Wie Technik aus Kaisers Zeiten den Nord-Ostsee-Kanal am Laufen hält
Mehrmals im Jahr krachen Schiffe im NOK in Schleusentore. Das zeigt jedes Mal: Funktionieren die 110 Jahre alten Schleusentore nicht, gerät die empfindliche Transportkette aus den Fugen. Deshalb müssen die Tore regelmäßig ausgebaut und instand gesetzt werden.
Nachdem das 1.640 Tonnen schwere, frisch gestrichene und generalüberholte Schleusentor die schärfste Kurve und vermeintliche heikelste Stelle des Einbaus genommen hat, folgt statt Jubel Ratlosigkeit: Zwischen dem Stahlkoloss von Schleusentor und dem Torwagen, der es in der Schleusenkammer hin- und herbewegen soll, bleibt eine Lücke von zehn Zentimetern. Das Tor sitzt ohne Rollen auf dem Schleusenboden auf und kann nicht mehr bewegt werden. Nach vier Stunden Arbeit in Wind und Kälte müssen sich alle noch einmal richtig konzentrieren: Elektriker, Schlosser, Ingenieure. Mit viel Fingerspitzengefühl gelingt es dem Elektriker, den Torwagen noch einige Zentimeter über seinen Nullpunkt zu fahren, während im Tor vier Männer mit einem dicken Metallstab und etwas Schmierfett den Bolzen schließlich in seinen Bestimmungsort befördern. Tor und Wagen sind verbunden.
Schiebetor IV steckte mehrere Jahre in Trockendock fest
Die Geschichte dieses Torwechsels in der südlichen Schleusenkammer in Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) begann bereits vor drei Jahren. Da kam Schiebetor IV nach Kiel in das große Trockendock der Kieler Werft German Naval Yards. Um ein 47 Meter langes, 20 Meter hohes und knapp zehn Meter breites Schleusentor im Trockenen in Stand zu setzen, braucht man viel Platz. "Bei Schiebetor IV dauert so eine Instandsetzung normalerweise etwa zwölf Monate", sagt Lars Harder von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV), während hinter ihm das frisch gestrichene, tiefschwarze Tor eingebaut wird. Doch weil ein Schiff mit offenem Rumpf im selben Trockendock den Weg nach draußen versperrte, lag Schiebetor IV insgesamt drei Jahre dort.
70 Prozent des Tores sind noch kaiserlich
In dieser Zeit ist am Tor aus der Kaiserzeit viel passiert: 60 Tonnen Stahl und 60.000 Schrauben wurden verbaut, Farbe wurde auf 16.400 Quadratmetern aufgetragen, 500 Meter Rohrleitungen erneuert und einiges mehr. Trotz der vielen Instandsetzungen seit dem Bau im Jahr 1914 sagt Harder: "Das Tor ist zum größten Teil noch kaiserlich, eigentlich zu 70 Prozent." Die Tore seien durch ihre genietete Fachwerkkonstruktion sehr reparaturfreundlich, geschädigte Bereiche könnten gut ausgetauscht werden. Diese Instandsetzung habe 14 Millionen Euro gekostet, sagt Harder.
98 Kilometer Transport in Schrittgeschwindigkeit
Ende Februar ist der Weg endlich frei: Zwei Schlepper - die "Kiel" und die "Holtenau" - ziehen und schieben das Tor durch den Kanal, rechts und links sogenannte Schwimmpontons, damit das 20 Meter hohe Tor gut durch den 13 Meter tiefen Nord-Ostsee-Kanal kommt. In Schrittgeschwindigkeit schippert diese Schleppverbindung die 98 Kilometer von Kiel bis Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen).
Meterhoch Schlick, angefressene Beschichtung, Unterwasserpflanzen
Während das instandgesetzte Tor auf der Reise nach Brunsbüttel ist, wird dort das alte Tor ausgebaut. Weil die Grundinstandsetzung viel länger gedauert hat, musste das "alte" Tor in Brunsbüttel auch länger im Einsatz bleiben als vorgesehen. "Schiebetore müssen alle sechs Jahre zur Bauwerksinspektion, sprich zum TÜV", sagt Lars Harder. Schiebetor III war vor elf Jahren zuletzt im Trockendock. Von außen sieht man dem Tor seine Einsatzdauer an: moosbewachsen und an einigen Stellen rot von Rost. Nachdem der Ausbau geschafft und das Tor an der Schleusenwand festgemacht wurde, steigen Ingenieur Lars Harder und Meister Mirko Kothe in das Tor, um sich den Zustand anzusehen.
Das Innere des Tors riecht nach Schlick, Stahlträger sind dicht mit moosartigen Pflanzen bewachsen, Seepocken haben sich an der Beschichtung festgesetzt. Gut zu sehen ist, bis wohin das Tor unter Wasser war: "Gerade in der Wasserwechselzone sehen wir die meisten Korrosionsschutz-Schäden - da, wo wir durch die Tide immer abwechselnd Luft und Wasser haben. Hier muss man normalerweise am meisten machen", erklärt Lars Harder.
Wind drückt gegen das Tor wie gegen ein Segel
Erst einige Tage nach dem Ausbau von Tor III konnte der Einbau von Tor IV beginnen. Erst musste die Schiene gereinigt werden, auf dem das Tor läuft, mit einem Bagger und dann nochmal mit Tauchern. Als der Weg frei war, begann der eigentliche Einbau: Ein Schwimmponton mit Bagger und ein Schlepper waren im Einsatz. Der eine schob, der andere drückte. Mehr als 30 Personen waren beteiligt. Mirko Kothe überwachte von seiner Position auf dem schwimmenden Schleusentor, ob alles passt. An der heiklen Ecke knirschte es kurz laut, ein Blech verbog sich. Wind zog auf und drückte gegen das Tor mit seiner riesigen Fläche wie gegen ein Segel.
"Wir müssen aufpassen, dass der Wind nicht zu stark wird, dass das Tor dann nicht wieder rauskommt", sagt Kothe, der im Inneren des Schleusentors stand. "Wir könnten das Mauerwerk beschädigen, das wäre dann sehr problematisch, das zu reparieren." Die Motoren der Schlepper knatterten laut, sie rumpelten und schoben. Dann war es geschafft - das 47 Meter lange Schiebetor IV ist in der Lücke, die exakt so breit ist, wie das Tor lang. Aus der Luft sieht das Vorhaben aus, wie das Einsetzen des langen Steins bei Tetris, nur dass der lange Stein eine sehr enge Kurve nehmen musste.
Eigenes Dock für Schleusentore im Bau
Normalerweise gibt es laut WSV für Kiel und Brunsbüttel je zwei Reservetore, von denen planmäßig eins im Dock zur Grundinstandsetzung ist. Derzeit gibt es in Brunsbüttel kein Reservetor mehr: Tor III musste laut WSV wegen seines schlechten Zustandes ausgebaut werden, bevor das in der Werft liegende Tor II wieder einsatzbereit war. Um solche Situationen künftig zu vermeiden, baut die WSV für 100 Millionen Euro ein eigenes Instandhaltungsdock in unmittelbarer Nähe zur Schleuse: "Es gibt entlang des Kanals und auf der Elbe nur zwei bis drei Dock-Möglichkeiten, wo wir mit unseren Schiebetoren rein könnten", sagt Ingenieur Lars Harder. Die Instandsetzung der Tore lohnt sich im Vergleich zu Aufträgen aus der Schifffahrt für die Werften nicht. Das soll sich 2026 mit dem Trockendock in Brunsbüttel ändern.
Diese Schleusentore funktionieren wie Schubkarren
Einen Monat war die Südschleuse in Brunsbüttel für den Schiffsverkehr gesperrt. Bis das neue Tor seine Arbeit aufnehmen konnte, mussten nach dem Einschwenken und Verbinden mit dem Toroberwagen noch die Torunterwagen montiert werden. Auf denen rollt das Tor auf Schienen beim Öffnen und Schließen hin- und her. "Man kann sich das vorstellen wie eine Schubkarre", erklärt Ingenieur Lars Harder: Der Toroberwagen nimmt das Schiebetor, hebt es hinten etwas hoch und auf den Torunterwagen mit den zwei Rollen - und diese fahren dann auf Schienen im Schleusenbereich hin und her. Bis zur nächsten Grundinstandsetzung im Trockendock in sechs Jahren wird Schiebetor IV auf diese Weise viele Male hin- und herfahren. Und wenn die fünfte Schleusenkammer fertig ist, sind die beiden großen Schleusenkammern in Brunsbüttel mit einer Generalüberholung dran. Bis dahin halten die kaiserlichen Tore den Kanal am Laufen.