Zeitreise: Was ein Kieler Professor mit Atomwaffen zu tun hatte
1958 erlaubte der Deutsche Bundestag der Bundeswehr den Besitz von Atomwaffen. In die Diskussion war auch der Kieler Professor Erich Bagge einbezogen. Als Atomforscher entwickelte er später den Forschungsreaktor in Geesthacht und das nukleare Frachtschiff "Otto Hahn".
Hunderttausende sind 1958 in Hamburg auf die Straße gegangen und haben gegen die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen protestiert. Damals hatte der Bundestag die atomare Bewaffnung der Bundeswehr mit den Stimmen der CDU/CSU Mehrheit und gegen den heftigen Widerstand der SPD und FDP beschlossen. In einer aufgeheizten Debatte wurde der Verteidigungsminister Franz Josef Strauß als "bundesdeutsche Atomkanone" bezeichnet. Erich Mende von der FDP wollte das Atom-Monopol bei den Großmächten lassen und befürchtete eine Atom-Anarchie. Die Regierungspartei CDU betonte hingegen, dass die Möglichkeit einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr die wichtige Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur NATO sichern würde.
Der Chef der Kieler Atomforscher
In Kiel war damals Erich Bagge Gründungsdirektor des Instituts für Reine und Angewandte Kernphysik und einer der wichtigsten Atomforscher der Bundesrepublik. Er war Initiator des Forschungsreaktors in Geesthacht und Entwickler des Atomschiffs "Otto Hahn". Während des Zweiten Weltkriegs gehörte Erich Bagge zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die für die Nationalsozialisten die Möglichkeiten der Kernenergie ausloten sollten. Später sagte Erich Bagge: Jedem Wissenschaftler war klar, dass dazu auch die Möglichkeit der Entwicklung einer Waffe gehören würde.
Spezialist für atomare Schiffsantriebe
Franz Josef Strauß wollte den Kieler Professor für das Verteidigungsministerium gewinnen, sagt Joachim Krause, Chef des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik. Bagge sagte "Nein" und erzählte später in einem Interview: "Ohne jedes Zögern habe ich ihm (Franz Josef Strauß) gesagt: Die Atombombe ist für mich eine so schrecklich mörderische, ganz gefährliche Waffe, dass man sie nicht bauen und nicht einsetzen sollte. So kam es, dass ich nie in sein Ministerium eintrat". Joachim Krause glaubt hingegen nicht, dass Strauß Bagge für eine Atomwaffe gewinnen wollte. Vielmehr galt Bagge als exzellenter Kenner von Antrieben für Schiffen, die mit einem Atomreaktor angetrieben werden. Und Strauß wollte ein Atom-U-Boot bauen. Dazu gaben aber die Alliierten nicht die Erlaubnis. Erich Bagge entwickelte stattdessen den atomangetriebenen Frachter "Otto Hahn". Das Schiff wurde in Kiel gebaut und lief am 13. Juni 1964 vom Stapel.
Der "Zauberlehrling"
Ein anderes Projekt von Erich Bagge war das Institut für Strahlensicherheit in Stohl bei Kiel. Auftraggeber des Instituts war das Verteidigungsministerium. Hier arbeitete Katrin Cornelius als technische Assistentin. Sie hat Erich Bagge erlebt, den sie als Autorität mit einem Hang zur Nostalgie beschreibt. So hätte er in einem Regal in seinem Büro immer eine Flasche "Schweres Wasser" gehabt, das für die Kühlung von Brennstäben verwendet wurde - und allen stolz davon erzählt. Er kam Katrin Cornelius zugleich immer vor, wie der berühmte Zauberlehrling Goethes, der die Geister, die er rief, nicht mehr bändigen konnte. Sein Interesse aber, das betont Cornelius, war die friedliche Nutzung der Kernenergie. Dass im Institut für Strahlensicherheit, wenn auch unterschwellig, die Wehrkraft immer mehr im Vordergrund stand, gefiel Erich Bagge ganz und gar nicht. Als das Institut nach Euskirchen umsiedelte, zog er sich zurück.
Eine deutsche Atombombe wurde nie gebaut. 1954 und auch in dem "2+4-Vertrag" von 1991 hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, auf den Bau von Kernwaffen zu verzichten.