Robert Enke - Chronologie einer Tragödie
Robert Enke war ein Ausnahmetorwart und ein besonderer Mensch. Er litt an Depressionen und beging am 10. November 2009 Suizid. Die Chronologie einer Tragödie.
Robert Enke wird am 24. August 1977 in Jena geboren. Der Fußball spielt früh eine große Rolle in seinem Leben. Zunächst Stürmer bei Jenapharm, wechselt er in der D-Jugend des FC Carl Zeiss Jena eher zufällig ins Tor und macht instinktiv alles richtig. Er ist so gut, dass er als 16-jähriger B-Jugendlicher in der A-Jugend bei den 18-Jährigen spielt.
"Damals muss diese Qual begonnen haben. Die Angst vor Fehlern setzte ihm zu", erinnert sich Vater Dirk Enke, promovierter Psychotherapeut, in Ronald Rengs Biografie "Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben". Robert selbst bittet darum, wieder in der B-Jugend spielen zu dürfen. Ein Jahr später, mit 17 Jahren, unterschreibt er einen Profivertrag bei Carl Zeiss Jena.
Kamps' Nachfolger in Gladbach
Nach nur einem Profijahr in Jena wechselt Robert Enke 1996 zum Bundesligisten Borussia Mönchengladbach. Erst dritter, dann zweiter Torwart, profitiert Enke vor der Saison 1998/1999 von der schweren Verletzung von Stammtorwart Uwe Kamps. In einer verunsicherten Borussia-Elf, die am Ende der Saison absteigt, ist Enke trotz zahlreicher Gegentore der ruhende Pol. Zweite Liga will er nicht spielen. Er wechselt nach Portugal zu Benfica Lissabon. Im Nachhinein betrachtet eine der glücklichsten Stationen seiner Karriere, allerdings mit Startschwierigkeiten.
Schatten und Licht in Lissabon
Am 4. Juni 1999 unterschreibt Robert Enke den Vertrag bei Benfica Lissabon. Kurz danach bekommt er Panik, will Lissabon sofort verlassen. Der Wechsel droht zu platzen. Der damals 21-Jährige fühlt sich fremd und unter Druck gesetzt. "Eine ganz große Rolle hat die Angst gespielt", wird Vater Dirk Enke Jahre später dem "Spiegel" sagen. "Du brauchst keine Angst zu haben, wir ziehen das gemeinsam durch", sagt ihm Benfica-Trianer Jupp Heynckes im Sommer 1999. Die folgenden drei Jahre in der Stadt des Lichts sind für Robert und Teresa Enke, die 2000 heiraten, privat und sportlich glückliche.
Barcas Niederlage in Novelda
Im Jahr 2002 ist Robert Enke im Fußball-Olymp angekommen. Mit 24 Jahren wechselt der Junge aus Jena zum FC Barcelona. Trainer ist der Niederländer Louis van Gaal, der später beim FC Bayern München für Furore sorgen wird. Doch Enkes Traum von Erfolgen im Camp-Nou-Stadion findet in einem kleinen Ort namens Novelda ein jähes Ende. Am 11. September 2002 verliert der große FC Barcelona im Pokal beim Drittligisten FC Novelda 2:3 - mit Enke im Tor. "Barca"-Verteidiger Frank de Boer greift Enke danach öffentlich an, der von van Gaal nicht mehr beachtet wird. Enke plagen Selbstzweifel. "Das war ein entscheidendes Spiel", so seine Frau Teresa.
Er wirkt teilnahmslos und apathisch. "Robbie hat wieder eine Depression", notiert Terese Enke in ihrem Taschenkalender. Auch mit Hilfe seines Vaters wird bei Enke eine "depressive Störung" diagnostiziert.
Flucht aus Istanbul
In Barcelona auf dem Abstellgleis, geht Enke 2003 auf Leihbasis zu Fenerbahce Istanbul in die Türkei. Das erste Saisonspiel gegen Istanbulspor verliert Fenerbahce 0:3 - mit einem völlig neben sich stehenden Enke im Tor. "Möchte weg aus Istanbul, endlich eine richtige Therapie machen. Möchte einfach ohne Angst und Nervosität leben", schreibt Enke am nächsten Morgen in sein Tagebuch. Bereits während des Spiels hatte er beschlossen, aus Istanbul wegzugehen. Der Vertrag wird aufgelöst. "Ich bin in meiner jetzigen Verfassung nicht gerüstet für das Fußballgeschäft", lautet ein Satz im Tagebucheintrag vom 12. August 2003. Enke hat Depressionen.
"Ich werde verrückt. Denke oft an..."
Eintrag am 14. Oktober 2003: "Ich werde verrückt. Denke oft an..." Es muss etwas passieren. Die Enkes ziehen nach Köln zu Berater und Freund Jörg Neblung. In dem Psychiater Dr. Valentin Markser findet Robert Enke eine Vertrauensperson. Er nimmt Antidepressiva. Doch mit der Hilfe von Markser wird es besser. "Ich bin im Moment glücklich u. zufrieden", schreibt Enke am 26. Januar 2004. Teresa ist schwanger. Barcelona leiht ihn an den spanischen Zweitligisten CD Teneriffa aus.
"Kurort" Teneriffa - Wahlheimat Hannover
Bei dem Club auf der spanischen Ferieninsel findet Enke zu seiner alten Klasse zurück. Ohne Druck von außen und von allen akzeptiert, schwingt sich das einstige Torwarttalent aus Jena zu Höchstleistungen auf. In die sportliche Wiedergeburt platzt die Nachricht, dass das Kind in Teresas Bauch einen Herzfehler hat. Auch ein Grund, warum sich die Enkes im Sommer 2004 für einen Wechsel zu Hannover 96 entscheiden. In der renommierten Kinderklinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wird Töchterchen Lara am 31. August 2004 geboren.
Lara übersteht im Januar 2006 die insgesamt dritte Herzoperation. Da ist sie gerade 16 Monate alt. Die Ärzte und auch Robert und Teresa Enke wähnen sie über den Berg. Am 17. September 2006, kurz nach ihrem zweitem Geburtstag, versagt Laras Herz nach einer vergleichsweise einfachen Operation am Ohr. Sie stirbt.
In der deutschen Nationalmannschaft
Keine zwei Wochen nach Laras Tod wird Enke für die deutsche Nationalmannschaft nominiert. Sportlich erlebt Enke in Hannover auch ohne Titelchancen eine gute Zeit. Er wird von den Profikollegen mehrfach zum besten Torwart der Liga gekürt. Nach der EM 2008 und Jens Lehmanns Abgang hat Enke im Duell mit René Adler um den Posten als deutsche Nummer eins die Nase vorn. Wenige Tage vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Russland bricht sich der 96-Keeper allerdings das Kahnbein. Die verpasste Chance macht Enke zu schaffen. Er merkt, wie die Depressionen zurückkehren. "Da hat sich Robert selbst wieder raus gearbeitet und wurde ja auch wieder zur deutschen Nummer eins. Er hatte ein tolles erstes Halbjahr 2009", wird sich Berater Jörg Neblung später erinnern.
Trier ist Novelda
Nach dem vergleichsweise leichten Rückfall 2008 kommt die rasante Talfahrt seiner Gefühlswelt im Spätsommer 2009 überraschend. Mit Hannover 96 verliert Enke in der ersten DFB-Pokal-Runde 1:3 gegen den Viertligisten Trier. Der Vergleich mit Novelda ist sofort präsent. Die Symptome sind dieselben wie in Barcelona: Versagensängste und Panik. Er nimmt die Therapie wieder auf, schluckt wieder Antidepressiva. Unter dem Vorwand einer Bakterien-Erkrankung verlässt er den Nationalmannschaftslehrgang in Köln. "Robbie, versprich mir, dass du nicht umbringst", sagt Teresa zu ihrem Mann. "Ich verspreche es", antwortet Robert mit festem Blick.
Angst vor dem Gang in die Klinik
Wegen der Angst, seine Krankheit öffentlich zu machen und dadurch möglicherweise alles zu verlieren, verweigert Enke den Gang in eine Klinik. Er stellt sich wieder ins Tor von Hannover 96 - und liefert gute Leistungen ab. Am 8. November 2009 steht er beim 2:2 gegen den Hamburger SV zum letzten Mal zwischen Pfosten.
Am 10. November 2009 begeht Robert Enke Suizid.