1992: Werder holt den Europapokal
Es war der erste und bis dato auch letzte internationale Triumph der Vereinsgeschichte, und so gesehen darf mit Fug und Recht von Werder Bremens größtem Erfolg gesprochen werden. Und trotzdem wird der Sieg im Fußball-Europacup der Pokalsieger 1992 in den Erinnerungen der grün-weißen Fan-Gemeinde vom Double 2004 und so manchem Wunder von der Weser verdrängt. Dabei war das 2:0 im Finale von Lissabon gegen AS Monaco ein ebensolches Mirakel - zumal die Bremer in der Bundesliga gleichzeitig in der unteren Tabellenhälfte das Schicksal einer grauen Maus fristeten. Einen Sieg im Estádio da Luz am 6. Mai 1992 hatte niemand auf dem Zettel.
"Otto hat mich ausgetrickst"
Der Werder-Trainer hieß Otto Rehhagel - und der hatte noch wenige Wochen vor dem Triumph tüchtig in der Kritik gestanden. Zum ersten Mal muckten sogar die eigenen Anhänger auf und forderten nach dem 1:3-Desaster im Weserstadion gegen Bundesliga-Aufsteiger Stuttgarter Kickers seinen Rausschmiss. Stattdessen wollten sie den Ex-Werderaner Uwe Reinders, der ein Jahr nach dem letzten DDR-Meistertitel bei Hansa Rostock entlassen worden war. Doch der Bremer Manager Willi Lemke und Clubchef Franz Böhmert quittierten die Schmähgesänge wie gewohnt mit einem Treueschwur. Rehhagel blieb und bastelte weiter an einem Coup, der ihm schließlich den Spitznamen "König Otto" einbringen sollte. Sein damaliger Trainer-Kontrahent Arsène Wenger klagte noch Jahre später über den finalen Flop der Monegassen: "Otto hat mich ausgetrickst! Er hat mich einfach ausgetrickst."
Rehhagel zaubert Allofs aus dem Hut
Es war eine Personalie, mit der Rehhagel Wengers Pläne durchkreuzt und seine eigene Mannschaft überrascht hatte. Denn in den Wochen zuvor hatte Klaus Allofs über allerlei Wehwehchen geklagt, mit seinen 35 Jahren war er längst nicht mehr erste Wahl. Und nun kritzelte Rehhagel plötzlich seinen Namen auf die Tafel mit der Aufstellung. Sturmpartner Wynton Rufer schluckte. Sauer sei er gewesen, gestand er später, weil Allofs ständig Knieprobleme und nach jedem Training mehr und mehr Wasser im Gelenk gehabt habe. An einen Sieg, den er angesichts der imposanten Namen beim Gegner wie George Weah, Emmanuel Petit, Youri Djorkaeff oder Rui Barros ohnehin für unwahrscheinlich gehalten hatte, mochte er nun umso weniger glauben. Aber "Kiwi" irrte sich gewaltig.
Finale in einem (Geister-)Stadion
Allofs sorgte mit Rufer für die entscheidenden Tore. Im Fußball-Magazin "11 Freunde" ärgerte sich Allofs erst unlängst wieder über das Gerede: "Alles Quatsch. Ich war am 6. Mai 1992 durchaus ein vollwertiger Fußballspieler." Die Kollegen zweifelten; manch einer wohl auch noch, als die Mannschaft hypernervös ins mit 15.000 Zuschauern nur zu gut einem Zehntel besetzte "Stadion des Lichts" einlief. Natürlich wirkte auch der Schock noch nach vom Drama tags zuvor, als beim französischen Pokal-Halbfinale zwischen Bastia und Olympique Marseille eine Tribüne eingestürzt war und 18 Menschen in den Tod gerissen hatte. Allofs aber behielt die Nerven, obschon er drei Jahre in Marseille und für Girondins Bordeaux gespielt hatte - und bestätigte damit Rehhagels Taktik.
Tor mit dem "rechten Führhaken"
Dabei geholfen hat Allofs ein Körperteil, das Manfred Bockenfeld den "rechten Führhaken" nannte. Mit dem rechten Spann, den Allofs laut seinem Teamkollegen eigentlich nur hatte, um nicht umzufallen, sorgte der filigrane Techniker für die Führung der Bremer. Rufer hatte in der 40. Minute einen Freistoß von Uli Borowka per Kopf zum Elfmeterpunkt bugsiert, und dort reagierte Allofs am schnellsten. Den Spruch seines Zimmergenossen hatte er übrigens prompt gekontert: "Märchenerzähler", nannte er Bockenfeld. "Ich habe die Hälfte meiner Tore in diesen Jahren mit rechts erzielt."
Rufers Spiel mit den Nerven
Während Torhüter Jürgen Rollmann, der den Gelb-gesperrten Oliver Reck vertrat, mit stoischer Ruhe die wütenden Angriffe der Monegassen entschärfte, machte sich Allofs nach Vorarbeit von Mirko Votava auch in vertauschter Rolle als Vorbereiter für Rufer nützlich. Der Neuseeländer sprintete los und dachte auf den 40 Metern bis zum Monaco-Tor über allerhand Möglichkeiten nach, wie er Keeper Jean-Luc Ettori überwinden sollte. Quälende Sekunden für Fans und Mitspieler. Rufer aber spielte den Ball lässig rechts vorbei, umkurvte Ettori links und vollendete entspannt zum 2:0-Endstand (55.).
"Große Trainer treffen große Entscheidungen"
Danach tat sich nicht mehr viel im Stadion des Lichts, abgesehen von den Lobgesängen der Werder-Fans auf Rehhagel, der mit einem "Kniff" (Rufer) zum Vater des Erfolgs geworden war. "Große Trainer treffen eben große Entscheidungen", sagte Thomas Wolter, der nach 34 Minuten verletzt seinem Kumpel Thomas Schaaf Platz gemacht hatte. Jenem Thomas Schaaf, der Rehhagel Jahre später beerben sollte und der mit seiner schon damals sprichwörtlichen Ruhe selbst schlimme Ausfälle auch neben dem Platz wegsteckte. In Brügge beispielsweise, wo die belgischen Fans die Werderaner im Halbfinale (0:1/2:0) unter anderem als "Nazis" beschimpft hatten. Oder in den beiden Viertelfinal-Partien (2:1/0:0) gegen Galatasaray Istanbul, wo die Atmosphäre extrem aufgeladen war.
DRK statt Hotel in Rumänien
Auf dem Weg zum größten Triumph der Vereinsgeschichte hatte ein Tor des heutigen Aufsichtsratschefs Marco Bode den Hanseaten zuvor im Achtelfinale das Weiterkommen gegen Ferencvaros Budapest gesichert. Nach dem 3:2 im Weserstadion reichte im Rückspiel sein Treffer zum 1:0-Endstand. Begonnen hatte der Erfolgsweg im September 1991 in Bacau. Weil in der rumänischen Provinz kein Hotel genug Betten für den gesamten Werder-Tross hatte, schlugen die Bremer ihr Lager beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) auf. Nach dem 6:0 in Bacau gelang im Rückspiel ein 5:0-Kantersieg. Im nationalen Pokal war im Halbfinale (5:6 im Elfmeterschießen) gegen Hannover 96 Endstation, und die Bundesligasaison verlief komplett enttäuschend. Abgeschlagen hinter Meister VfB Stuttgart landeten die Grün-Weißen auf Platz neun - Düsseldorf, Duisburg, Rostock und die Stuttgarter Kickers stiegen ab.
Glatzen-Wette beim Ouzo
Dass die Saison 1991/92 schließlich zu einer haarigen Angelegenheit wurde, hatte besondere Gründe. Enttäuscht nach einer neuerlichen Niederlage in der Meisterschaft schwor sich eine Gruppe Werderaner in feucht-fröhlicher Runde beim Griechen, die Haare für den Fall des Europacup-Sieges fallen zu lassen. Als der Triumph tatsächlich geschafft war, wollten sich Borowka, Reck, Bockenfeld sowie Jonny Otten und Günter Herrmann jedoch nicht mehr so genau an das Glatzen-Versprechen beim Ouzo erinnern. In bierseliger Stimmung ließ sich nur Borowka (von Dieter Eilts) scheren, während die anderen Wettschuldner bis zur Partie bei Eintracht Frankfurt drei Tage später warteten. Haarlos, aber noch immer siegestrunken holten die Europacup-Helden ein 2:2 - die Tore schossen wieder Rufer und Allofs.