Welt-Down-Syndrom-Tag: Warum Inklusion in SH gerade erst beginnt
Eltern und Angehörige von Menschen mit Trisomie 21 sind im Alltag noch vielen Hürden ausgesetzt. Unzählige Behördengänge, lange Antragsverfahren und teils mangelnde Offenheit sorgen für Unzufriedenheit. Eine Familie aus Nordfriesland kämpft für die Normalisierung.
Max ist zwei Jahre alt. Er ist ein fröhlicher und aufgeweckter Junge, der gerade die Welt entdeckt. Seine Eltern verzaubert er mit seinem charmanten Lächeln. Sieht er eine Kamera, dann wird direkt in die Linse gegrinst. Da verzeihen Melanie und Lars Hoffmann dem kleinen Max ganz schnell, dass er die beiden Tag und Nacht auch immer gut auf Trab hält. "Wie es halt so ist mit einem zweijährigen Kind, ein ganz normaler kleiner Junge", sagt Mutter Melanie. Ganz normal für die Eltern aus Achtrup im Kreis Nordfriesland ist auch, dass Max das Down-Syndrom hat.
Etwa 2.000 Menschen mit Down-Syndrom in SH
In Deutschland leben etwa 50.000 Menschen mit dem Down-Syndrom. Die Lebenshilfe Schleswig-Holstein und das Down-Syndrom Netzwerk Deutschland schätzen, dass etwa 2.000 Menschen in Schleswig-Holstein das Down-Syndrom haben. Genaue Zahlen werden in Deutschland aber nicht erhoben.
Der Welt-Down-Syndrom-Tag wird jedes Jahr am 21. März überall auf der Welt gefeiert - genau an diesem Datum, weil bei Menschen mit Down-Syndrom das 21. Chromosom drei Mal vorhanden ist. Sie haben somit in ihren Körperzellen 47 statt 46 Chromosomen. Ziel des Tages ist es, das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für Menschen zu schaffen, die mit dem Down-Syndrom leben.
Eine zentrale Anlaufstelle soll Alltag erleichtern
Gerade bei unterstützenden Angeboten gibt es in Schleswig-Holstein viele Baustellen und Optimierungsbedarf. Familien, die ein Kind oder Jugendliche mit Trisomie 21 haben, stehen vor vielen Fragen im Alltag. Beratungsstellen wie die Lebenshilfe Schleswig-Holstein bekommen von Eltern und Angehörigen oftmals zurückgemeldet, dass das Angebot an Unterstützung im Land undurchsichtig sei: Ist die inklusive Kindertagesstätte der richtige Ort für mein Kind? Braucht mein Kind eine Schulassistenz? Welche Leistungen muss ich beantragen?
Dauernde Behördengänge, lange Antragsverfahren und Bürokratie sind zusätzliche Herausforderungen für die Eltern, wie die Lebenshilfe berichtet. Die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein, Michaela Pries, fordert daher eine zentrale Anlaufstelle, die allen Familien von Kindern mit Behinderungen - und auch von Kindern mit Trisomie 21 - bei Fragen und Anträgen unterstützt, hilft und berät. Sie fordert, dass es in den verschiedenen Kreisen und Städten jeweils Stellen braucht, die dieses leisten.
Diese Idee halten auch Melanie und Lars Hoffmann für zielführend. Die beiden haben schon viel Zeit auf Ämtern oder am Telefon verbracht. Für sie sei außerdem wichtig, dass die Behörden schneller arbeiten. Die Beantragung für einen Behindertenparkausweis beispielsweise zieht sich bei den beiden mittlerweile schon über mehrere Monate. Diese Hilfe bräuchte Melanie aber schon jetzt, wenn sie mit vollgepackten Taschen und Max im Arm mehrere Meter zur Arztpraxis laufen muss.
Mangelware: Inklusive Kitas und Schulen
Kinder und Jugendliche mit dem Down-Syndrom sind prädestiniert für inklusive Schulen oder Kitas, sagt die Landesbeauftragte Pries. Viel zu oft aber landen Kinder noch in einer Sonderbetreuung. Das liege auch daran, dass das Angebot an inklusiven Kitas und Schulen im Land sehr mangelhaft sei. In Schleswig-Holstein gibt es laut Pries viele engagierte Menschen, die sich für inklusive Angebote stark machen - seitens der Landespolitik erhielten die aber nicht ausreichend Unterstützung. Pries hat außerdem die Sorge, dass die Einsparungsbemühungen der Landesregierung auch die Eingliederungshilfe treffen könnte.
"Der Fachkräfte- und Personalmangel macht inklusiven Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder Schulen ohnehin schon zu schaffen." Michaela Pries, Landes-Beauftragte für Menschen mit Behinderung
Einen Platz in einer inklusiven Kindertagesstätte zu finden, war für Max hingegen nicht so schwierig, sagen die Eltern. Sie haben direkt eine Kita im Nachbarort Ladelund gefunden und dort auch verhältnismäßig schnell eine Zusage bekommen. Dorthin fahren sie mit dem Fahrrad eine viertel Stunde. Eine Sonderbetreuung kommt für Max erst mal nicht in Frage.
"In der Kindertagesstätte wird Max wie jedes andere Kind behandelt, er bekommt keine Extrawurst. Hilfe bekommt er nur beim Essen, da er den Löffel selbst noch nicht zum Mund führen kann." Melanie Hoffmann
Ein Leben mit Down-Syndrom ist lebenswert
Auch wenn Max Eltern aus Achtrup im Alltag an einigen Stellen mehr beantragen oder telefonieren müssen, so ist es ihnen beiden wichtig zu betonen, dass Max ein ganz normaler kleiner Junge ist. Wenn Fragen zum Down-Syndrom und Max aufkommen, dann erklären und erzählen sie gerne. Sogar so gerne, dass sie einen eigenen TikTok-Kanal ins Leben gerufen haben. Ihr Ziel: Das Leben mit Trisomie 21 für alle zu normalisieren und Vorurteile abzubauen. Das gelingt, indem die Eltern die fröhlichen Seiten des Alltags und die ansteckende Positivität von Max durch die kurzen Videos ins Leben anderer Menschen tragen, die sonst nicht so viel mit dem Gendefekt zu tun haben.
Es fehlt an Orten für Austausch
Genau diese Botschaft möchte auch der Verein Treffpunkt Down Syndrom aus Lübeck gerade an Eltern und Angehörige von Menschen mit Down-Syndrom vermitteln. Dem Verein geht es laut Vorstandsmitglied Florian Blöß vor allem darum, einen Ort zum Austausch zu ermöglichen. Ein Angebot, das in Schleswig-Holstein sonst rar gesät ist. Das war auch einer der Gründe, warum sich einige Eltern 2018 zu dem Verein zusammengeschlossen haben, erklärt Blöß. Das Einzugsgebiet des Lübecker Vereins streckt sich auch deshalb auf gesamt Schleswig-Holstein und auch Mecklenburg-Vorpommern aus. Die nächste Stelle, die sich um die Belange für Menschen mit Down-Syndrom kümmert, gibt es erst wieder in Hamburg.
Ein- bis zweimal im Monat treffen sich die Mitglieder zu bunten Familiennachmittagen oder zum Elternstammtisch. Außerdem bietet der Verein Seminare und Fortbildungen an - auch für Schulbegleiterinnen und Kitahelfer. Das nächste Projekt: eine Familienfreizeit, bei der die Mitglieder und Familien ein verlängertes Wochenende in einer Herberge verbringen. Bei seinem Angebot für die Mitglieder ist dem Verein sehr wichtig, Eltern und Angehörigen die Angst und Sorgen zu nehmen und vielmehr die positiven Seiten an einem Leben mit Down-Syndrom aufzuzeigen sowie diese bei Vereinstreffen erlebbar zu machen.
Kritik an Früherkennung von Trisomie 21
Auch deswegen ist der Verein kritisch gegenüber dem sogenannten Pränataltest. Diesen Bluttest zur Früherkennung von Trisomie während der Schwangerschaft gibt es in Deutschland seit 2012. Seitdem werden weniger Kinder mit Down-Syndrom geboren. Die Krankenkassen übernehmen inzwischen die Kosten für den Test. Auch Melanie hat einen Test zur Früherkennung gemacht.
"Das war erst ein Schock. Ich hatte vorher keine Berührungspunkte mit Trisomie 21." Melanie Hoffmann
Dass sie Max bekommen wollen, war für die Eltern aus Achtrup aber schnell klar. Das lag vor allem daran, dass Melanie von ihren beiden Frauenärztinnen ausführlich aufgeklärt, unterstützt und beraten wurde. Auch der Landesverband für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein hat wichtige Kontakte vermittelt und Informationsmaterial für die werdenden Eltern herausgegeben, erklärt die Mutter. Melanie und Lars konnten somit schon vor der Geburt vieles klären.
Werdende Eltern haben oft noch viel Angst vor der Diagnose Down-Syndrom
Diese Unterstützung sei wichtig, sagt Florian Blöß vom Treffpunkt Down-Syndrom. Gerade die fehlenden Informationen schüren oft unbegründete Ängste. Zu Beginn der Schwangerschaft dominieren nach einer solchen Diagnose viel zu sehr die Sorgen und Befürchtungen, so Blöß. Zu diesem frühen Zeitpunkt habe die Mutter noch keine emotionale Bindung zum Kind herstellen können und lasse sich damit viel zu sehr von den Vorurteilen und negativen Erzählungen über Trisomie 21 leiten. Das ist wohl auch der Grund, warum in Deutschland schätzungsweise etwa nur ein Drittel der Eltern, bei deren Kind das Down-Syndrom diagnostiziert wird, sich dafür entscheidet, das Kind zu bekommen.
Unsicherheit und Sorge sind gerade zu Beginn ganz normal. Wichtig ist aber laut Florian Blöß, dass sich dieser Schock und das Gefühl schnell umwandelt und man in den Austausch geht mit anderen Eltern oder Familien.
Vorurteile abbauen und Offenheit schaffen
Um Stereotype abzubauen, ist es auch unerlässlich, einander zu begegnen und Erfahrungen miteinander zu machen. Davon ist auch Max' Mutter Melanie überzeugt. Anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages hat sie auch deshalb eine Veranstaltung im Tierpark Gettorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) organisiert. Dank Sponsoren haben Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Down-Syndrom sowie deren Begleitpersonen an dem Tag freien Eintritt. Vorbild für die Aktion im Tierpark war die Initiative einer Mutter aus Nordrhein-Westfalen, erklärt Melanie.
An dem Tag wartet als Highlight eine exklusive Führung und Fütterung der Tiere im Park. Mit der Veranstaltung wollen sie den Menschen mit Trisomie 21 ermöglichen, aus ihrem Alltag zu entfliehen. Gleichzeitig geht es darum, Vorurteile abzubauen. In diesem Jahr steht der Welt-Down-Syndrom Tag unter dem Motto "#EndTheStereotypes", zu deutsch: "Schluss mit den Vorurteilen", so die internationale Dachorganisation Down Syndrome International (DSI).