Auf einem Handy sieht man das Video mit singenden jungen Menschen, die rassistische Parolen rufen © NDR
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Auf einem Handy sieht man das Video mit singenden jungen Menschen, die rassistische Parolen rufen © NDR
AUDIO: Politikwissenschaftlerin Paula Diehl zu Nazi-Parolen auf Sylt (1 Min)

Expertin zu Nazi-Parolen auf Sylt: "Die Grenzen sind fließend"

Stand: 25.05.2024 13:32 Uhr

Seit Donnerstag verbreitet sich ein Video in den sozialen Netzwerken. Es zeigt junge Menschen, die im Club Pony in Kampen auf Sylt offenbar ausländerfeindliche Parolen grölen. Im Interview mit NDR Schleswig-Holstein mahnt Politikwissenschaftlerin Paula Diehl von der Kieler Christian-Albrechts-Universität: Umstehende sollten nicht passiv bleiben, sondern dagegenhalten.

Frau Diehl, kann man diesen Song "L'amour toujours" noch hören?

Paula Diehl: Der Künstler, der das Lied geschrieben hat, kann nichts dafür. Aber wir sehen tatsächlich, dass Rechtsextreme in der Lage sind, sich Popkultur anzueignen. Und insofern ja, leider kann man das Lied nicht mehr hören.

Was haben Sie gedacht, als Sie von diesem Vorfall auf Sylt jetzt das erste Mal gehört haben?

Portrait der Politikwissenschaftlerin Paula Diehl © CAU Kiel / Paula Diehl
Paula Diehl ist Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie ist auch Direktorin des Internationalen Netzwerks für Populismusforschung.

Diehl: Diese Vorfälle werden häufiger und erreichen eine Breite der Gesellschaft.

Es gab schon einige Vorfälle mit dem Lied in Schleswig-Holstein, so etwa in Schenefeld und in Pahlen. Was genau passiert da auf der Tanzfläche?

Diehl: Ein Phänomen, das wir immer wieder feststellen, ist, dass die Grenzen zwischen dem, was aktives Mitmachen ist, und die Grenzen von dem, wo man nicht so genau weiß - bin ich jetzt schon dabei oder bin ich noch nicht, das ist nur Spaß - solche Grenzen sind fließend. Das heißt: Wir wissen nicht so genau, ab wann die Personen tatsächlich eine rechtsextreme Haltung übernehmen.

Haben die Personen, die so etwas spontan, möglicherweise angetrunken rufen, grundsätzlich eine ausländerfeindliche Einstellung? Haben Sie da Erfahrungswerte?

Diehl: Wenn man "Ausländer raus" schreit und teilweise auch den Hitlergruß macht, ist das schon eine Einstellung. Die Frage ist: Was ist mit den anderen, die ein bisschen die Parole mitgesungen haben oder nichts dagegen unternommen haben? Das ist auch ein Kreis von Personen, um die man sich Sorgen machen muss, weil sie das dann tolerieren.

Haben Sie eine Empfehlung, wie man sich dann auf der Tanzfläche verhalten sollte? Niemand möchte ja gleich eine Faust im Gesicht haben.

Diehl: Nein, natürlich nicht. Es hängt immer von dem Mehrheitsverhältnis ab. Wenn eine oder zwei aufstehen und was dagegenhalten, merkt man, dass es mehrere gibt, die sich ermutigt fühlen, was dagegen zu tun. Und das muss nicht physisch sein. Das soll es auch nicht, sondern es reicht einfach eine Aussprache. Und dann ist natürlich auch die Frage: Was machen die Organisatoren solch einer Veranstaltung, ob man das Lied nicht vorzeitig beenden kann?

Nun haben wir hier einen Fall in Kampen auf Sylt, wo die Schickimicki-Szene sich gerne selbst zur Schau stellt. Macht das einen Unterschied?

Diehl: Ich glaube, das macht in unserer Wahrnehmung einen Unterschied. Rechtsextreme Einstellungen und Ideologien sind weit verbreitet, durch die Gesellschaft durch. Aber für uns als Zuschauerinnen und Zuschauer dieses Spektakels ist es natürlich ein Schock, weil sich die meisten Personen wünschen, so wohlhabend zu sein. Diejenigen, die es sind, identifizieren sich auch mit dieser Schicht.

Glauben Sie, dass es vielleicht auch so hohe Wellen schlägt, weil wir hier Reichtum, Dekadenz, Geld, Neid und dieser Vorfall zusammen kommen? Führt das möglicherweise in mehrfachem Sinne zur Verachtung?

Diehl: Nein, nicht unbedingt. Rechtsextreme Einstellung ist schon seit den 80er-Jahren in den verschiedenen Ländern Europas mit der Forderung nach sozialer Gleichheit gemischt worden. Das ist zum Beispiel die Politik von Marine Le Pen. Man sieht, dass rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in der Lage waren, die Arbeiterschicht zu für sich zu gewinnen. Aber das bedeutet wiederum nicht, dass die anderen Schichten nicht angesprochen werden. Man kennt vom Nationalsozialismus, dass Ideologie und Einstellung die gesamte Gesellschaft erfasst hatten.

Nun haben wir hier eine relativ kleine Zahl von Menschen, die im Verdacht stehen. Der Veranstalter spricht von fünf Personen. Und es schlägt trotzdem hohe Wellen. Sogar Bundeskanzler Scholz hat sich geäußert. Wird dieser Sylter Fall zu hoch gehängt?

Diehl: Ich glaube nicht. Die Personen, die das gemacht haben, sind von ganz vielen anderen toleriert worden und das war in aller Öffentlichkeit. Und insofern würde ich sagen, dass es richtig ist, dass wir uns empören und Maßnahmen dagegen ergreifen.

Nun ist diese Kombination auf Sylt natürlich auch gut, um Aufmerksamkeit zu generieren. Wie bewerten Sie da die Rolle der Medien?

Diehl: Ich glaube, die Rolle der Medien ist sehr gut gespielt worden. Man versuchte eine kühle Analyse. Man muss sich aber fragen, was vorher passiert ist. PopulistInnen schaffen immer wieder, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, weil sie dann den Erwartungen der Medien zuspielen.

Wir haben schon gehört, dass möglicherweise einzelne Beteiligte ihren Job verloren haben. Es gibt auch eine strafrechtliche Aufarbeitung. Wie sollte die Gesellschaft antworten?

Diehl: Ich denke, das läuft im Moment ziemlich gut. Es gibt Aussagen von führenden Politikern in Schleswig-Holstein. Man hat eine Reaktion der Club-Betreiber bekommen, die sich bei den Ermittlungen kooperativ zeigen. Und man hat auch Reaktionen innerhalb der Zivilgesellschaft, wie man jetzt alltäglich damit umgeht. Und ich glaube, das kann einige, die unsicher sind, ein bisschen wecken, sodass man beim nächsten Mal ein bisschen besser reagiert.

Das Interview führte Peer-Axel Kroeske, NDR Schleswig-Holstein.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 25.05.2024 | 10:00 Uhr

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Rechtsextremismus

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