innenministerium am Mittwoch ein "schwieriges Fazit" gezogen. Trotz der ernsthaften Bemühungen der Vereine und trotz umfangreicher Maßnahmen der Polizei habe ein massiver Einsatz von Pyrotechnik, erhebliche Sachbeschädigungen und verletzte Personen erneut nicht verhindert werden können. Alle ergriffenen Maßnahmen, sowohl baulich, technisch als auch organisatorisch, hätten nicht zu einem spürbaren Erfolg geführt.
Behrens: Stadion wird von "vermummter Minderheit zerlegt"
Grund sei das "aggressive Verhalten einiger weniger Chaoten". Diese erschienen unbelehrbar, sagte Behrens. Das Stadion werde von einer "vermummten Minderheit zerlegt" und exzessiv Pyrotechnik gezündet. Dies bedeute eine ernste Gefahr - für die Mehrheit der friedlichen Fans, für Ordner und die Polizeikräfte. "Ich akzeptiere das nicht und möchte das nicht länger hinnehmen", sagte Behrens. Sie habe die Verantwortlichen der Vereine daher gebeten, dass die Niedersachsen-Derbys in der kommenden Saison ohne auswärtige Zuschauer stattfinden und die Gäste-Kurve entsprechend leer bleibt, sagte Behrens.
Ausschluss auch bei anderen "Hochrisikospielen" möglich
Der Punkt sei erreicht, dass man der gewaltbereiten Minderheit im Stadion Konsequenzen aufzeigt. Eine entsprechende leere Gäste-Kurve soll in der Szene auch als "klares Signal" verstanden werden, sagte Behrens. Der Ausschluss der Gästefans soll zunächst nur für die nächste Saison gelten. Behrens kündigte an, dass das Land solche Maßnahmen auch für andere sogenannte Hochrisikospiele erwäge - "als Mittel der Wahl". Behrens kündigte zudem an, alle niedersächsischen Fußballvereine aus den ersten drei Ligen vor der neuen Saison zu einem "Sicherheitsdialog" einzuladen. Dieser soll ein ständiges Format werden. Gleichzeitig appellierte Behrens an den Deutschen Fußball Bund (DFB). Dieser müsse stärker an den Sicherheitsrichtlinien arbeiten - "und vor allen Dingen auch Maßnahmen ergreifen", so Behrens.
Eintracht Braunschweig: Ausschluss der Gästefans ist "ultima ratio"
Für die beiden betroffenen Fußball-Zweitligisten scheint der Ausschluss der Gästefans allerdings nicht beschlossen. Man nehme den Wunsch der Ministerin ernst, sagte Nicole Kumpis, Präsidentin von Eintracht Braunschweig. Der Verein werde dies in der Organisation besprechen. Sie glaube aber daran, dass es auch andere Maßnahmen gibt, die Eintracht Braunschweig vor einem Ausschluss der Gästefans umsetzen könne. Dieser sei eine "ultima ratio" - den man nicht ausschließen wolle, aber auch erst innerhalb des Vereins bewerten wolle. Auch Kumpis appellierte an den DFB sowie an die Deutsche Fußball Liga (DFL): Bisherige Maßnahmen in Bezug auf entsprechende Ausschreitungen in Stadien sollten angepasst und verbessert werden.
Hannover 96: Viel geredet, aber wenig erreicht
Hannovers Geschäftsführer Martin Kind sieht ebenfalls Gesprächsbedarf mit den Verbänden. In Bezug auf die Vorkommnisse bei den Niedersachsen-Derbys und die Sicherheitslage zeigte sich Kind kritisch: Man habe viel geredet, aber wenig erreicht. "Das zeigt im Umkehrschluss, dass die Maßnahmen noch nicht ausreichend sind", sagte Kind. Dass Spiele künftig ohne Auswärtsfans stattfinden, nannte Kind eine sinnvolle Überlegung. Darüber müsse man weiter diskutieren. Kind kündigte an, dass die Sicherheit im Stadion von Hannover durch geplante Baumaßnahmen verbessert werden soll. Damit werde "mit größter Wahrscheinlichkeit" nach dem Ende der aktuellen Saison begonnen.
Fanhilfe Hannover: Weitere Eskalation wird so gefördert
Die Fanhilfe Hannover hatte den Vorstoß der Ministerin zuvor als populistisch kritisiert. "Kollektivstrafen" wie der Ausschluss von Gästefans seien in Gänze abzulehnen, hieß es in einer Stellungnahme. Genauso wie personalisierte Tickets sei dies weder zweck- noch verhältnismäßig. "Mit ihrem unbedachten und realitätsfernen Handeln vertieft Daniela Behrens die Gräben zwischen Politik und Fanszenen weiter", kritisiert die Fanhilfe. So würde eine weitere Eskalation gefördert. Sollte die Ministerin das Vorhaben nicht zurücknehmen, werde die Fanhilfe Hannover sich nicht mehr an entsprechenden Gesprächen beteiligen, hieß es.
"Nächster logischer Schritt: Verbot des Schützenfests Hannover für auswärtige Besucher." "Unsere Kurve"
Unsere Kurve hält bei Behrens' Vorhaben mit Zahlen aus dem Jahresbericht 2022/23 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) dagegen, wonach bei 26,5 Millionen Fans in den Stadien von der Dritten Liga bis zur Champions League nur 1.176 verletzte Personen auftraten. "Nimmt man die Statistiken der Polizei zur Grundlage, wäre der nächste logische Schritt für die Sicherheit der Bürger ein Verbot des Schützenfests Hannover für auswärtige Besucher", sagte der Vorsitzende Jost Peter. Vielmehr sollten die vorhandenen Strukturen professioneller Fanarbeit verstärkt genutzt werden.
Pyrotechnik und ein Verletzter nach letztem Derby
Innenministerin Behrens hatte am Mittwoch Vertreter von Hannover 96 und Eintracht Braunschweig ins Ministerium bestellt. Hintergrund waren Vorfälle bei der Zweitliga-Begegnung am 14. April. Immer wieder hatten Stadionbesucher während des Spiels Pyrotechnik gezündet. Zu Beginn der zweiten Halbzeit war die Partie deshalb unterbrochen worden. Nach dem Schlusspfiff hatten Anhänger von Hannover 96 zwei Leuchtraketen auf die Tribüne der Braunschweiger Fans abgeschossen. Ein Ordner wurde verletzt. Bereits im Dezember hatte sich Behrens mit Vertretern beider Clubs getroffen und angekündigt, mehr gegen Krawalle und Pyrotechnik zu tun.