Florian Kohfeldt - bei seiner Auszeichung als Trainer des Jahres im Jahr 2019 (l.) und fünf Jahre später beim SV Darmstadt 98 © picture alliance / IMAGO Foto: Revierfoto / Sportfoto Zink

Das beeindruckende Comeback von Trainer Florian Kohfeldt

Stand: 20.11.2024 10:07 Uhr

Florian Kohfeldt ist wieder da! Bei Werder Bremen früher als größte deutsche Trainerhoffnung gefeiert, schien sein Stern nach Misserfolgen in Wolfsburg und Eupen bereits verglüht. Beim SV Darmstadt 98 zeigt der mittlerweile 42-Jährige jedoch wieder, warum ihm die Herzen einst zuflogen.

von Florian Neuhauss

Schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, die Haare frisch gestutzt und gestylt. Als Florian Kohfeldt im März 2019 die Auszeichnung als Deutschlands Trainer des Jahres entgegennimmt, gilt der junge Fußball-Lehrer als Himmelsstürmer. Auf seiner ersten Cheftrainerstation im Profifußball nimmt er die Menschen - nicht nur in Bremen - komplett für sich ein.

"Ich glaube, er wird ein großer Trainer in Deutschland." Starstürmer Claudio Pizarro im Jahr 2019

"Er hat taktisches Know-how ohne Ende", lobt Werders Fin Bartels damals. Nuri Sahin vergleicht Kohfeldt mit Jürgen Klopp - und meint, Kohfeldt habe einen noch besseren Draht zu seinen Spielern. Claudio Pizarro raunt: "Ich glaube, er wird ein großer Trainer in Deutschland."

Der Neuling hat Werder erst vor dem Abstieg gerettet und schickt sich nun an, die Grün-Weißen in den Europapokal zu führen. Als einen "Glücksfall für Werder Bremen" bezeichnet ihn DFB-Direktor Oliver Bierhoff, und DFB-Präsident Reinhard Grindel fügt hinzu: "Ich bin mir sicher, dass seine Trainerkarriere in der Bundesliga gerade erst begonnen hat."

Kohfeldt gibt den Fans wieder das, was sie lieben

Das dachten damals wohl die meisten Beobachter. Doch es kam ganz anders - und in Kohlfeldts Karriere ging es nicht steil bergauf, sondern abwärts. Umso überraschender, dass er im Jahr 2024 beim Zweitligisten Darmstadt 98 an seine erfolgreichen Anfangsjahre anknüpft. Nicht nur, aber auch, weil die Offensive begeistert. Die "Lilien" erzielen seit seiner Amtsübernahme Anfang September im Schnitt drei Tore pro Spiel. Die Chancenverwertung liegt laut den Daten von Global Soccer Network (GSN) bei beeindruckenden 27 Prozent - und erklärt die hohe Torausbeute, obwohl der Wert der "Expected goals" bei lediglich 1,97 liegt.

In Bremen sind in der Saison 2018/2019 genau diese durchschnittlich 1,97 Tore pro Spiel gefallen. Und auch damals übertraf das Team damit den Wert bei den "Expected goals" (1,78) - und gab den Fans schon damals, was sie am meisten lieben: Tore und Siege.

Sein Kruse heißt heute Lidberg

Bei seiner Ehrung sagte Kohfeldt vor fünfeinhalb Jahren: "Ich bin grundsätzlich sehr klar in dem, was ich möchte. Doch der Weg dahin ist hoffentlich von Mitnahme gekennzeichnet. Ich schaue ganz genau: Was ist das für ein Mensch, was treibt ihn um?" Als zweite Ebene bezeichnete er die Fragen: "Was löse ich mit meiner Entscheidung in der Gruppe aus? Was passiert, wenn ich diesen oder jenen vorziehe? Dadurch wird eine Gruppe geformt."

Sein Offensivstar in Bremen war Max Kruse. Ein genialer Kicker, der aber neben einer bestimmten Ansprache auch seine Freiheiten brauchte. Mit elf Toren und elf Vorlagen spielte der gebürtige Reinbeker damals eine herausragende Bundesliga-Saison. An fast 40 Prozent der Bremer Treffer war Kruse direkt beteiligt.

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In Darmstadt ist Kohfeldts Unterschiedsspieler nun Isac Lidberg. Der schwedische Neuzugang, der aktuell mit neun Treffern die Zweitliga-Torschützenliste anführt, war an den ersten vier Spieltagen noch unter Coach Torsten Lieberknecht nur eine Torbeteiligung gelungen. Seitdem kommt der Stockholmer in acht Partien auf elf!

"Er ist ein Meister der Bewegung im Strafraum. Seine Fähigkeit, sich von Gegenspielern zu lösen und in freie Räume zu stoßen, macht ihn zu einer konstanten Gefahr", ist das Fazit der GSN-Analyse. Gemeint ist Lidberg, die Rede könnte jedoch genauso gut von Kruse sein.

Der große Wurf in Bremen gelingt Kohfeldt nicht

Und wer weiß, wo Kohfeldts Weg hingeführt hätte, wären die Bremer damals tatsächlich in die Europa League eingezogen. Am Ende fehlten ein Punkt und drei Tore. So belegte der gebürtige Siegener, der als Torhüter in Werders Jugend spielte und sich als Trainer an der Weser über das Nachwuchsleistungszentrum nach oben arbeitete, mit seinem Team Bundesliga-Rang acht. Und besser wurde es danach nicht mehr.

Man könnte auch sagen, es war bereits der Anfang vom Ende. Im folgenden Jahr hielten die Bremer erst in der Relegation die Klasse und als Kohfeldts Team 2021 nach gerade einmal einem Punkt aus den neun vorangegangenen Begegnungen am letzten Spieltag wieder auf den Relegationsrang abrutschte, wurde er beurlaubt.

Für die letzte Runde übernahm Club-Legende Thomas Schaaf; Werder verlor mit 2:4 gegen Gladbach und stieg direkt ab.

Große Enttäuschungen in Wolfsburg und Eupen

Im folgenden Oktober übernahm Kohfeldt beim VfL Wolfsburg den Cheftrainer-Posten, musste aber nach Platz zwölf am Saisonende schon wieder gehen. Nach Ablauf seines Vertrags bei den "Wölfen" wurde Kohfeldt ein Jahr später überraschend Trainer beim belgischen Erstligisten KAS Eupen. Eine Fehlentscheidung - die er mit seinem Rücktritt zum Ende der Hauptrunde besiegelte. Die KAS musste, ohne Kohfeldt, in die Play-downs und stieg ab.

Kein Draht zu den "Wölfen" und den Wallonen

GSN kommt bei der Analyse der Daten aus diesen beiden Kohfeldt-Jahren zu dem Schluss, dass der Fußball-Lehrer seine Teams mit zu hohen Anforderungen überforderte. Er selbst habe sich zu wenig an die Gegebenheiten angepasst - seine Spielsysteme passten nicht zu den Spielern.

Das 3-4-2-1 in Wolfsburg war zu kompliziert, die Mannschaftsteile arbeiteten nur schlecht zusammen. Trotz defensiver 5-3-2-Ausrichtung in Eupen kassierten die Wallonen im Schnitt fast zwei Gegentore pro Spiel - und schossen nicht mal eins.

Wie auch schon in seinen letzten Werder-Jahren fand Kohfeldt nicht mehr diesen besonderen Draht zu seinem Team, der die Gruppe zum Erfolg führt.

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Kohfeldt: "Mit mutigem Fußball wieder sportlich stabilisieren"

Nun also Darmstadt. Der Bundesliga-Absteiger, der unter Torsten Lieberknecht auch in der Zweiten Liga gleich wieder in den Tabellenkeller gerutscht war. Mit 2:10 Toren und einem Punkt belegten die Hessen nach vier Partien den vorletzten Platz. Lieberknecht trat von sich aus zurück.

Bei der Verpflichtung von Kohfeldt sprach SVD-Sportdirektor Paul Fernie vom "klaren Plan" und dem "Feuer", das er beim Coach gespürt habe. Kohfeldt selbst betonte, er wolle die Mannschaft "mit mutigem Fußball wieder sportlich stabilisieren". Der Fokus galt allerdings "vielen Einzelgesprächen, um die Mannschaft kennenzulernen".

Und so hat der Fußball-Lehrer offenbar einen Schritt zurückgemacht, um wieder nach vorne zu kommen. Oder anders ausgedrückt: Kohfeldt hat aus seinen Fehlern gelernt.

Darmstadt unter Kohfeldt ein Spitzenteam

Darmstadt hat er ein 4-4-2-System mit zwei Sechsern verordnet. Das ist strukturell deutlich einfacher und ermöglicht eine klarere Rollenverteilung als die komplexen Spielsysteme, die Kohfeldt noch in Wolfsburg oder Eupen praktizieren ließ. Am Böllenfalltor ist es ihm wieder gelungen, die richtige Balance zwischen Offensive und Defensive zu finden.

Die "Kohfeldt-Tabelle" (8 Spiele)
PositionVereinTorePunkte
1.SV Darmstadt 9824:1315
2.Hannover 9613:915
3.1. FC Nürnberg18:1114
4.SV Elversberg14:914
5.SC Paderborn13:1113
6.Hamburger SV19:1312
7.Eintracht Braunschweig11:912
(...)

In der Kohfeldt-Tabelle (seit dem fünften Spieltag) belegt Darmstadt mit 15 Punkten aus acht Spielen vor dem kommenden Gegner Hannover 96 Rang eins. Mit 24 Treffern stellen die "Lilien" die mit Abstand beste Offensive. So lassen sich auch die 13 Gegentore verschmerzen. Die bedeuten nur einen Mittelfeldplatz.

Vermeintlich einfaches Spiel als Erfolgsformel

Kohfeldt hat seine Spielidee der hohen Intensität und dem physischen Spiel der 2. Bundesliga angepasst. Durch das richtige Zusammenarbeiten der Mannschaftsteile klappen Pressing und Umschaltspiel in Darmstadt viel besser als noch in Wolfsburg oder Eupen. Außerdem liegt ein größeres Augenmaß auf den Standardsituationen. Zurück zu den Wurzeln sozusagen. Offensichtlich genau der richtige Weg - für die "Lilien" und ihren Coach.

Kohfeldt hat aus seinen Fehlern gelernt

Florian Kohfeldt wirkt heutzutage hagerer als vor sechs Jahren. Die Haare sind länger, akkurat zur rechten Seite gescheitelt. Die blaue Daumenjacke ist den Wetterbedingungen an der Seitenlinie im herbstlichen deutschen Profifußball geschuldet. Aber eines ist klar: Kohfeldt sieht nicht nur deutlich reifer aus als bei seinen Anfängen.

Er hat aus den Rückschlägen der vergangenen Jahre seine Lehren gezogen und sich als Trainer auf seine Stärken besonnen. Nun muss er allerdings beweisen, dass diese Reife auch zu Konstanz führt. Und ob er wirklich auch Defensive kann - wenn das offensive Hurra über einen längeren Zeitraum nur ein leises Rufen ist.

Wenn das aber gelingt, dann kann Kohfeldt mit ein paar Jahren Verzögerung den Vorschusslorbeeren aus dem März des Jahres 2019 gerecht werden. Dann dürfte ihn die Karriereleiter schon bald wieder in die Bundesliga führen.

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