Bio-Stunde mit App und KI: Wie Schüler Insekten neu entdecken
Schülerinnen und Schülern das Thema Insekten näher bringen, das ist eines der Ziele des Projektes Blütenbunt-Insektenreich. Mithilfe einer App und Künstlicher Intelligenz gehen die sogenannten Bioblitzer auf Insektensuche.
Es ist ein milder Frühlingstag in Bordesholm. Die Sonne wärmt sanft, die Blätter rascheln im Wind und überall summt und brummt es. Perfekte Bedingungen für die Bioblitzer, wie sie sich selbst nennen, der Hans-Brüggemann-Schule. Mit konzentriertem Blick und gezücktem Smartphone staksen 15 Schülerinnen und Schüler durch das hohe Gras der Blühwiese auf dem Schulgelände. Sie sind auf der Suche nach Insekten. "Lass mal da drüben nachschauen, da war gestern ganz viel", animiert Hanna Gräpel ihre Freudin Eyleen Lentfer. Zusammen gehen sie zu einer blühenden Hecke, auf der Bienen gemächlich von einer Blüte zur nächsten fliegen. "Oh, da ist auch die Hornisse wieder!", kommt ein begeisterter Aufruf. Schnell zückt Hanna ihr Smartphone und hält auf das große Insekt. "Hab sie!", freut sich die 16-Jährige.
Das Erfolgsrezept der App: Künstliche Intelligenz
Eigentlich ist die 16-Jährige kein Freund von Insekten. Doch für diese Biologiestunde legt sie ihr Unbehagen ab. "Es ist mal was anderes als Rumsitzen", erklärt die Schülerin. "Es ist natürlich schön, auch mal draußen zu sein. Weil sonst ist man in der Schule, sitzt da, lernt natürlich theoretisch ganz viel, aber praktisch gar nichts", ergänzt Eyleen. Die Aufgabe der Acht- und Zehntklässler heute: möglichst viele unterschiedliche Insektenarten finden, fotografieren und in die App ObsIdentify laden. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz bestimmt die App das Insekt. Ist sie sich zu mindestens 91 Prozent sicher, die richtige Art ermittelt zu haben, landen Art und Sichtungsort in einer Datenbank zur Auswertung. Kann die App die Art nicht genau bestimmen und helfen auch keine weiteren Fotos, wird das Bild an einen ausgewählten Experten weitergeleitet.
Die Schule in Bordesholm ist Partnerschule für das Projekt Blütenbunt-Insektenreich der Stiftung Naturschutz, des deutschen Verbands für Landschaftspflege (DVL) und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN). Seit drei Jahren ist es das Ziel des Projektes, Schülerinnen und Schülern das Thema Insekten näher zu bringen. "Wir haben den Eindruck, dass Schülerinnen und Schüler echt keine Ahnung von Insekten haben", erklärt Projektleiterin Katrin Schöps. "Man kann so viele Bio-Themen anhand von Insekten unterrichten. Zum Beispiel so etwas wie 'Warnung und Tarnung'. Das muss man nun echt nicht an einer Korallenschlange unterrichten, das kann man an einer Wespe oder beispielsweise einer Schwebfliege unterrichten."
Daten werden zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt
ObsIdentify erleichtert dieses Ziel. Denn anstatt mühevoll nach Bildern und Merkmalen zu suchen, braucht die Bilderkennungs-App nur ein Foto. Zu der Art bekommen Nutzer auch gleich Informationen zu dem Tier, wo es meist anzutreffen ist und Tipps zum Einfangen. Der Server steht in den Niederlanden, die App ist Datenschutzgrundverordnungs-konform und darf deshalb im Unterricht eingesetzt werden. Und auch der Wissenschaft kommen die Daten zugute: Die Verbreitungsdarstellung soll als Grundlage für den Schutz der Tiere herangezogen werden. "Das sind Messdaten, die man sonst nicht herstellen könnte", erklärt Schöps.
Die Herausforderung: Gute Fotos machen
"Ich glaube, da hinten sind noch mehr Blumen, da haben wir mehr Erfolg", gibt Hanna eine neue Richtung vor. "Da sind Bienen", freut sie sich. "Wir haben schon so viele Bienen", meint Freundin Eyleen. "Ich hab noch keine Bienen!", erklärt Hanna und zückt das Smartphone. Doch leider nicht schnell genug, die Biene ist schon wieder weg. Die größte Herausforderung im Umgang mit der App ist es, gute Fotos zu schießen. Das Insekt muss scharf, mittig platziert und vor allem ruhig sein. "Man lernt Geduld", erklärt Hanna lachend. "Aber es ist für jeden machbar."
"Habt ihr was?", ruft Eyleen zu zwei Klassenkameradinnen rüber. "Ja, eine blaue Libelle!", kommt es prompt zurück. Das wollen die beiden Schülerinnen auch sehen und laufen schnell hin. Die Libelle sitzt im Kescher. Sie von dort in das Fangröhrchen zu kriegen, ist gar nicht so leicht. Aber die Mädchen schaffen es und halten sofort mit der Kamera auf das Insekt. "Man hat einen ganz anderen Blickwinkel, wenn man sich hier so umguckt und das durchmacht", sagt Eyleen, während sie ihren Blick wieder konzentriert über Gräser und Blumen wandern lässt.
Ein besonderes Highlight
"Was wir uns erhoffen ist, dass dieser Ekeleffekt weggeht. Ich denke, das zeigt auch die Wissenschaft: Wissen ist gut, aber man braucht irgendwo auch einen emotionalen Bezug zu etwas, um etwas schützen zu wollen, um etwas gut zu finden, um zu sagen, das ist mir was Wert, das finde ich toll, dafür will ich mich einsetzen", erzählt Projektleiterin Katrin Schöps. Berührungsängste sind an diesem Tag in Bordesholm keine zu spüren. Es ist auffällig, wie ruhig die Schülerinnen und Schüler sind. Es wird wenig geschnackt, jeder Schritt wird vorsichtig gesetzt, um möglichst wenige Pflanzen umzuknicken, die Köpfe sind gesenkt. Und die Bilanz nach rund einer Stunde eifrigen Suchens und Fotografierens kann sich sehen lassen: 43 Funde haben die Bioblitzer in die Datenbank von ObsIdentify geladen, 25 unterschiedliche Arten bestimmt. Im letzten Jahr, noch ohne App, hatten sie in zwei Monaten insgesamt nur 40 verschiedene Insekten bestimmt.
Und ein ganz besonders Highlight war heute auch dabei: ein Karstweißling. Diese Schmetterlingsart ist noch ganz neu in Schleswig-Holstein. "Das muss sich unser Tagfalterspezialist anschauen!", will Schöps ganz sicher gehen. Denn damit die Daten aus der App wissenschaftlich ausgewertet werden können, braucht es manchmal eben doch noch den Blick eines Menschen, um die Arbeit der Maschine zu kontrollieren.