Datenanalyse: Darum hat der Trainerwechsel 96 nicht besser gemacht
Mit dem Trainerwechsel von Stefan Leitl zu André Breitenreiter wollte Fußball-Zweitligist Hannover 96 den Aufstieg in die Bundesliga forcieren. Dieses Ziel drohen die Niedersachsen zu verfehlen - auch weil sich seit Januar nur wenig verbessert, aber vieles verschlechtert hat, wie die Daten zeigen.
Dass es ihm nicht an Selbstbewusstsein mangelt, hatte Breitenreiter direkt bei seiner Vorstellung in Hannover klar ausgedrückt. "Mit Kleinmachen und defensiver Denkweise" gewinne man nichts, sagte der 51-Jährige, also brauche "man diese positive Arroganz".
Rund drei Monate später führte Breitenreiter vergangene Woche - noch vor der ersten Niederlage unter seiner Regie in Karlsruhe (0:1) - aus, dass "wir, wenn wir darauf zurückschauen, was wir uns vorgenommen haben, seit ich hier bin, nahezu alle Dinge erreicht haben." So habe man "die Auswärtsschwäche komplett abgestellt" und sich auch "mehr Torchancen erspielt".
Rückstand auf die Aufstiegsplätze angewachsen
Beides stimmt, ist aber spätestens nach der Pleite beim KSC nur eine Seite der Medaille. Denn bei nur drei Siegen aus elf Partien und sage und schreibe sieben Remis in der Rückrunde ist sechs Spieltage vor dem Saisonende auch zu konstatieren: Der Rückstand von 96 auf Platz eins ist unter Breitenreiter von vier auf neun Zähler angewachsen, auf Platz drei sind es nun drei Punkte statt einem. Und das bei deutlich schlechterer Tordifferenz im Vergleich zu vielen Konkurrenten.
Natürlich ist vor dem Heimspiel gegen die SV Elversberg heute (13 Uhr, im NDR Livecenter) speziell mit Blick auf Rang drei ein Aufstieg über den Umweg Relegation noch immer möglich. Ein Sieg gegen die formstarken Saarländer ist dafür aber fast schon Pflicht.
Denn einen wirklichen "Angriff" auf die Aufstiegsplätze hat es unter Breitenreiter bislang nicht gegeben - zumal der durch den Trainerwechsel erhoffte Effekt nicht erkennbar ist. Nicht tabellarisch, vor allem aber nicht fußballerisch, wie die Analysen des Global Soccer Networks (GSN) zeigen. Oder, um es mit dem leicht abgewandelten Slogan des ARD-Polit-Talks "Hart aber fair" zu sagen: wenn Hannover 96 auf (Daten-)Wirklichkeit trifft.
Statistik von Hannover 96... | ...unter Stefan Leitl (Spieltage 1-17) | ...unter André Breitenreiter (Spieltage 18-28) | ...in der Tendenz |
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Platzierung | Rang 7 | Rang 8 | verschlechtert |
Punkte (Durchschnitt) | 27 in 17 Partien (1,59) | 16 in 11 Partien (1,45) | verschlechtert |
Siege | 8 | 3 | verschlechtert |
Niederlagen | 6 | 1 | verbessert |
Remis | 3 | 7 | verschlechtert |
Heimsiege | 7 | 0 | verschlechtert |
Auswärtssiege | 1 | 3 | verbessert |
Im dritten Jahr des Drei-Jahres-Bundesliga-Plans gehe es darum, "die paar Prozente in ein, zwei, drei Kategorien besser zu sein als die Konkurrenz. Den Mut, die Überzeugung, die Begeisterung - das müssen wir reinbringen." So hatte 96-Sportchef Marcus Mann die Entlassung von Leitl und Breitenreiters Verpflichtung im Januar begründet.
"Aus einem ambitionierten Aufstiegskandidaten ist eine Mannschaft geworden, die statistisch und spielerisch im oberen Mittelfeld verharrt, aber den Kontakt zu den Top drei verliert." GSN-Analyse
Schon da hatte die GSN-Analyse Fragen mit Blick auf die Wirksamkeit des Wechsels hin zu Breitenreiter aufgeworfen. Nach elf Spieltagen unter seiner Regie fällt das Zwischenfazit der Daten-Experten ernüchternd bis erschütternd aus: "Der Wechsel hat in keinem entscheidenden Bereich eine echte Verbesserung gebracht."
Das Team wirke "weniger mutig, weniger durchschlagskräftig, weniger stabil. Aus einem ambitionierten Aufstiegskandidaten ist eine Mannschaft geworden, die statistisch und spielerisch im oberen Mittelfeld verharrt, aber den Kontakt zu den Top drei verliert."
Konkret fallen vor allem folgende Faktoren auf: Das Team presst unter Breitenreiter weniger intensiv als noch unter Leitl und gewinnt weniger Bälle, es spielt fehlerhafter im Aufbau, schließt unpräziser ab - und punktet so weniger effizient. Kurzum: Wahrnehmung, Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei 96 stark auseinander.
Hannovers Offensive bleibt das Hauptproblem
Die unter Leitl schon lahmende Offensive hat sich unter Breitenreiter nicht verbessert. Zwar erarbeitet sich das Team mehr potenzielle Torgelegenheiten, ist aber weniger effektiv. Einerseits gehe das auf "schlechte Entscheidungsfindung, technische Mängel oder fehlendes Zusammenspiel im Strafraum" zurück.
Zum anderen fehle in Breitenreiters 3-5-2-System "oft die Breite oder Staffelung, um klare Abschlusssituationen zu erzeugen", so die GSN-Experten. Ein Ausdruck dessen: Nur knapp die Hälfte der Abschlüsse landet tatsächlich auf dem Tor.
96-Defensive nur vordergründig verbessert
Doch auch in defensiver Hinsicht gebe es keine erkennbare Entwicklung. Zwar sei die Abwehr statistisch betrachtet leicht verbessert, wenn man auf die durchschnittliche Zahl der Gegentreffer blickt. Zumal die "Roten" mit 27 Gegentoren noch immer die beste Zweitliga-Defensive stellen.
Die GSN-Experten werten das "isoliert betrachtet" aber als "irreführend", weil diese Zahl "trotz größerer defensiver Passivität erreicht" worden sei. Denn: Hannover lässt unter Breitenreiter mehr gefährliche Chancen zu.
Das Team habe an defensiver Aktivität eingebüßt, weil es tiefer steht, weniger antizipiert und Bälle abfängt und so insgesamt an Kontrolle über das Spiel im Mittelfeld verliert. Anders formuliert: "In einer engen Liga ist das eine klare Schwächung der Spielstruktur", so die Analyse.
Wenig Spielkontrolle und weiter zweikampfschwach
Das drückt sich auch in einem leichten Rückgang des Ballbesitzes aus. Die reaktivere Spielweise unter Breitenreiter führe aber "nicht zu mehr Stabilität, sondern zu einer passiveren Gesamtperformance". Zumal es 96 unter dem neuen Coach seltener gelingt, den Ball in gefährliche Räume zu bringen und sich die Passsicherheit unter ihm verschlechtert hat - trotz tieferer Positionierung. Die Zahl der Fehler im Aufbauspiel ist gestiegen, einhergehend mit mehr gefährlichen Ballverlusten.
Hinzu kommt: Unabhängig vom Trainer bleibt Hannover der Analyse nach "eine der zweikampfschwächsten Mannschaften der Liga". Diese "Konstanz im Negativen" zeige, "dass der Trainerwechsel strukturelle Mängel in Physis, Zweikampftechnik oder Raumaufteilung nicht beheben konnte". Es mangelt weiter an Kompaktheit und Zugriff im Mittelfeld, besonders gegen pressingstarke Gegner.
Zwei direkte Duelle gegen Konkurrenten als Chance
Da die 2. Liga in diesem Jahr so eng beieinander ist wie selten zuvor, ist 96 noch im Rennen und Breitenreiter hat durchaus Recht, wenn er sagt: "Was fehlt, sind Siege." Die aber müssen nun immer dringender her - auch und gerade in direkten Duellen mit Konkurrenten wie Elversberg und dem 1. FC Köln (27. April, 13.30 Uhr).
In diesen Partien liegt laut GSN die Chance, "den Saisonverlauf noch aktiv zu beeinflussen", weil sie bei zwei Siegen einen doppelten Effekt hätten: selber Punkte sammeln und Konkurrenten schwächen. Zwei Erfolge in diesen Partien vorausgesetzt, würde sich "ein kleines, aber nicht unrealistisches Fenster Richtung Relegationsplatz" für 96 öffnen.
Am 34. Spieltag geht es zu Hertha BSC und Ex-Coach Leitl
Dafür aber brauche es, so das Fazit, "eine strukturelle Korrektur in Pressing, Spielkontrolle und Effizienz". Denn: "Ohne eine klare Wende in der Spielanlage droht Hannover 96 die Saison als unterdurchschnittlich effizienter, taktisch inkonsequenter und defensiv nicht ausbalancierter Aufstiegskandidat zu beenden - trotz individuell vorhandener Qualität."
Ein Befund, der harscher ausfällt als unter Leitl. Gegen den und seinen neuen Arbeitgeber Hertha BSC geht es für 96 übrigens am letzten Spieltag (18. Mai, 15.30 Uhr). Spätestens danach ist klar, wie es um Hannovers Drei-Jahres-Bundesliga-Plan steht.
