Schweinsteiger: "Den deutschen Fans den Pokal zu präsentieren, war magisch"
Bastian Schweinsteiger hat mit dem WM-Sieg 2014 seine herausragende Karriere gekrönt. Zehn Jahre nach dem Triumph von Rio spricht er im Sportschau-Interview über seinen schönsten WM-Moment, das Spiel seines Lebens im Finale gegen Argentinien und warum Deutschland den Pokal auch ein bisschen für Brasilien gewonnen hat.
Herr Schweinsteiger, was ist das Besondere daran, diesen goldenen Pokal in den Händen zu halten?
Bastian Schweinsteiger: Zunächst einmal war ich überrascht, wie schwer der WM-Pokal ist. Das denkt man gar nicht. Als kleiner Junge habe ich die WM 1990 als erstes Turnier richtig verfolgt und die deutsche Nationalmannschaft den Pokal in Rom in die Luft heben sehen. Mit diesen Bildern im Kopf war es etwas ganz Besonderes, diesen Pokal selbst in den Händen zu halten. Ihn auch noch im Maracana in Rio hochzuhalten, war etwas Magisches.
War die deutsche Mannschaft 2014 in Brasilien quasi reif für den Titel?
Schweinsteiger: Wir hatten grundsätzlich eine gute Mischung in der Mannschaft, auch von den Charakteren her. Ich denke da an Kevin Großkreutz, Erik Durm oder auch Mathias Ginter. Die haben vielleicht nicht immer gespielt, aber eine sehr gute Stimmung reingebracht, was sehr geholfen hat. Das braucht man in so einem Turnier.
Mit elf Häuptlingen wird es schwierig. Du brauchst auch diejenigen, die arbeiten, die nach außen hin vielleicht schon fast unsichtbar sind, aber die du als Mitspieler sehr zu schätzen weißt. Jogi hat in der Zusammenstellung der Mannschaft alles richtig gemacht. Und sportlich gesehen waren wir nicht mehr grün hinter den Ohren, sondern wussten, worauf es ankommt. Die Erfahrungen aus dem Turnier 2010 in Südafrika haben uns dabei geholfen.
Wie wichtig sind Enttäuschungen auf dem Weg zu so einem Erfolg?
Schweinsteiger: Um die beste Mannschaft der Welt zu sein, musst du den allerletzten Stein auch noch umdrehen. Das hat sehr viel mit Erfahrung und Reife zu tun. Momente oder Richtungen auf dem Platz erkennen zu können, ist wichtig. Das haben wir gerade in Brasilien viel besser gemacht als in anderen Turnieren.
Neben den sportlichen Highlights der WM 2014 ist vielen auch das "Eistonnen-Interview" von Per Mertesacker nach dem Algerien-Spiel im Gedächtnis geblieben. Wie haben Sie das damals erlebt?
Schweinsteiger: Als das jemand im Bus abgespielt hat, haben wir uns totgelacht. Dass der Per so aus sich herausgeht, war schon sehr witzig. Per steckte tatsächlich gefühlt die ganze Zeit in der Eistonne. Nach dem Training, vor dem Training, Halbzeit-Pause, immer ging es in die Eistonne. Aber es hilft schon. Und das, was Per im Interview sagt, hat schon gestimmt. Es geht bei so einem Turnier wirklich nicht darum, wer schön spielt, sondern um das finale Ergebnis.
Viel beschrieben und gelobt wurde auch das Campo Bahia. Wie war es dort und welche Rolle hat es für den Titelgewinn gespielt?
Schweinsteiger: Es hat sich dort nicht wie in einem Hotel angefühlt, eher wie ein Urlaubs-Resort. Man hat sich die ganze Zeit getroffen und Zeit miteinander verbracht, das war ideal gemacht. Allein jedes Mal der Weg dahin: Die Mannschaft raus aus dem Bus, der Bus auf die Fähre, die Spieler dann auch, 15 Minuten rüberfahren, Bus wieder runter, wir wieder rein in den Bus und noch mal 10 Minuten zum Campo fahren. Ich fand das super cool, das hatte einfach Charme.
Vor allem die Ankunft nach dem Halbfinalsieg gegen Brasilien soll außergewöhnlich gewesen sein?
Schweinsteiger: Ich kann mich noch erinnern, wie wir damals durch den Ort zum Fluss gefahren sind und uns alle Brasilianer applaudiert und schon für das Finale gegen Argentinien angefeuert haben. Drei Stunden nachdem wir die Selecao mit 7:1 geschlagen hatten. Auch im Campo Bahia haben uns alle Brasilianer applaudiert. Es war eine besondere Beziehung dort zwischen uns und den Einheimischen. Das Fußballland Deutschland und das Fußballland Brasilien quasi zusammen.
Auch am Finaltag auf dem Weg zum Stadion haben uns alle Brasilianer angefeuert, das war unfassbar und hat uns nochmal mehr motiviert. Ich glaube, wir haben den Titel gegen Argentinien dann auch ein bisschen für die Brasilianer geholt. Für sie wäre es noch viel schlimmer gewesen, wenn Argentinien in Brasilien Weltmeister geworden wäre.
Nach der historischen 1:7-Niederlage haben viele brasilianische Spieler bitterlich geweint. Die deutschen Spieler haben kaum gejubelt und viel mehr getröstet.
Schweinsteiger: Wir haben ja miterleben dürfen, was Fußball in Brasilien bedeutet. Die brasilianischen Spieler waren nach dem Spiel fix und fertig. Da kannst du nicht jubeln, das geht nicht. Deswegen habe ich sie in den Arm genommen. Auch Jogi hatte uns schon in der Halbzeit beim Stand von 5:0 gesagt: Spielt es respektvoll zu Ende.
Dann kam das Finale gegen Argentinien mit Lionel Messi. Wie sind Sie es angegangen?
Schweinsteiger: Es war ganz wichtig, Messi im Griff zu haben, wenn wir selbst den Ball haben. Er wartet nur darauf, dass du den Ball verlierst und er ihn dann bekommt. Das war immer die Herausforderung gegen ihn, ihm so wenig Ballkontakte wie möglich zu geben. Aber ich bewundere Messi für die Fähigkeit, aus Nichts sehr viel zu machen. Und dass er dafür nicht viel laufen muss. Das Finale haben am Ende des Tages Kleinigkeiten entschieden.
Zum Beispiel das Siegtor von Mario Götze in der Verlängerung.
Schweinsteiger: Als der Ball reingegangen ist, habe ich sofort an das Champions-League-Finale 2012 mit Bayern München gedacht: 'Du musst das jetzt über die Runden bringen, egal wie!' Glücklicherweise haben wir es geschafft. Das Schöne an dem Tor war auch, dass André Schürrle über links und Mario Götze mit seinem Laufweg in der Mitte eine Art fußballerische Kommunikation hatten. Aber die Ballannahme von Mario mit der Brust war entscheidend. Er hat uns zu Weltmeistern gemacht.
Wie war der Moment, als Schiedsrichter Nicola Rizzoli das WM-Finale abpfiff?
Schweinsteiger: Da war Erleichterung, es endlich geschafft zu haben. In mir hat sich sehr viel gelöst. Menschen wie Jogi, Miro Klose, Thomas Müller oder Philipp Lahm zu umarmen, mit denen du über Jahre versucht hast, diesen Pokal zu gewinnen, war sehr, sehr emotional.
Für viele ist das Symbolbild dieses Finalsiegs Bastian Schweinsteiger mit dem blutenden Cut unter dem Auge. Können Sie das nachvollziehen?
Schweinsteiger: Vielleicht symbolisiert dieses Bild ein bisschen den Weg, den wir gegangen sind. Wir haben nichts geschenkt bekommen, sondern mussten es uns hart erarbeiten. Wir mussten sehr viel leiden. Nicht nur wir Spieler, sondern auch die deutschen Fans, weil wir die Turniere davor immer gut gespielt, aber es nicht geschafft haben.
Sind Sie im Finale für den Erfolg über die Grenze gegangen?
Schweinsteiger: Auf dem Niveau kann man nicht erfolgreich sein, ohne sich zu quälen. Mir tat im Finale körperlich zwar alles weh, aber der Kopf und der Wille war komplett da. Für mich war es das beste Spiel, das ich je gemacht habe, weil ich einfach unheimlich präsent war. Ich habe nur noch gedacht: 'Hey, wer weiß, ob das in deinem Leben noch mal vorkommen wird.' Vielleicht ist dann das eine oder andere Prozent mehr drin.
Was ist Ihr WM-Moment von 2014?
Schweinsteiger: Für mich persönlich, als wir in Berlin gelandet sind, und den Menschen in Deutschland den Pokal präsentieren konnten. Das war der magische Moment für mich, mein großer Traum. Das war einzigartig und das Größte, was einem als Fußballer passieren kann. Auf dem Weg zum Brandenburger Tor die ganzen feiernden Menschen zu sehen. Wir waren ja schon 2006 da gewesen, aber mit leeren Händen, ohne Pokal. Deswegen war das der schönste Moment für mich.
Würde es Sie reizen, so etwas noch mal zu erleben?
Schweinsteiger: Wenn man Weltmeister geworden ist und diese Emotionen miterleben durfte, dann gibt es als Fußball-Liebhaber nicht schöneres. Das in irgendeiner Funktion noch mal erleben zu dürfen, wäre etwas, was ich sehr gerne machen würde.
Das Interview führten Sven Kaulbars und Martin Roschitz.