Datenanalyse: Breitenreiter zurück bei Hannover 96 - Eine gute Idee?
André Breitenreiter hat am Donnerstag seinen Dienst bei Hannover 96 angetreten. Der 51-Jährige führte die "Roten" 2017 schon einmal zum Bundesliga-Aufstieg. Die Datenanalyse zeigt, ob es erfolgsversprechend ist, Stefan Leitl durch Breitenreiter zu ersetzen.
Ich bin wieder hier, in meinem Revier - so sang einst Marius Müller-Westernhagen im Jahr 1998 auf seinem Album Radio Maria. Breitenreiters Revier ist die 96-Arena am Maschsee, so viel wurde am Donnerstag deutlich. Ein weiblicher Fan begrüßte den Rückkehrer vor dem Trainingsauftakt am Mittag mit den Worten: "Schön, dass Sie wieder da sind."
"Ich sehe große Chancen und das Potenzial in der Mannschaft, dass wir um den Aufstieg mitspielen können." 96-Trainer André Breitenreiter
In den Tagen zuvor hatten sowohl Mehrheitsgesellschafter Martin Kind als auch Manager Marcus Mann ebenfalls betont, dass Breitenreiter eine 96-Vergangenheit hat und ohnehin in Hannover lebt. "Klassisch vorzustellen brauchen wir ihn nicht", sagte Pressesprecher Christoph Heckmann bei der Präsentation.
Breitenreiter, der früher selbst für 96 stürmte und sich als Fan bezeichnete, freute sich über "den herzlichen Empfang" - und viele "altbekannte Gesichter". Es sei wie ein "nach Hause kommen". Trotzdem bat er darum, nicht zu viele Vergleiche zu ziehen, fügte aber hinzu: "Ich sehe große Chancen und das Potenzial in der Mannschaft, dass wir um den Aufstieg mitspielen können."
Breitenreiters Zweitliga-Bilanz mit 96 ist überragend
Sollte Breitenreiter in dieser Saison so erfolgreich abschneiden wie vor acht Jahren, führt kein Weg am Aufstieg der Niedersachsen vorbei. Nachdem er im März 2017 den Posten von Daniel Stendel, dessen Demission als Tabellendritter noch überraschender als die von Leitl gekommen war, übernommen hatte, verloren die "Roten" bis zum Aufstieg kein Spiel mehr. Sieben Siege und vier Remis gab es in den elf noch ausstehenden Partien.
Hannover offenbart in der Hinrunde deutliche Schwächen
Dass 96 heute bei nur zwei Punkten Rückstand auf Platz zwei noch mittendrin ist im Aufstiegsrennen, liegt vor allem an der starken Defensive: Diese ist mit 17 Gegentreffern in 17 Partien die mit Abstand beste der Liga. Weniger Treffer als Hannover (22) haben aber auch nur die letzten vier Teams der Tabelle erzielt. Das Spiel unter Leitl hat in dieser Saison doch einige Schwachstellen offenbart - das zeigt auch die Datenanalyse von Global Soccer Network (GSN) sehr deutlich.
Am prägnantesten sind die vielen Ballverluste, die sich die Mannschaft erlaubt hat. Im Schnitt waren das laut der Daten 116 pro Partie. So viele hatte keine andere. Auf der anderen Seite überzeugten Leitls Schützlinge zwar ihrerseits mit starkem Pressing in der gegnerischen Hälfte: 32,12 Ballgewinne pro Spiel sind ligaweit der zweitbeste Wert. Gleichzeitig verzeichnete 96 in den so wichtigen ersten zehn Sekunden nach der Balleroberung in der gegnerischen Hälfte erschreckenderweise keine einzige progressive Aktion (mit signifikantem Raumgewinn) und belegt in dieser Statistik wiederum den letzten Platz.
"Es geht darum, die paar Prozente in ein, zwei, drei Kategorien besser zu sein als die Konkurrenz. Den Mut, die Überzeugung, die Begeisterung - das müssen wir reinbringen." 96-Sportdirektor Marcus Mann
Wenn nach dem Ballgewinn erst einmal der Rückwärtsgang eingelegt wird, kann man zwar dem gefürchteten Gegenpressing entgehen. Die Unordnung in der Defensive des Gegners kann man auf diese Weise aber nicht ausnutzen. Und so hat Hannover in der kompletten Hinrunde auch nicht ein Tor nach Konter erzielt.
Breitenreiter zeigte bei seiner Präsentation, dass er die Werte genau im Blick hat, sprach unter anderem über die Expected Goals bei Heim- und Auswärtsspielen. Seine Vermutung ist, "dass die defensive Stabilität auf Kosten der Offensive" erzeugt worden ist. Er will offensiv-ausgerichtet und "mutiger" nach vorn spielen. Besonders die Umschaltmomente nach Ballgewinn beschäftigen ihn.
Es wartet viel Arbeit auf Breitenreiter
Ein Trainerwechsel kommt aus Datensicht also nicht wirklich überraschend. Und trotzdem stellt sich natürlich die Frage, ob Breitenreiter wirklich der richtige Mann am richtigen Ort ist. Denn zurück in seinem Revier zu sein allein, dürfte nicht reichen. Zumal seine Erfolgsgeschichte bei den "Roten" auch kein gutes Ende hatte: Im Januar seiner zweiten Bundesliga-Saison - in der ersten war Hannover 13. geworden - musste der Coach nach einem 1:5 in Dortmund als Vorletzter gehen.
Damit war er kürzer im Amt als Leitl jetzt. Und: Die Saison war die bisher letzte Bundesliga-Spielzeit von Hannover. Der 51-Jährige, der bei seinen jüngsten Stationen in Hoffenheim und Huddersfield alles andere als erfolgreich war, muss also liefern. Arbeit gibt es genug.
Leitls 4-4-2-System könnte schnell zu den Akten gelegt werden. Breitenreiter setzte bisher vor allem auf ein 3-5-2. Dieses würde neue Möglichkeiten im Spielaufbau und auch im Umschaltspiel eröffnen, birgt aber auch Risiken. Gerade den Schienenspielern auf den Außenbahnen kommt eine große Verantwortung zu. Auch das zentrale Mittelfeld ist stark gefordert. Zudem weicht das bisherige Spiel in anderen Aspekten sehr von dem ab, was man von Breitenreiter gewohnt ist.
Der Neue erklärte, das Team könne sowohl mit Dreier- als auch mit Viererkette spielen. Er wolle die elf besten Spieler auf den Platz schicken. Ohnehin seien die Spielsysteme auf dem Feld ja sehr variabel.
Für Breitenreiters Spielidee braucht es eine Neuausrichtung
Insgesamt bleibt festzuhalten: Setzt Breitenreiter seine bisherige Spielweise in Hannover um, braucht es eine grundlegende Neuausrichtung. Die Analyse der Spielweise von Breitenreiter auf seinen bisherigen Stationen im Vergleich zur aktuellen Ausrichtung von Hannover 96 bringt den Daten zufolge lediglich eine Übereinstimmung von 68,9 Prozent.
Die Umstellung dürfte nicht nur Zeit, sondern auch erhebliche Veränderungen im Kader und im taktischen Verständnis der Spieler brauchen. Und das, während der Fußball-Lehrer auf jeden Fall unter dem Druck steht, kurzfristige Ergebnisse erzielen zu müssen. Dieser Trainerwechsel birgt deshalb auch ein großes Risiko. Breitenreiter bezeichnete die Aufgabe als "sehr spannend und reizvoll" und ergänzte: "Ich sehe überhaupt kein Risiko. Du brauchst eine positive Arroganz und musst nach vorn schauen."
Ein neuer Verteidiger ist da, weitere Neue sollen kommen
GSN gibt als bestes System für den aktuellen 96-Kader weder das 4-4-2 noch das 3-5-2 an, sondern ein 4-1-2-3. Der erste Wintertransfer gibt noch keinen richtigen Fingerzeig, in welche Richtung es gehen könnte. Kenneth Schmidt, den Hannover für eineinhalb Jahre aus Freiburg ausgeliehen hat, ist etatmäßiger Innenverteidiger und als Linksfuß eigentlich auf der Position von Abwehrchef Marcel Halstenberg zu Hause.
Schmidt könnte einerseits auf die Position des Linksverteidigers in der Viererkette rutschen, aber bei der Umstellung auf eine Dreierkette auch den linken Part einnehmen, wenn Halstenberg im Zentrum spielt. Als Schienenspieler kommt Schmidt allerdings nicht infrage.
Manager Mann berichtete von Kontakten zu anderen Spielern. Fest steht: Es sollen weitere Verstärkungen kommen. Aber der Markt sei noch nicht in Schwung gekommen. Schmidt ist auch deshalb der einzige Neue, der am Freitag mit dem Team ins Trainingslager nach Belek reist.
Zwei Wochen Zeit bis zum Rückrundenauftakt
Die Frage, ob Leitl mit ein paar Neuzugängen in der Rückrunde nicht hätte auch erfolgreicher sein können, wird unbeantwortet bleiben. Ob es Breitenreiter allerdings gelingen kann, innerhalb kürzester Zeit - schon am 17. Januar steht der Rückrundenauftakt in Regensburg an - das hannoversche Spiel auf links zu drehen, wird bald klar sein. Spätestens am 18. Mai, wenn der letzte Spieltag stattfindet.
Marius Müller-Westernhagen sang einst weiter: "War nie wirklich weg, hab mich nur versteckt." Von Breitenreiter wird erwartet, dass er von Tag eins an da ist. Und, um beim Songtext zu bleiben, beim Verstecken kommt ihm die Rolle des Suchenden zu, um womöglich versteckte Potenziale in der Mannschaft aufzudecken. Oder um es mit Breitenreiters Worten zu sagen: "Die Vergangenheit ist schnell vergessen. Wir müssen hart arbeiten und in einen Lauf kommen."