Tausende tote Trottellummen: Vogelsterben an der Nordsee
Trottellummen brüten unter anderem auf dem roten Felsen auf Helgoland. Den Rest des Jahres leben sie über der offenen Nordsee. Seit einigen Monaten werden viele von ihnen an der Küste angespült - verendet.
Der tote Vogel, den Nationalparkranger Rainer Rehm mit seinem Gummistiefel umdreht, ist schon der vierzigste, den er an diesem Vormittag findet - auf nur einem Kilometer Strecke. Wieder eine Trottellumme. Er kontrolliert den Spülsaum im Vorland des nordfriesischen Sönke-Nissen-Koogs schon seit 28 Jahren. Seit Oktober haben er und seine Kolleginnen und Kollegen an der Nordseeküste insgesamt rund 1.000 verendete Trottellummen und auch Tordalken gefunden. So viele wie noch nie. "Das ist beunruhigend und erschreckend", findet Rainer Rehm. "Wenn man davon ausgeht, dass sich rund 33.000 Trottellummen in der deutschen Bucht aufhalten und die Dunkelziffer bei 5.000 toten Vögeln liegt, ist das schon verheerend für die Population."
Vogelgrippe nicht die Todesursache
So ein Massensterben gibt es jetzt schon das dritte Jahr in Folge. Rainer Rehm holt einen gelben Schutzanzug und ein Probenentnahme-Set aus seinem Rucksack. Der Landschaftspfleger führt ein Wattestäbchen in den langen, spitzen Schnabel der Trottellumme ein. Er testet die Kadaver stichprobenartig auf das Vogelgrippevirus. "Alle Proben, die wir in diesem Winter genommen haben, waren bisher negativ", erzählt er. Bernd Hälterlein koordiniert die Suche nach den toten Vögeln für die Nationalparkverwaltung. Der Vogelexperte hat einige Kadaver zur Untersuchung ins Landeslabor geschickt. "Die Vögel waren alle durchweg stark abgemagert", weiß er. "Aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie verhungert."
Weniger Nahrung im offenen Meer
Rund ein Fünftel der toten Vögel, die Rainer Rehm findet, sind Tordalken. Sie sind verwandt mit den Trottellummen, sehen ihnen mit ihrem schwarz-weißen Gefieder sehr ähnlich. Der Nationalparkranger erkennt den Unterschied an der Schnabelform. Neben ihrem Aussehen haben die beiden Vogelarten noch etwas gemeinsam: Beide kommen nur zum Brüten an Land – zum Beispiel auf den roten Felsen auf Helgoland. Den Rest des Jahres leben sie auf der offenen Nordsee. "Beide leben von kleinen Fischen wie Heringen und Sandaalen", erzählt Rainer Rehm. "Indem sie nach den Fischen tauchen." Und von denen gibt es immer weniger. Biologen wie Bernd Hälterlein gehen davon aus, dass die Überfischung ein Grund für das Verhungern der Vögel ist. Aber auch der Klimawandel.
Schwere Bedingungen durch den Klimawandel
Durch den Klimawandel gab es in den vergangenen Jahren mehr und längere starke Stürme. "Wenn wir aufgewühlte See haben, schwimmen die Fische weiter unten", erklärt Rainer Rehm. "Die Vögel haben es sowieso schon schwer bei den Sturmlagen. Wenn sie dann noch tiefer tauchen müssen, sind sie schnell geschwächt." Und wenn auch noch zu wenig Fische da sind, dann treffe es nicht nur Jungvögel, die noch nicht so geübt im Jagen sind. "In den letzten Jahren ist uns aufgefallen, dass auch viele Altvögel gestorben sind", sagt Rainer Rehm. "Trottellummen werden erst im fünften Jahr geschlechtsreif. Und wenn ein großer Teil wegfällt, wird sich das auf die Brutpopulation auswirken."
Der Nationalparkranger macht sich auf den Rückweg. Die ersten Trottellummen und Tordalken werden bald auf ihren Felsen an Land brüten. Jetzt wird das Wetter wird wieder milder. Dann wird Rainer Rehm hier weniger Kadaver finden. Erstmal. Aber grundsätzlich wird es für die Vögel schwierig bleiben, ausreichend Nahrung zu finden.