Zeitreise: Feminismus in einer rassistischen Zeit

Stand: 02.07.2023 13:26 Uhr

Die Koloniale Frauenschule in Rendsburg war von 1927 bis 1945 in Betrieb, bot jungen Frauen eine für die damalige Zeit ungewöhnliche und vielfältige Ausbildung zu ehemaligen und künftigen Kolonien.

von Philip Schroeder

Zugewachsen ist der Stein - Spaziergänger am Kanal in Rendsburg müssen genau hinsehen, um ihn nicht zu verpassen. Unterhalb des heutigen Nordkollegs steht er an der Stelle des längst abgerissenen Hauptgebäudes. Die Inschrift erinnert an die "Koloniale Frauenschule Rendsburg 1927 bis 1945".

Ein vergessenes Stück Geschichte

Ein größerer Stein mit einer Gravur "Koloniale Frauenschule Rendsburg 1927 - 1945" steht in einer Böschung. © NDR Foto: Philip Schroeder
Ein Gedenkstein erinnert noch an die Frauenschule von Rendsburg

Wenige Kilometer entfernt, im Rendsburger Museumsquartier, arbeitet Joana Schröder gerade an ihrer Abschluss-Ausstellung ihres Volontariats. Thema: die Koloniale Frauenschule Rendsburg, im Kontext der Zeit und mit Blick auf ihre Wahrnehmung nach 1945. "Für mich gab es gar keine andere Auswahl, obwohl es hart war, die Ausstellungsstücke zusammenzusuchen", sagt die europäische Ethnologin.

Eine Wandkarte, mit dem Deutschen Reich in den Grenzen von 1941 und den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika, außerdem Sportgeräte wie Hanteln und ein Rhönrad hat Joana Schröder auftreiben können für ihre Ausstellung. Zwar stehen noch einige Gebäude der ehemaligen Kolonialschule im Bereich zwischen Eider und Nord-Ostsee-Kanal und werden heute vom Nordkolleg genutzt. Aber Möbel, Technik und Unterrichtsmaterial - davon ist nichts zu erhalten. Wer sich über die vergessene Geschichte der Kolonialen Frauenschule informieren will, muss in den Archiven graben.

Ein in der damaligen Zeit ungewöhnliches Frauenbild

Eine Archivaufnahme zeigt das Gebäude der kolonialen Frauenschule in Rendsburg. © Landesbibliothek Schleswig-Holstein
Die Koloniale Frauenschule in Rendsburg war von 1927 bis 1945 in Betrieb.

In der Landesbibliothek in Kiel liegen mehrere Nachlässe, darunter die von den Ehemaligen herausgegebenen Rundbriefe, Schuldokumente, dazu viele Fotos. Denn viele der insgesamt 1.100 Absolventinnen der Kolonialen Frauenschule haben ihre Erinnerungen noch jahrzehntelang dokumentiert und gepflegt. "Auf den ersten Blick verkörpern diese Frauen ein ambivalentes Frauenbild, was ich aus dieser Zeit noch gar nicht kannte", sagt Wissenschaftlerin Joana Schröder: "Einerseits waren sie traditionellen Rollen verhaftet, aber auf der anderen Seite haben sie scheinbar probiert, etwas eher Emanzipatorisches zu leisten."

Die Koloniale Frauenschule richtete sich an junge Frauen zwischen 18 und 25 Jahren. Unterrichtet wurden hauswirtschaftliche Fähigkeiten, aber auch Handwerk wie Metallbearbeitung, Tischlern, Pflastern und Polstern, außerdem Agrartechnik, Tierhaltung, Hygiene, afrikanische Sprachen, später auch Russisch, viel Sport und der Umgang mit Schusswaffen, außerdem Reiten. Die Absolventinnen sollten als eine Art "Kolonialwirtin" in den ehemaligen deutschen Kolonien einen landwirtschaftlichen Betrieb führen können. Eine ungewöhnliche Ausbildung, damals. "Diese Schule konnte für junge Frauen ein Dreh und Angelpunkt dafür sein, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, irgendwo ganz woanders. Es war sozusagen eine Ausbildung, die ihnen ermöglicht hat, aus traditionellen Rollenmustern auszubrechen", sagt Maike Manske von der Landesbibliothek. Allerdings: "Diesen Gender-Aspekt müssen wir im Spannungsfeld aus kolonialistischen und nationalsozialistischen Aspekten sehen, und das macht ihn gleichzeitig irgendwo auch absurd."

Schule macht nach 1933 nahtlos weiter

Eine Archivaufnahme zeigt Frauen der Kolonialen Frauenschule Rendsburg bei einer Schießübung. © Landesbibliothek Schleswig-Holstein
Sportunterricht im Geist der Zeit: Gesunde deutsche Frauen sollten in Übersee mit deutschen Männern deutsche Kinder bekommen. Die Schule bildete keine Entwicklungshelferinnen aus, sondern Herrinnen.

Das Ausbildungsprogramm und die Bilder der Frauen, die sich auf eigene Faust und mit eigenem Beruf einen Platz in der Welt erobern, sieht nach frühem Feminismus aus. Dahinter stand allerdings ein kolonialrevisionistisches, rassistisches Konzept. Nach 1933 hatte die Koloniale Frauenschule kein Problem damit, einen Platz in der nationalsozialistischen Herrschafts-Topografie zu finden. Zur Ausbildung für den Einsatz in den ehemaligen Kolonien kam die Ausbildung für den Einsatz in den zu erobernden oder - nach 1939 - schon eroberten Ostgebieten. Das Hitler-Bild hing in den Klassenräumen, die "Rassenkunde" gehörte zum Pflichtprogramm, der Schießunterricht auch. In der Kolonialen Frauenschule wurden gezielt Herrinnen-Menschen ausgebildet. "In der klassischen Theorie ist Feminismus immer antirassistisch", sagt Historikerin und Geschichtslehrerin Svenja Budziak, die gerade eine Doktorarbeit über die Koloniale Frauenschule schreibt. "Dennoch würde ich sagen, dass wir hier feministische Momente finden. Wo Frauen Bildung erfahren, gibt es immer ein feministischen Moment. Wie sich das am Ende ausprägt, das ist es, was es zu erforschen gilt."

In einem Film von 1937 über die Kolonialschule heißt es im typisch schnarrenden Propaganda-Ton: "In nur einjähriger Ausbildung werden deutsche Mädchen praktisch und theoretisch so ausgebildet, dass sie fähig sind, auf großen und kleinen Pflanzungen und Farmen ihren Mann zu stehen und das Deutschtum im Ausland würdig zu vertreten."

Hinter allem stand ein rassistisches Konzept

Das so genannte Deutschtum im Ausland vertreten - auch fördern - das war die Grundmotivation bei der Gründung der Kolonialen Frauenschule durch Deutsche Kolonialgesellschaft und Reichsinnenministerium. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg hatte Deutschland seine Kolonien zwar verloren, aber ihre Wiedergewinnung war damals das Ziel mehrerer Lobby-Organisationen, der Kolonialrevisionisten. In deren Augen drohten sich die deutschen Siedler etwa in Afrika mit der einheimischen Bevölkerung zu vermischen. Die Kolonialschul-Absolventinnen waren auch als potenzielle Ehefrauen gedacht. "Die Koloniale Frauenschule hatte eine klare Absicht, und das war nicht Frauenermächtigung. Das Ziel dieser Institution war kolonialrevisionistisch und später in einem gewissen Rahmen auch faschistisch", sagt Historikerin Svenja Budiak: "Damit die Männer, die in den ehemaligen Kolonien geblieben sind, weiße Partnerinnen bekommen und dann weiße Kinder." Die Frauen seien auf den Schiffen in die Kolonien gereist, auf denen auch das Zuchtvieh für die Siedler transportiert wurde. "Das ist für mich ein Bild, das wir nicht vergessen sollten. Frauen waren auch ein Exportgut", sagt Budziak.

Spuren von Feminismus einerseits, aber innerhalb einer eigentlich frauenfeindlichen und rassistischen Struktur, Freiheit für wenige, Unterdrückung für viele: In der Kolonialen Frauenschule Rendsburg steckt noch genug Material für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

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Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Schleswig-Holstein Magazin | 02.07.2023 | 19:30 Uhr

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