Deutschland - Brasilien 7:1 - Als die Fußball-Welt ihren Augen nicht traute

Stand: 07.07.2024 10:00 Uhr

Was sich im WM-Halbfinale 2014 in Belo Horizonte abspielte, war surreal. Der spätere Weltmeister Deutschland zerstörte auf der Höhe seines Schaffens mit dem historischen 7:1-Sieg gegen Gastgeber Brasilien den Traum einer ganzen Fußballnation und bewies im Triumph Größe.

von Matthias Heidrich, Martin Roschitz und Sven Kaulbars

Deutschland gegen Gastgeber Brasilien im WM-Halbfinale! Der 8. Juli 2014 ist allein schon wegen des Duells der zwei Fußball-Giganten ein besonderer Tag. Doch als die Ereignisse in Belo Horizonte ihren Lauf nehmen, wird schnell klar: Diesen Tag wird die Fußball-Welt nie wieder vergessen.

Brasilien, diese stolze, verrückte Fußballnation, ist elektrisiert von der Heim-WM. Der Titel soll her, um jeden Preis. Die Selecao um Superstar Neymar reitet auf einer Euphoriewelle durch das Turnier und an diesem 8. Juli auf selbiger ins Estadio Mineirao.

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Podcast: Wir Weltmeister - Collage der Fußballweltmeister Bastian Schweinsteiger, Benedikt Höwedes und Mario Götze © NDR

Doku: "Wir Weltmeister" - Abenteuer Fußball-WM 2014

Das 7:1 gegen Brasilien und Mario Götzes Finaltor sind unvergessen, aber neben der Euphorie erlebt die Nationalmannschaft auch Rückschläge und emotionale Prüfungen. Ab 22. Mai alle vier Folgen in der ARD Mediathek. extern

Die Brasilianer tanzen und singen schon im Teambus bei der Ankunft. In der Kabine war "ein unglaublicher Geräuschpegel", erinnert sich Bundestrainer Joachim Löw.

"Ich habe nie in meinem Leben mehr Überzeugung und Fanatismus gesehen als in den Augen der Brasilianer. Die haben wirklich bildlich gesprochen Schaum vor dem Mund gehabt". Joachim Löw

Die Nationalhymne schreien die Brasilianer mehr, als dass sie singen würden. Dabei halten Torwart Julio Cesar und Kapitän David Luiz Neymars Trikot hoch. Brasiliens bester Spieler fehlt verletzt, soll aber dabei sein. Salopp formuliert sind die Gastgeber vor dem Halbfinale gegen Deutschland völlig drüber, auf und abseits des Platzes.

Brasilien blind vor Euphorie

Und so spielt die Selecao auch Fußball in diesem Turnier: fast fanatisch, alles oder nichts, Angriff total. Aber auch blind vor Euphorie, ohne defensive Absicherung. Die Deutschen wissen das, sind perfekt vorbereitet, von einem Mann, der das unglaubliche Ergebnis schon vorhergesagt hatte - Urs Siegenthaler.

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Podcast: "Wir Weltmeister" - Auf der Suche nach 2014

Zehn Jahre nach dem Titel haben sich Reporter des NDR auf eine Spurensuche begeben: an die Orte des Geschehens, zu den Akteuren von damals. Alle Folgen des Podcasts in der ARD Audiothek. extern

"Der Urs hat zu mir gesagt: 'Jogi! Wenn wir die Sache konzentriert angehen und manche Dinge richtig tun, dann werden wir gegen Brasilien so hoch gewinnen, wie wir noch nie gegen die gewonnen haben", erinnert sich Löw an den mittlerweile legendären Strandspaziergang mit seinem Chef-Analytiker. Er hat die Schwächen der Selecao genau im Blick und Löw die Mannschaft zur Verfügung, die sie gnadenlos ausnutzen kann.

Der Anpfiff ertönt und perfekt eingestellte Deutsche holen die Gastgeber so hart auf den Boden der Tatsachen zurück, wie es keinem brasilianischen Team zuvor passiert ist. Thomas Müller bringt Deutschland nach elf Minuten in Führung, ehe der Löw'sche DFB-Express die Brasilianer komplett überrollt: Miroslav Klose, zweimal Toni Kroos und Sami Khedira - vier Tore in sechs Minuten erzielt die DFB-Elf, 5:0 zur Pause, was ein Wahnsinn.

Mertesacker: "Das war wie im Film"

50.000 Menschen im Stadion, 35 Millionen TV-Zuschauer in Deutschland und weltweit eine Milliarde trauen ihren Augen nicht. "Das war wie im Film. Nach jedem Tor sind wir hochgesprungen, sind zur Seitenlinie gesprintet und haben uns gefragt: Was ist hier los?", erinnert sich Per Mertesacker, der auf der Bank sitzt. Benedikt Höwedes steht auf dem Feld und "kann es selber nicht fassen, was da passiert."

"Wir waren effektiv wie Maschinen. Das war so krass. Jede Chance ein Tor. Man musste sich kneifen." Per Mertesacker

Auf den Rängen spielen sich tragische, herzzerreißende Szenen ab. Am Boden zerstörte brasilianische Fans heulen hemmungslos. Sie wissen jetzt schon, wie alle anderen auch, ihr Traum vom WM-Sieg im eigenen Land ist geplatzt. Deutschland wird gewinnen.

DFB-Physiotherapeut Christian Huhn, den alle nur "Chicken" rufen, weiß das auch. Er sammelt alle Süßigkeiten aus der deutschen Kabine ein und verteilt sie unter den aufgelösten Anhängern der Gastgeber.

Löw zieht den Euphorie-Stecker

Draußen Süßes für die Brasilianer, drinnen Saures für die Deutschen: Löw zieht in der Pause den Euphorie-Stecker. "Ich habe gesagt: 'Wenn einer glaubt, jetzt irgendwie Theater machen zu müssen und den Gegner vorführen zu wollen, dann wechsel' ich ihn sofort aus und er wird beim Finale definitiv nicht auf dem Platz stehen."

Rumms! Die Ansage sitzt. 7:1 steht es am Ende, die Deutschen feiern einen historischen Sieg. Aber mindestens ebenso beeindruckend wie die sportliche Leistung, ist das Auftreten der DFB-Elf. Sie siegt mit Würde und lässt den Brasilianern selbige.

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Bastian Schweinsteiger und Co. übernehmen nach dem Schlusspfiff sogar die Trauerarbeit mit den bemitleidenswerten Brasilianern. "Die waren nach dem Spiel fix und fertig, du hast viele weinende Augen gesehen. Da kannst du nicht jubeln, das geht nicht. Deswegen habe ich sie in den Arm genommen", so Schweinsteiger.

"Wir haben den Titel auch ein bisschen für die Brasilianer gegen Argentinien geholt." Bastian Schweinsteiger

Die Gastgeber wissen die Größe, die Fairness der überlegenen Deutschen zu schätzen, im Stadion und auch im DFB-Quartier. "Als wir ins Campo Bahia zurückkamen, standen da die Brasilianer und haben uns applaudiert und Respekt entgegengebracht", erinnert sich Schweinsteiger. "Es war eine besondere Beziehung dort zwischen uns und den Brasilianern. Da war das Fußballland Deutschland und das Fußballland Brasilien zusammen."

Brasilianer applaudieren den Deutschen

Die 1:7-Wunde des 8. Juli 2014 sitzt tief in der brasilianischen Fußball-Seele, aber "es wäre für sie viel schlimmer gewesen, wenn Argentinien in Brasilien Weltmeister geworden wäre", sagt Schweinsteiger. "Am Finaltag auf dem Weg zum Stadion haben uns alle Brasilianer angefeuert, das war unfassbar und hat uns noch mal mehr motiviert."

Kleines und großes Happy End in Rio

Der Rest ist Geschichte, die fünf Tage später im legendären Maracana-Stadion in Rio de Janeiro geschrieben wird. "Wir haben den Titel wirklich auch ein bisschen für die Brasilianer gegen Argentinien geholt", erinnert sich Schweinsteiger an das große deutsche und kleine brasilianische Happy End am 13. Juli 2014.

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