"Mehr geht nicht" - St. Pauli empfängt HSV zum Stadtderby und Topduell
Der FC St. Pauli empfängt heute Abend den HSV zum 110. Hamburger Stadtderby. Der wettbewerbs- und saisonübergreifend seit 21 Spielen ungeschlagene Kiezclub geht von der Papierform her leicht favorisiert in das Duell des Zweitliga-Spitzenreiters mit dem Tabellenzweiten. Aber: Seine bis dato letzte Pleite kassierte St. Pauli ausgerechnet gegen den Erzrivalen.
Früher war ja angeblich alles besser - und anders. Fußball-Profis beispielsweise eröffneten nach dem Ende ihrer Laufbahn einen Lotto-Laden, investierten ihr hart verdientes Geld in (nicht selten windige) Bauherren-Modelle oder reisten als Vertreter für Sportartikel-Hersteller durchs Land. Heute versuchen viele frühere Berufskicker ihr Glück nach der sportlichen Karriere als TV-Experte, Influencer oder sind schlichtweg Privatiers, wenn sie denn zuvor genug verdient haben.
Hauke Brückner hat sich auch gegen das gute alte Lotto-Geschäft entschieden. Der gebürtige Eutiner, der von 2000 bis 2007 für die St.-Pauli-Profis auflief und später noch in der U23 der Hamburger eine Führungsrolle einnahm, ist nun Online-Redakteur beim Kiezclub. Und in dieser Funktion zeichnete der 43-Jährige am Mittwochmorgen auf der Pressekonferenz für das Stadtderby dafür verantwortlich, das Mikrofon von Journalist zu Journalist zu tragen.
Um seinen Kalorienverbrauch für diesen Tag musste sich Brückner anschließend keine Sorgen mehr machen. Denn der Raum war rappelvoll, die Medienschaffenden waren sehr neugierig und er dementsprechend fast unentwegt auf den Beinen. Beinahe 40 (!) Minuten lang wurde Coach Fabian Hürzeler zum Derby befragt. Ein Umstand, der die Bedeutung des Spiels - auch medial - noch einmal unterstrich.
Topspiel eins gegen zwei
"Es ist das Spiel eins gegen zwei - mehr geht nicht. Aber auch von der Qualität her erwartet uns da ein sehr, sehr schwerer Gegner, der ähnlich wie wir einen spielerischen Ansatz und ähnlich wie wir hohe Ballbesitzwerte hat", sagte der 30-Jährige zu Beginn. Dann sezierte er kurz, aber sehr detailreich das Spielsystem des HSV, um zum Abschluss des einleitenden Monologs die Marschroute für das heutige Derby (18.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) auszugeben: "Unsere Aufgabe ist es ganz klar, die Stadtmeisterschaft zurückzuholen. Sie ist momentan beim HSV - und das wollen wir definitiv ändern."
"Es liegt eine gewisse Anspannung in der Luft, ein gewisses Kribbeln ist vorhanden. Nicht nur bei uns, auch in der Stadt." St.-Pauli-Coach Fabian Hürzeler
St. Pauli seit Pleite beim HSV ungeschlagen
Hürzeler sprach damit auf St. Paulis 3:4-Niederlage am 29. Spieltag der Vorsaison im Volksparkstadion gegen den Hamburger Rivalen an. Es war die bis dato letzte Pleite der Kiezkicker. Und eine, die den äußerst ehrgeizigen und akribischen Trainer bis heute ärgert. "Wir haben danach dran gearbeitet, defensiv kompakter zu stehen. Es gibt Dinge, die du trainieren und damit beeinflussen kannst. Du musst als Mannschaft die Fähigkeit haben, schnellstmöglich hinter den Ball zu kommen", erklärte der Coach.
Das gelingt St. Pauli seitdem Woche für Woche in beeindruckender Art und Weise. 21 ungeschlagene Begegnungen in Serie schlagen für das Hürzeler-Team nun saison- und wettbewerbsübergreifend zu Buche, während der HSV in dieser Spielzeit bereits drei Niederlagen hinnehmen musste.
"In diesem Spiel gibt es keinen Favoriten"
Die Favoritenrolle liegt also von der berühmten Papierform her beim Kiezclub, auch wenn der Vorsprung auf den Stadtrivalen nur drei Zähler beträgt. So sehen es viele Experten und selbst einige HSV-Fans. Nur eben Hürzeler nicht. "In diesem Spiel gibt es keinen Favoriten. Das ist ein 50:50-Spiel, in dem es einfach darum geht, das Mometum auf seine Seite zu ziehen. Ich glaube, dass der Respekt voreinander groß ist. Und die Wahrheit liegt dann einfach auf dem Platz - da müssen wir abliefern", sagte der 30-Jährige.
St. Pauli wohl mit zwei Hamburgern in Startelf
Personell kann Hürzeler ("Es liegt eine Anspannung, ein Kribbeln in der Luft") mit Ausnahme des langzeitverletzten Scott Banks aus dem Vollen schöpfen. Das heißt: In Flügelflitzer Elias Saad und Innenverteidiger Hauke Wahl werden bei St. Pauli ziemlich sicher auch zwei gebürtige Hamburger von Beginn an auf dem Platz stehen. "Ich freue mich extrem auf das Spiel", sagte Wahl vor dem ersten Derby in seiner Heimatstadt.
Der 29-Jährige hätte am Freitag durchaus auch auf der anderen Seite stehen können. Denn unter HSV-Coach Tim Walter arbeitete Wahl erfolgreich bei Holstein Kiel. "Jeder weiß, dass wir uns sehr schätzen", erklärte der Verteidiger. Ein Wechsel in den Volkspark sei aber nie ein ernstes Thema gewesen, ergänzte er.
Rätselraten um HSV-Innenverteidigung
Ob Walter im Derby einen Hamburger von Beginn an auf den Rasen schicken wird, ist derweil ziemlich fraglich. Levin Öztunali könnte zwar für den Gelb-gesperrten Bakery Jatta in die Startelf rutschen, der Enkel der HSV-Ikone Uwe Seeler ist aber seit Wochen in einer Formkrise. Es spricht also mehr für Ransford Königsdörffer als Jatta-Vertreter. Bliebe noch Stephan Ambrosius. Doch der statistisch gesehen beste Innenverteidiger des Tabellenzweiten muss um seinen Platz zittern, weil Dennis Hadzikadunic nach abgesessener Gelbsperre wieder zur Verfügung steht. Und selbst Kapitän Sebastian Schonlau ist nach monatelanger Verletzungspause wieder ins Training eingestiegen, dürfte aber keine ernsthafte Option sein.
"Ich bin froh, dass ich viele gute Innenverteidiger habe und die Jungs gut performen", betrieb Walter in puncto Nebenmann von Guilherme Ramos Geheimniskrämerei.
Walter: "Zeigen, wer der HSV ist"
Die HSV-Fans dürfte vor allem die Frage bewegen, ob die Walter-Equipe endlich auch einmal in einem anderen Stadion eine überzeugende Leistung zeigen kann. Bis dato schlagen gerade einmal sechs Zähler in der Fremde für den Tabellenzweiten zu Buche.
"Das ist kein Auswärtsspiel, sondern einfach nur ein Derby", entgegnete Walter. "Da ist es einfach nur wichtig, dass man Willen und Emotionen zeigt und trotzdem kühlen Kopf bewahrt." Es gehe am Freitag darum, "alles auf dem Platz liegenzulassen". Und mit einer großen Portion Pathos erinnerte Walter zudem noch daran, dass er bei einem sehr ruhmreichen Verein angestellt sei: "Das ist ein schönes Spiel, um zu zeigen, wer der HSV ist."
Nüchtern betrachtet ist der einstige Europapokalsieger allerdings inzwischen ein ziemlich normaler Zweitligist. Immerhin ist das Bundesliga-Unterhaus nun bereits seit fünfeinhalb Jahren die Heimat des HSV. Die Phrase: "Früher war alles besser" - sie trifft auf den Traditionsclub fraglos zu.
Polizeipräsident Schnabel: Stadien keine rechtsfreien Räume
Stadtmeisterschaft, Aufstiegsambitionen, Prestige - es geht um viel. Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel appellierte vor dem brisanten Stadtduell an die Vernunft beider Fanlager. "Es gibt auch in Stadien keine rechtsfreien Räume. Und wenn die Polizei eine Maßnahme durchführt, dann die dringende Bitte: Lasst uns das auch machen", sagte Schnabel dem NDR.
Das Derby wird regelmäßig von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. "Wir haben sehr viele Kräfte im Einsatz", so der Polizeipräsident. "Wir werden uns aber so aufstellen, dass wir konsequent eingreifen können und wir werden Sicherheitsstörungen nicht dulden." Schnabel rief die Anhänger beider Clubs zu einem gewaltfreien Aufeinandertreffen auf. "Mein Appell an alle, die dort hingehen: Bitte friedlich. Es soll ein friedliches Fußballfest für alle sein."
Beide Fanlager waren in Fanmärschen quer durch die Stadt zum Millerntorstadion gegangen. Einen Zusammenstoß der rivalisierenden Anhänger konnte die Hamburger Polizei verhindern. Es wurde zwar während beider Fanmärsche viel Pyrotechnik gezündet, ansonsten verliefen sie jedoch friedlich.