Reng: "Es gibt nicht den einen Grund"
NDR: Sie haben ihn vor seinem Tod schon gut gekannt. Durch die Recherche, denke ich mir, haben Sie ihn noch besser kennengelernt. Was haben Sie in dieser Arbeit über Robert Enke und was über die Volkskrankheit Depressionen gelernt?
Reng: Bei ihm selber hat sich mein Eindruck eigentlich nur bestätigt und vertieft. Ich habe in den Gesprächen und Tagebüchern den Robert Enke vorgefunden, den ich kannte. Wir dürfen nicht vergessen: Er hatte zweimal in seinem Leben eine klinische Depression, aber er war zwischendrin, auch wenn er oft kämpfen musste, der Mensch, den wir gesehen haben. Ein sehr warmherziger Mensch. Ein Mensch, der sehr gelassen sein konnte, aber auch sehr widersprüchlich war. Der gelassen war und sich im nächsten Moment von der kleinsten Kritik hat runterreißen lassen. Der analytisch war, über den Dingen stand und dann trotzdem nach einem kleinen Fehler das ganze Bild nicht mehr sehen konnte. Diesen Menschen kannte ich und habe ich wiedergefunden.
Ich habe auch sehr viel über Depressionen gelernt. Ich glaube, ich habe verstanden, was in einem Menschen vorgeht, der depressiv ist. Letztlich kommt ein Nicht-Depressiver immer zu einem Punkt, wo er etwas nicht versteht. Wie diese Krankheit die Menschen dazu bringt, ihren Urinstinkt - zu überleben - auszuschalten. Depressive wollen sich ja nicht umbringen, sie wollen nur diese Krankheit loswerden. Aber dass die Krankheit sie so austricksen kann, dass sie glauben, wenn sie sich umbringen, seien sie erlöst. Da bleibt immer ein Rest Unverständlichkeit.
NDR: Gab es Schlüsselerlebnisse in der Recherche, wo sie gedacht haben: "Mit dem Wissen, das ich jetzt habe, wird mir klar, was er damals gedacht oder gemeint hat?"
Reng: Ja. Ich habe zum Beispiel die erste Depression 2003, die ich in Barcelona miterlebt habe, viel besser verstanden. Wo ich damals immer gerätselt habe, wieso zieht ihn das so runter? Wieso ist er für mich nicht mehr ansprechbar? Das weiß ich heute. Weil er eben depressiv war. Weil Depressionen alle Gefühle töten. Er war nicht mehr in der Lage, Empathie zu fühlen.
NDR: Sie haben geschrieben, dass sie am 10. November vergangenen Jahres mittags noch mit ihm telefoniert haben.
Reng: Es war 12.36 Uhr. Das Gespräch dauerte 49 Sekunden. Das steht bei mir im Computer, weil ich mit "Skype" angerufen habe. Es hat mich damals schon verblüfft, weil er für seine Verhältnisse unhöflich war. Im Nachhinein weiß ich natürlich warum. Weil er von mir aufgeschreckt war. Weil er durch die Gegend gefahren ist und einen Weg gesucht hat, sich umzubringen. Wie immer habe ich mir auch damals Erklärungen gesucht.
- Teil 1: "Er war wahnsinnig sensibel"
- Teil 2: "Habe viel über Depressionen gelernt"
- Teil 3: "Es gibt nicht den einen Grund"
- Teil 4: "Ein Mensch, mit dem ich immer gerne zusammen war"