Nach Nazi-Parolen: Polizei ermittelt in weiteren Fällen auf Sylt
Nach dem Vorfall vor der "Pony"-Bar auf Sylt, wo junge Menschen rassistische Parolen gegrölt hatten, hat die Polizei nun bestätigt, wegen zwei weiterer Vorfälle aus Kampen auf Sylt zu ermitteln. In einem Fall geht es um den Angriff auf eine 29-jährige Frau.
Seit Donnerstag kommt Sylt nicht aus den Schlagzeilen. In den Sozialen Medien wurde ein Video geteilt, in dem junge Menschen fremdenfeindliche Liedtexte singen. Nun ist klar: Das ist offenbar kein Einzelfall auf der Insel. Die Polizei ermittelt wegen zwei weiterer Vorfälle, die sich am Pfingstwochenende in Kampen auf Sylt (Kreis Nordfriesland) zugetragen haben sollen. Eine junge Schwarze Frau beschreibt bei Instagram, wie sie erst rassistisch beleidigt und dann ins Gesicht geschlagen wurde. Die Polizei bestätigt dies. In einer Pressemitteilung heißt es, dass um 23.45 Uhr des 19.05.2024 nach ersten Erkenntnissen eine 29-jährige Frau in Kampen auf offener Straße zunächst fremdenfeindlich beleidigt und im späteren Verlauf auch körperlich angegriffen wurde. Bei dem Angriff wurde die Frau leicht verletzt. Die Polizei hat die Ermittlungen wegen Volksverhetzung, Körperverletzung und Sachbeschädigung aufgenommen.
Weiterer Vorfall in einem Nachtclub
Von einem weiteren Vorfall haben Polizei und Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben erst am vergangenen Wochenende erfahren. Passiert ist es demnach ebenfalls am Pfingstwochenende, in der Nacht von Sonntag auf Montag. Mindestens eine Person soll in einem weiteren Sylter Nachtclub eine fremdenfeindliche Parole gerufen haben. Auch in diesem Fall ermittelt die Polizei wegen Volksverhetzung. Die Ermittlungen zu den drei Sachverhalten werden zentral durch die Staatsanwaltschaft Flensburg und das Fachkommissariat für Staatsschutz der Kriminalpolizei in Flensburg geführt und dauern an. In allen Fällen liegen Hinweise zu den Tatverdächtigen vor, die aktuell geprüft werden. Ein Zusammenhang zwischen den drei Taten wird geprüft, erscheint jedoch nach ersten Erkenntnissen nicht wahrscheinlich.
"Pony"-Betreiber erhalten Morddrohungen
Zum Vorfall im "Pony"-Clubs in Kampen auf Sylt war zuletzt bekannt geworden, dass die Betreiber nach eigenen Angaben Morddrohungen erhalten hatten. Wie sie auf dem Instagramprofil des Clubs geschrieben hatten, würden sie auch "aufs Übelste beleidigt" werden. Dazu veröffentlichten sie eine Sequenz aus einem Überwachungsvideo, das die Szene aus einem anderen Blickwinkel zeigt.
Die Club-Chefs wenden sich darin gezielt an ihre Kritiker: "An alle, die ständig fragen: 'Hat man das nicht mitbekommen?' Ihr seht selbst, dass die Mehrheit auf dem Video ihren Spaß hat, während eine kleine Gruppe etwas skandiert, das mit unseren Grundwerten nicht vereinbar ist." Man habe sich nach langer Überlegung entschlossen, dieses Video zu veröffentlichen, "um uns, unsere Mitarbeiter und unsere treuen Gäste zu schützen".
Vor dem Club in Kampen hatten am Sonntagnachmittag laut Polizei rund 80 Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Dabei blieb es friedlich.
Das Video des Vorfalls verbreitet sich seit Donnerstag in den sozialen Netzwerken. Darin ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen vor der "Pony"-Bar auf Sylt offenbar rassistische Parolen grölen. Etliche Nutzer drängten in Kommentarspalten sozialer Medien darauf, dass sich die Arbeitgeber der Beschuldigten positionieren. Viele haben das inzwischen getan.
Ob die Kündigungen rechtswirksam sind, ist fraglich
Von der Deutschen Bank bis Vodafone reichen die Statements, in denen die Unternehmen gegen Rassismus Stellung beziehen und Konsequenzen für ihre mutmaßlich beteiligten Beschäftigten ankündigen. Zwei Arbeitgeber sagten bereits am Freitag, dass sie ihren Mitarbeitenden gekündigt hätten.
"Ob die Kündigungen wirksam sind, wird man sehen", sagte Arbeitsrechtlerin Nele Urban auf NDR Info. Denn eigentlich sei das, was man im privaten Bereich tue geschützt und nach klassischem Arbeitsrecht nicht relevant für das Arbeitsverhältnis. Doch sei dieser Fall eine "Zwickmühle", so Urban. Das läge daran, dass die Vorfälle durch die Videos nicht mehr "privat" blieben. "Wenn man das Video von Sylt anguckt, dann sieht man ja: Der filmt und die anderen gucken und grölen bewusst in die Kamera. Bei Menschen, die mit Social Media umgehen, denen muss in der Situation klar sein: 'Das, was ich da mache, bleibt nicht privat. Ich kann erwarten, dass der, der das filmt, das bei Instagram postet.'"
Die Arbeitsrechtlerin verweist in dem Fall aufs Bundesarbeitsgericht. Dieses spräche von einer "berechtigten Vertraulichkeitserwartung": "Wenn man hatte erwarten kann, dass das veröffentlicht wird, dann ist das nicht mehr so geschützt wie der klassische private Bereich."
Nach Angaben der Polizei Flensburg ermittelt der Staatsschutz wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei richten sich demnach gegen "die Personen, die auf dem Video offensichtlich die genannten Äußerungen mitsingen beziehungsweise Kennzeichen tätigen", hieß es in einer Mitteilung.
Pony-Vorfall: Ermittlungen kommen voran
Im Pony-Vorfall hat die Staatsanwaltschaft laut eigenen Angaben mittlerweile drei Personen identifiziert, gegen die der Anfangsverdacht von Volksverhetzung besteht. Gegen eine dieser Personen gibt es den Verdacht des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Verdächtiger bittet um Entschuldigung
Es besteht außerdem der Verdacht - so die Polizei- dass durch eine Person in dem Video der sogenannte Hitlergruß gezeigt wird. Wie die Zeitung "Bild" berichtet, soll dieser junge Mann in sozialen Medien um Verzeihung gebeten und von einem "ganz schlimmen Fehler" gesprochen haben, für den er sich schäme: "Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung." Er habe sich bereits der Polizei gestellt.
Staatsanwaltschaft: Verdächtige erhalten "Vernehmungsangebot"
Die Namen von Partygästen aus Hamburg und Bayern, die im Netz kursieren, sind bisher noch nicht bestätigt. Klar zu erkennen ist auf dem Video lediglich eine Frau, die die Parole mitspricht. Die übrigen Stimmen sind nicht eindeutig zuzuordnen. Von der Staatsanwaltschaft Flensburg heißt es, die Verdächtigen bekämen in Kürze ein Vernehmungsangebot, sobald sie identifiziert seien. Vermutlich laufe die Kommunikation dann über Anwälte.
In der nur wenige Sekunden langen Aufnahme, die vom Pfingstwochenende stammen soll, schreien junge Männer und Frauen zur Melodie des Party-Hits "L'amour Toujours" von Gigi D'Agostino "Ausländer raus" und "Deutschland den Deutschen". Zahlreiche Partygäste fühlen sich von den Vorgängen augenscheinlich wenig gestört. Auch wenn die Originalquelle des Videos inzwischen nicht mehr nachvollziehbar ist, gehen die Polizei und der Betreiber der Bar davon aus, dass es authentisch ist.
Staatsanwaltschaft: Mindestens drei Monate Haft bei Volksverhetzung
Thorkild Petersen-Thrö von der Staatsanwaltschaft Flensburg bestätigte, dass bereits zahlreiche Online-Anzeigen vorliegen und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. "Aus unserer Sicht sind die Parolen 'Deutschland den Deutschen' und 'Ausländer raus' strafbewehrt, allein schon mit Blick auf das jüngste Urteil gegen Björn Höcke", sagte er. Ein möglicher Hitlergruß sei zwar mit einem Winken verbunden worden, in Verbindung mit dem angedeuteten Oberlippenbart könne es sich aber auch hier um ein verfassungsfeindliches Zeichen handeln.
Im Falle von Volksverhetzung droht eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten und maximal fünf Jahren. Geldstrafen sind laut Petersen-Thrö nicht vorgesehen. Beim Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen kommt eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe infrage. Petersen-Thrö bestätigte auch, dass bereits Namen von Beteiligten an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet wurden. Nun gehe es darum, das zu überprüfen und die Partygäste, Zeuginnen und Zeugen sowie das Personal an dem fraglichen Abend zu ermitteln.
Scholz: Äußerungen sind nicht akzeptabel
Auch bundesweit sorgt das Video für Entsetzen: Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die rassistischen Äußerungen scharf: "Ganz klar: Solche Parolen sind eklig, sie sind nicht akzeptabel", sagte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin. Er machte klar, dass alle Aktivitäten darauf gerichtet seien, zu verhindern, dass sich die Sache verbreitet. Ähnlich bestürzt äußerten sich auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Rassismus dürfe nicht normalisiert werden, sagte Faeser.