Sylt: Barbetreiber stellt nach Nazi-Parolen Strafanzeige
In einem Sylter Lokal haben feiernde junge Menschen rassistische Parolen gesungen. Das Lokal "Pony" distanzierte sich von den Besuchern und hat rechtliche Schritte eingeleitet. Das Video des Vorfalls verbreitet sich seit Donnerstag in den sozialen Netzwerken.
Auf dem Video ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen vor dem Club "Pony" auf Sylt rassistische Parolen grölen. In der nur wenige Sekunden langen Aufnahme, die sich seit Donnerstag verbreitet und die vom Pfingst-Wochenende stammen soll, schreien junge Männer und Frauen zur Melodie des Party-Hits "L'amour Toujours" von Gigi D'Agostino "Ausländer raus" und "Deutschland den Deutschen". Ein Mann scheint mit seinen Fingern auf der Oberlippe einen Hitlerbart anzudeuten. Zahlreiche Partygäste fühlen sich von den Vorgängen augenscheinlich wenig gestört. Auch wenn die Originalquelle des Videos inzwischen nicht mehr nachvollziehbar ist, gehen die Polizei und der Betreiber der Bar davon aus, dass es authentisch ist.
Hitlergruß gezeigt? Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung
Auf der Plattform X schreibt die Landespolizei Schleswig-Holstein zu dem viral gehenden Video und den rassistischen Parolen: "Zurzeit kursiert in den Sozialen Medien ein Video von Feiernden auf Sylt. Dieses Video ist uns bekannt und wird hinsichtlich strafrechtlich relevanter Inhalte geprüft. Wir bedanken uns für die zahlreichen Hinweise, die wir an die zuständige Stelle weitergeleitet haben."
Nach Angaben der Polizei Flensburg ermittelt der Staatsschutz wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei richten sich demnach gegen "die Personen, die auf dem Video offensichtlich die genannten Äußerungen mitsingen bzw. Kennzeichen tätigen", hieß es in einer Mitteilung. Zudem liegt laut Polizei der Verdacht vor, dass durch eine Person der sogenannte Hitlergruß gezeigt wird. Ersten Hinweisen zu beteiligten Personen werde nachgegangen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass weitere Tatverdächtige hinzukommen, die nicht im Video zu sehen sind.
Staatsanwaltschaft: Mindestens drei Monate Haft bei Volksverhetzung
Thorkild Petersen-Thrö von der Staatsanwaltschaft Flensburg bestätigte, dass bereits zahlreiche Online-Anzeigen vorliegen und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. "Aus unserer Sicht sind die Parolen 'Deutschland den Deutschen' und 'Ausländer raus' strafbewehrt, allein schon mit Blick auf das jüngste Urteil gegen Björn Höcke", sagte er. Ein möglicher Hitlergruß sei zwar mit einem Winken verbunden worden, in Verbindung mit dem angedeuteten Oberlippenbart könne es sich aber auch hier um ein verfassungsfeindliches Zeichen handeln.
Im Falle von Volksverhetzung droht eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten und maximal fünf Jahren. Geldstrafen sind laut Petersen-Thrö nicht vorgesehen. Beim Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen kommt eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe infrage. Petersen-Thrö bestätigte auch, dass bereits Namen von Beteiligten an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet wurden. Nun gehe es darum, das zu überprüfen und die Partygäste, Zeuginnen und Zeugen sowie das Personal an dem fraglichen Abend zu ermitteln.
Hinweis zum Video: Die Originalquelle ist nicht mehr feststellbar, das Video gilt aber als authentisch.
Beteiligten Personen gekündigt
Im Laufe des Freitags veröffentlichten bereits zwei Arbeitgeber, dass sie beteiligten Personen des Vorfalls auf Sylt gekündigt haben. Eine bekannte Hamburger Influencerin bestätigte in einer Instagram-Story, dass eine der Personen "in einem Anstellungsverhältnis" mit ihr gestanden habe. Das habe sie "schockiert, verletzt und enttäuscht" und sie habe die Person mit sofortiger Wirkung entlassen. Auch eine Agentur, unter anderem mit Sitz in Hamburg, veröffentlichte auf ihrem Instagram-Account, dass sie vor dem Hintergrund des Vorfalls eine fristlose Kündigung ausgesprochen habe.
Betreiber der Pony-Bar in Kampen hat Strafanzeige gestellt
Die Betreiber der Pony-Bar in Kampen, Tim Becker, verwies im NDR Info Interview darauf, dass zum fraglichen Zeitpunkt mehrere Hundert Gäste in dem Lokal gewesen seien. Angesichts der Laustärke sei es selbst Barkeepern in der Nähe nicht möglich gewesen, veränderte Texte mitzubekommen. Seine Bar stehe für Diversität und Multikulti - das zeigten Gäste wie Mitarbeiter. Mittlerweile habe der Barbetreiber Strafanzeige gestellt. Zudem seien Hausverbote gegen die fünf Beschuldigten verhängt worden. Auch auf der Plattform Instagram äußerte sich Becker schockiert: "Hätten wir von dem Vorfall gewusst, hätten wir die betreffenden Gäste selbstverständlich des Hauses verwiesen. Es gibt keinen Platz für Rassismus!!!".
Vorfall von Überwachungskameras aufgezeichnet
Laut Inhaber Tim Becker ist die gesamte Szene von Überwachungskameras mit Ton aufgezeichnet worden. Es habe fünf Beteiligte gegeben. Viele der insgesamt rund 300 Gäste hätten das Lied ganz normal mitgesungen. "Das waren wirklich nur diese fünf Leute", sagte Becker. Deren Namen sowie die Aufnahmen seien der Polizei übergeben worden. Es sei nun wichtig, den Vorgang aufzuklären und dafür zu sorgen, dass die Beteiligten eine gerechte Strafe bekommen.
Der Vorfall mache traurig, so Becker. "Wir waren total erschrocken und haben das schnell analysiert, warum wir das nicht mitgekriegt haben", sagte er. Seiner Aussage nach habe das an der Masse an Leuten gelegen. "Da hört man es einfach nicht raus, dass da fünf Idioten irgendeinen Dreck über ein anderes Lied singen."
Die fünf Beteiligten bekommen lebenslanges Hausverbot in der "Pony"-Bar - und möglicherweise in weiteren Lokalen. "Auf Sylt brauchen die sich gar nicht mehr blicken zu lassen. Wir haben ganz viele befreundete Gastronomen", so Becker. Eine weitere Konsequenz sei, dass das Lied künftig nicht mehr in dem Club gespielt werde. Außerdem sollen Gäste animiert werden, rassistische Vorfälle beim Personal zu melden. "Bei uns hat rechts kein Zuhause", betonte Becker.
Partygast: Schade, dass das auf alle Sylter zurückfällt
Auch ein Partygast berichtete gegenüber NDR Schleswig-Holstein, dass er an dem fraglichen Abend nichts von dem Vorfall mitbekommen habe. "Es war rappelvoll, so wie jedes Pfingsten", sagte er - und ist sich sicher: "Wenn das Leute gehört hätten, dann wäre da auch jemand eingeschritten, vor allem vom Personal." Er bezeichnete die Aktion als No-Go und spricht davon, dass das Lied ausgenutzt wurde. Der Club und die Insel könnten nichts dafür. "Es ist schade, dass das jetzt auf alle Sylter zurückfällt", sagte er.
Scholz: Äußerungen sind nicht akzeptabel
Auch bundesweit sorgt das Video für Entsetzen: Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die rassistischen Äußerungen scharf: "Ganz klar: Solche Parolen sind eklig, sie sind nicht akzeptabel", sagte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin. Er machte klar, dass alle Aktivitäten darauf gerichtet seien, zu verhindern, dass sich die Sache verbreitet.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: "Wer Nazi-Parolen grölt, ist eine Schande für Deutschland." Es stelle sich die Frage, "ob wir es hier mit Menschen zu tun haben, die in einer wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft leben, die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt." Rassismus dürfe nicht normalisiert werden, so Faeser. Deshalb sei es wichtig, zu widersprechen, wenn man solche Aussagen zum Beispiel im Freundeskreis oder auf der Arbeit mitbekomme.
Landesregierung entsetzt über rassistische Äußerungen
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) nannte die Bilder "unappetitlich". "Das sind schlimme Verfehlungen", sagte er. Dass unter anderem der Wirt des Lokals sich von den Taten distanziert und Hausverbot erteilt habe, seien die richtigen Signale. Jetzt gehe es um die strafrechtliche Verfolgung. "Rechtsextremismus ist etwas, dass wir mit ganzer Härte bekämpfen, deshalb ist es richtig, dass der Staatsschutz jetzt ermittelt", so Günther. Über die Hintergründe der Aktion und der abgebildeten Personen wolle er nicht spekulieren, sagte der Ministerpräsident, aber: "In der Tat macht es den Eindruck, dass wir es mit Wohlstandsverwahrlosung zu tun haben." Rechtsextremismus müsse aber ohnehin überall bekämpft werden. "Die, die dort unterwegs gewesen sind, müssen wissen, dass der Staat mit aller Härte darauf reagieren wird."
Auch Schleswig-Holsteins stellvertretende Ministerpräsidentin Monika Heinold (Grüne) zeigte sich am Freitag entsetzt über das Video. "Es ist zwingend notwendig, dass unser Staat handelt, dass aufgeklärt wird und dass es Konsequenzen gibt", sagte sie. Neben dem Handeln des Rechtsstaats müssten Politikerinnen und Politiker sehr deutlich machen, dass hier Grenzen überschritten wurden. "Es darf nicht sein, das Deutschland wieder so weit nach rechts abdriftet, dass wir wieder in alte Zeiten zurückkommen, wo Rassismus, Hass und Ausgrenzung herrschen", so Heinold.
Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) bezeichnete das Video ebenfalls als entsetzlich. Es sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, gegen das man gemeinsam angehen müsse. "Wir sind dabei, herauszufinden, welche Personen da zu sehen sind", sagte Sütterlin-Waack. Es werde die richtigen strafrechtlichen Konsequenzen geben. Auf NDR Info zeigte sie sich zuversichtlich, dass die laufenden Verfahren Wirkung zeigen werden. "Ich könnte mir vorstellen, dass es auch den einen oder anderen schon beeindruckt , wenn die vor Gericht stehen müssen." Sie vertraue den Gerichten vollkommen, dass die richtigen Strafen verhängt werden.
Bildungsministerin Prien: "Wohlstandsverwahrlosung?"
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sagte gegenüber NDR Schleswig-Holstein, die Bilder und die klar ausländerfeindlichen Äußerungen seien widerlich. "Man fragt sich wirklich, was geht in den Hirnen von solchen jungen Menschen um, denen es ja gut geht und die alle Vorteile der freiheitlichen Gesellschaftsordnung genießen", so Prien. Die Elternhäuser, aber auch die Schulen müssten sich fragen, was sie falsch gemacht hätten. Es sei klar ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Sie sei froh, dass der Club sich klar distanziert und ein Hausverbot ausgesprochen habe.
Prien teilte das Video ebenfalls auf der Plattform X und kommentiert es kurz und knapp mit "Wohlstandsverwahrlosung?"
Touré: Kein dummer Jungenstreich, sondern schlimmstes Nazi-Gegröle
Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) sagte, diejenigen, die bei der Aktion mitgemacht hätten, sollten sich schämen. "Das ist kein dummer Jungenstreich, sondern schlimmstes Nazi-Gegröle erwachsener Leute auf offener Bühne. Widerwärtig und ekelhaft", machte sie deutlich. Jetzt müssten strafrechtliche Ermittlungen folgen.
FDP: Stärkere Aufklärung und Sensibilisierung
FDP-Fraktionsvorsitzender Christopher Vogt sprach von abstoßenden Szenen. "Wir verurteilen dieses rassistische und wohlstandsverwahrloste Verhalten auf das Schärfste", sagte er. Leider seien solche Situationen kein Einzelfall mehr. Der Rechtsstaat müsse konsequent reagieren - das allein reiche aber nicht. "Wir müssen auch darüber sprechen, inwieweit wir beispielsweise im Bereich der Bildung noch stärker für diese Themen sensibilisieren und Aufklärung betreiben müssen. Hass, Hetze und Ausländerfeindlichkeit dürfen bei uns keinen Platz haben", so Vogt.
SPD: Parolen sind keine harmlosen Suff-Aktionen
SPD-Politiker Niclas Dürbrook zeigte sich "einigermaßen fassungslos" und betonte: "Das sind keine harmlosen Suff-Aktionen, sondern Fälle für den Staatsanwalt. Solche Parolen haben in Schleswig-Holstein nichts verloren." Auch er verwies darauf, dass es keine Einzelfälle mehr seien. "Das scheint mir absolut Milieu-übergreifend zu sein und zeigt leider auch, wie besorgniserregend weit das in unserer Gesellschaft verbreitet ist", sagte er. Besonders beschäftige ihn, welche Gefühle solche Aktionen bei Menschen mit Migrationshintergrund auslösen könnten.
Sylter Bürgermeister verurteilen rassistische Gesänge
Auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Gemeinden auf Sylt haben sich in einem Statement am Freitag klar gegen die rassistischen Gesänge positioniert. Sie sprachen von "null Toleranz" gegenüber derartigem Verhalten. "Dieses Verhalten ist für uns abstoßend und vollkommen inakzeptabel. Wir dulden das nicht", hieß es in der Mitteilung. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Tourismusbetriebe und -verbände würden sich in jeder Form gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit wenden.
Sylt sei eine weltoffene Insel, die sich über Besucherinnen und Besucher aus aller Welt freue. Die in dem Video zu sehenden Personen seien hingegen nicht willkommen: "In diesen Tagen, in denen das Grundgesetz 75 Jahre alt wird, während die liberale Demokratie unter Beschuss steht, möchten wir als Sylt ganz unmissverständlich klar machen: Solche Gäste brauchen nicht noch einmal nach Sylt zu kommen. Sie sind herzlich ausgeladen."
Zahlreiche Reaktionen im Netz
Seitdem das Video im Netz kursiert, haben es zahlreiche Politiker, Influencer und Prominente verbreitet und kommentiert. Neben der SPD-Politikerin Sawsan Chebli, fragte ZDF-Moderator Jan Böhmermann auf der Plattform X: "Wer und wo sind diese Leute?". Die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali schrieb auf X: "Mit Hitlerbärtchen und Schampus, aber ohne "Ausländer" #Sylt 2024". In sozialen Medien werden außerdem bereits Namen der betroffenen Partygäste geteilt. Demnach soll es sich unter anderem um junge Menschen aus Hamburg handeln.
TikTok-Trend seit Längerem bekannt
Es hat bereits mehrfach Videos solcher Gesänge zu dem Partyhit in Norddeutschland gegeben. Die Singenden sprangen damit mutmaßlich auf einen TikTok-Trend auf, der seinen Ursprung in einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern haben soll. In einem TikTok-Video von dort grölt eine Gruppe Männer: "Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus". Die Zeitung "Katapult MV" aus Mecklenburg-Vorpommern hatte vergangenen Oktober darüber berichtet.
Auch in Pahlen (Kreis Dithmarschen) und Schenefeld (Kreis Steinburg) sollen Party-Gäste in die rechten Parolen eingestiegen sein, als der Song "L' amour Toujours" in Diskotheken lief. Die SPD hat angekündigt, für den kommenden Innen- und Rechtsausschuss einen Berichtsantrag zum Stand des Ermittlungsverfahrens zu stellen.