St. Pauli in Scheffau: Viel Systemarbeit und einige Sorgen
Fußball-Bundesligist FC St. Pauli hat im Trainingslager in Scheffau trotz einiger Unwägbarkeiten intensiv gearbeitet. Im Test gegen Olympique Lyon zeigte das Team, dass es das System des neuen Trainers Alexander Blessin immer besser versteht. Sorgen bereiten aber die angeschlagenen Spieler.
Zum Abschluss griff Coach Blessin zum Mikro. Alle Neuen, so will es die Team-Tradition, müssen zum Einstand vor der gesamten Mannschaft ein Lied singen. Der neue Trainer wollte sich da nicht aus der Verantwortung stehlen und bot mit seiner Songauswahl - "I want it that way!" von den Backstreet Boys - ein gutes Sinnbild für seine Arbeit auf dem Platz am Wilden Kaiser.
Blessin ist laut, pfeift auf den Fingern, nimmt Spieler zur Seite und in den Arm. Er gibt Anweisungen - und den Weg vor. Ganz so, wie er auch schon in die ersten Einheiten zu Hause an der Kollaustraße gestartet war. He wants it that way. Der 51-Jährige leitet das Training wie sein Vorgänger Fabian Hürzeler auf Englisch - Spieler aus 16 verschiedenen Nationen stehen in seinem Kader.
System anpassen, System verstehen, System umsetzen
Die Tage in Österreich haben gezeigt, dass der neue Trainer eine klare Vorstellung davon hat, was das Team in der Bundesliga bei planbar weniger Ballbesitz anders machen muss als in Liga zwei: noch kompromissloser verteidigen, keine Räume anbieten, bei Balleroberungen schnell Chancen suchen, sofort abschließen. Denn so viele Möglichkeiten, wie St. Pauli sie als bessere, spielbestimmende Mannschaft in der 2. Liga hatte, wird es gegen Leverkusen, Bayern oder Dortmund nicht geben.
Also: System anpassen, System verstehen, System umsetzen. Blessin wants it that way. Und das Team zieht mit. Alleine in den fünf Tagen zwischen der 1:3-Testspielniederlage gegen Zweitligist Fürth und dem verdienten 1:0-Sieg über den siebenfachen französischen Meister Oympique Lyon war eine deutliche Steigerung zu erkennen.
Sehr viele angeschlagene Spieler
Der Haken der Tage in Scheffau? Wenn man ein neues Spielsystem einführt, ist es wichtig, dass alle dabei sind, vor allem die Stützen des Teams. Das hat nicht geklappt. Und das fing gleich hinten an, da Stammtorhüter Nikola Vasilj und Stellvertreter Sascha Burchert noch nicht wieder spielfähig sind. Vasilj konnte ab der Mitte des Trainingslagers zumindest teilweise wieder einsteigen, Burchert nicht.
Auch die fünf Spieler, die in der Vorsaison in der Regel die Abwehrreihe bildeten, hatten allesamt Probleme: Rechtsverteidiger Manolis Saliakas konnte aufgrund von Wadenproblemen gar nicht trainieren, Eric Smith arbeitete nur individuell mit den Athletiktrainern, Philipp Treu kehrt gerade erst von seinem Wadenbeinbruch zurück. Karol Mets und Hauke Wahl waren in den Tagen am Wilden Kaiser die einzigen verletzungsfreien Abwehrspieler, verpassten aber Teile der Einheiten wegen leichter Krankheit.
Wie ersetzt St. Pauli Hartel?
Im Mittelfeld? Da hatte sich der alte und neue Kapitän Jackson Irvine im ersten Testspiel vor dem Trainingslager den großen Zeh ausgekugelt und konnte erst verspätet einsteigen ("So eine Verletzung holt man sich auch nur in der Vorbereitung!"). Danel Sinani ist ebenfalls im Aufbautraining und noch nicht mit dem Team auf dem Platz. Und im Sturm ist Simon Zoller noch nicht wieder fit und Maurides musste aufgrund von Gewichtsproblemen gleich in Hamburg bleiben.
Auch die Frage, wie St. Pauli den Abgang von Topscorer Marcel Hartel kompensiert - im Kollektiv, durch einen Systemwechsel oder mit einem Neuzugang -, konnte angesichts der vielen angeschlagenen Spieler in Scheffau so noch nicht geklärt werden.
Blessin: Schmitz "macht Spaß"
Zumindest bei den Theorie-Einheiten konnten die verletzten Akteure dabei sein. Und das Spiel gegen OL hat gezeigt, dass St. Pauli auf einem guten Weg ist, Blessins Ideen besser umzusetzen. Trotzdem sagen die meisten Spieler: "Gut, dass wir noch vier Wochen haben."
Das Team wurde mit vielen Talenten aus dem Nachwuchs aufgefüllt. Mit Marwin Schmitz zum Beispiel, dem einzigen Torschützen im Spiel gegen Lyon. Der 17-Jährige trainiert nun regelmäßig bei den Profis mit und könnte so etwas wie der Gewinner des Trainingslagers sein. Auch wenn Blessin ihn "nicht hochjubeln" will, bekannte der Coach doch: "Der Junge macht Spaß!"
Neuzugänge Wagner und Voll präsentieren sich stark
Das gilt auch für die Neuzugänge Robert Wagner und Ben Voll. Der eine, Mittelfeldspieler Wagner, hat sich extrem gut präsentiert und gezeigt, dass er bereit ist, die Rolle von Aljoscha Kemlein zu übernehmen, den Union Berlin nach seinen guten Leistungen bei St. Pauli nach der Leihe zurückgeholt hat. Es war ein starker und souveräner Auftritt des 21-Jährigen im Trainingslager.
Doch auch der andere, Torhüter Voll, zeigte sich in guter Verfassung - und hatte dazu reichlich Gelegenheit. Der 23-Jährige, der bislang bei Viktoria Köln in der 3. Liga unterwegs war, profitierte von den Ausfällen von Vasilj und Burchert und konnte zum Abschluss des Trainingslagers noch den Zu-Null-Sieg gegen Lyon mitnehmen.
Blessin bekommt Stürmer und Außenverteidiger
Am Freitag konnte Sportchef Andreas Bornemann seinem neuen Trainer gleich zwei Wünsche erfüllen: Erst gab der Club die Verpflichtung von Fin Stevens bekannt. Der Waliser kommt als Backup für den einzigen und aktuell verletzten Rechtsverteidiger Saliakas. Wenig später wurde dann auch noch die Leihe von Mittelstürmer Morgan Guilavogui von RC Lens bekanntgegeben.
Fraglich hingegen ist, was aus Stürmer Maurides wird. Der bullige Brasilianer hätte unter dem neuen Trainer mit neuem System mit zwei Spitzen richtig durchstarten können, kam aber nach Sommerpause und Hochzeitsfeier mit gleich zehn Kilo zu viel zurück. Statt Trainingslager mit dem Team hieß es für ihn: abspecken in Hamburg.
Improvisierte Rückreise als Sinnbild?
Auf der Rückreise in die Hansesatdt gab es für die 50-köpfige Reisegruppe noch eine böse Überraschung: Der Flug in Salzburg wurde gestrichen und das Team musste umdisponieren. Mit ein wenig Verzögerung ging es per Charterflieger zurück nach Hamburg.
Und so könnte das Trainingslager sinnbildlich für die Saison St. Paulis stehen. Auch in der Bundesliga wird es immer wieder Probleme und Rückschläge geben. Die als Gruppe anzunehmen und zu überwinden, wird permanente Aufgabe für Blessin und sein Team sein. Am Wilden Kaiser haben sie dafür allen Widrigkeiten zum Trotz weitere Grundlagen geschaffen. Auch mit den gesanglichen Einlagen der Neuen.