Stand: 05.11.2010 12:00 Uhr

Reng: "Es gibt nicht den einen Grund"

von Tim Tonder, NDR Fernsehen

NDR: Wie werden Sie  Robert Enke nach dieser langen Recherche in Erinnerung behalten?

Reng: Ich behalte einen Menschen in Erinnerung, mit dem ich immer gerne zusammen war. Mit dem ich ein blindes Verständnis beim Humor hatte. Dieses blinde Verständnis unter Freunden fehlt mir und bleibt mir im Kopf. Und sehr viele kleine Details, Szenen. Wie wir über das Geräusch gesprochen haben, das entsteht, wenn man den Klettverschluss vom Torwarthandschuh aufmacht. Nach der getanen Arbeit. Dass es das schönste Geräusch der Welt ist, nach einem 1:0-Sieg diesen Klettverschluss aufzumachen und dieses Knirschen zu hören. Und man weiß, die Handschuhe haben ihre Schuldigkeit getan.

NDR: Bitte verstehen Sie meine Frage nicht falsch, aber ich habe gelesen, dass nach der Trauerphase auch eine Phase der Wut kommt. Haben Sie das jemals gespürt? Oder wussten Sie schon zu viel über die Depressionen, dass Sie gar nicht wütend sein können?

Reng: Ich hatte nie eine Wut auf ihn, weil ich gelernt habe, diese Krankheit sehr gut zu verstehen. Dass es nicht er war, der gehandelt hat, sondern dass ihn die Krankheit dahin getrieben hat. Aber natürlich hatte ich sehr viele Gefühle, die man nicht haben möchte. Ich habe beim Schreiben Hass und Bitterkeit empfunden. Ich habe das aber nie auf Robert gemünzt, sondern auf Leute, die das genauso wenig verdienen, wie die Leser. Aus dieser Phase bin ich Gott sei Dank raus.

NDR: Können Sie mit Ihrem ganzen Wissen über Robert Enke im Nachhinein sagen: "Man hätte ihm doch helfen können?" Oder ist die Depression so kompliziert, dass man niemandem einen Vorwurf machen kann?

Reng: Es ist ganz interessant. Die meisten Leute, die das Buch gelesen haben, kommen am Ende zu dem Schluss: Es war unabwendbar. Ich hatte nie das Gefühl, dass es unabwendbar war. Ich hatte nur dieses Gefühl, das einen wahnsinnig macht, dass es so viele Zufälle gab, die dazu beigetragen haben, dass Roberts Leben am 10. November tatsächlich endete. Er war zwei Wochen vor seinem Tod einen Anruf davon entfernt, sich in die Klinik einweisen zu lassen. Er hatte das für sich schon entschieden. Er hatte den Telefonhörer in der Hand. Und in einer Sekunden ging ihm offenbar durch den Kopf: "Was kommt danach?  Danach ist ein schwarzes großes Loch für mich. Ich mach es doch nicht". Von diesen Zufällen gibt es im Leben jedes Depressiven, der sich selbst tötet, Hunderte, die das hätten verhindern können. Das ist sehr schmerzhaft zu wissen.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 05.11.2010 | 12:00 Uhr

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