Serpil Midyatli zur neuen SPD-Fraktionschefin gewählt
Nach dem Rücktritt von Thomas Losse-Müller als SPD-Fraktionschef vergangene Woche ist der Posten neu besetzt worden: Serpil Midyatli ist künftig Parteichefin, Fraktionschefin im Landtag und Oppositionsführerin. Sie erhielt elf von zwölf möglichen Stimmen der Abgeordneten.
Betont locker gaben sich die Abgeordneten der Fraktion vor der entscheidenden Sitzung. Wenig oder keine Kommentare zur Personalfrage - es solle nicht der Eindruck entstehen, man kümmere sich mehr um sich selbst als um die politischen Themen. Dabei gab es hinter den Kulissen viel Gesprächsstoff und Diskussionsbedarf nach dem überraschenden Rückzug von Thomas Losse-Müller. Erst vor einer Woche hatte er angekündigt, sein Amt niederzulegen. "Stattdessen will ich in den Maschinenraum von Politik zurückkehren und strategisch arbeiten", sagte Losse-Müller. Er will im April auch sein Landtagsmandat aufgeben und als Geschäftsführer zur Stiftung Klimaneutralität wechseln.
Losse-Müller: Entscheidung fühlt sich absolut richtig an
Lächelnd, aber wortlos ging Midyatli in den Fraktionssitzungssaal. Der scheidende Fraktionschef Losse-Müller sagte auf die Frage, mit welchem Gefühl er in die Sitzung gehe: "Sehr zuversichtlich, es wird eine gute Diskussion, es ist ein gutes Team, wir hatten viele gute Vorgespräche." Seine Entscheidung zu gehen, fühle sich absolut richtig an, so Losse-Müller.
Nach gut einer Stunde stand dann das Abstimmungsergebnis fest: Zwölf Stimmen wurden abgegeben, elf Abgeordnete stimmten für Midyatli, es gab eine Enthaltung. Die 48-Jährige folgt auf Thomas Losse-Müller und ist damit Oppositionsführerin - diese Funktion genießt in der Landesverfassung eine besondere Stellung. Midyatli stellt künftig den Gegenpol zum Amt des Ministerpräsidenten. Zumindest für ein Jahr wird Midyatli ihr Amt bekleiden können, denn 2024 wird der Fraktionsvorstand regulär neu gewählt. "Ich freue mich sehr über das Ergebnis der Kolleginnen und Kollegen", sagte die SPD-Politikerin nach der Wahl.
"Schießen kann ich ganz gut"
Für die 48-Jährige kommt es nach eigener Aussage in den kommenden Monaten darauf an, die konzeptionelle Arbeit und die Vorschläge zum Thema sozial-gerechter Klimaschutz umzusetzen: "Da wird es an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein bisschen emotionaler sein, denn für mich ist immer wichtig, dass die Menschen in den Mittelpunkt der Politik gestellt werden." Die Fraktion habe in den vergangenen eineinhalb Jahren gute Arbeit geleistet und viel vorbereitet. Nun gehe es darum, die Elfer auch zu verwandeln, betont Midaytli. "Schießen kann ich ganz gut, das werde ich in den nächsten Wochen und Monaten auch zeigen."
Midyatli ist neue "alte" Fraktionschefin
Den Job als Fraktionschefin kennt die Parteivorsitzende in Schleswig-Holstein gut, hatte sie ihn doch bis kurz nach der Landtagswahl 2022 inne. Eigentlich hätte sie schon da gerne weitergemacht an der Spitze der Fraktion, wurde aber von Parteifreunden dazu gedrängt, zurückzuziehen und die Verantwortung für das Wahldebakel zu übernehmen. Die SPD hatte mit 16 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren und keinen Wahlkreis gewonnen.
Themen: Flüchtlinge, Familien- und Kita-Politik
Die Mutter zweier Söhne hat ihren eigenen Stil - sprüht vor Energie. Bereits mit 18 Jahren wurde die Tochter türkischer Migranten Restaurantleiterin in Kiel, organisierte Großveranstaltungen und hatte bereits da viel Verantwortung. "Kopp in den Sand", das sei nicht ihr Stil, sagte Midyatli einmal angesichts schlechter Umfragewerte ihrer Partei.
Seit 2009 gehört Serpil Midyatli dem schleswig-holsteinischen Parlament an, hat dort vor allem die Themen Flüchtlinge, Familien- und Kita-Politik oder die Lage auf dem Arbeitsmarkt beackert und leidenschaftlich und laut debattiert. Am Wochenende wurde sie in Berlin außerdem als stellvertretende Bundesvorsitzende mit 79,3 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.
Andere kamen nicht aus der Deckung
Für die Nachfolge von Thomas Losse-Müller waren mehrere Namen im Gespräch gewesen. Unter anderem der von Finanzpolitikerin Beate Raudies, die über langjährige Parlamentserfahrung verfügt und Landtagsvizepräsidentin ist oder der von Innenpolitiker Niclas Dürbrook, der allerdings erst seit eineinhalb Jahren im Parlament sitzt, aber schon jetzt großes Ansehen über die Fraktionsgrenzen hinweg genießt. Aber: Niemand von ihnen hat sich öffentlich aus der Deckung gewagt. Vielleicht auch, weil es als unklug erachtet wurde, gegen eine amtierende Landesvorsitzende den Hut in den Ring zu werfen.
Daniel Günther: "Wir kriegen das ordentlich miteinander hin"
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) beglückwünscht Midyatli und heißt sie als bekanntes Gesicht willkommen: "Ich hab sie ja auch schon als Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführerin erlebt. Wir arbeiten auch in den herausfordernden Zeiten vertrauensvoll mit der SPD zusammen, haben bereits vieles auch gemeinsam auf den Weg gebracht und ich will ihr anbieten, dass wir das genauso auch in Zukunft handhaben werden."
FDP sieht Opposition durch Midyatli gestärkt
Christopher Vogt, der Vorsitzende der FDP-Fraktion, gratuliert und freut sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit in der Opposition: "CDU und Grüne bilden im Landtag eine große Koalition, die vor allem durch Untätigkeit und fehlende politische Visionen auffällt, so dass eine schlagkräftige Opposition sehr wichtig ist. Ich gehe davon aus, dass wir auch weiterhin einen kollegialen Austausch mit den Sozialdemokraten pflegen werden."
Grüne freuen sich auf konstruktive Debatten
Auch Lasse Petersdotter, Fraktionsvorsitzende der Grünen, gratuliert: "Serpil ist eine sehr erfahrene Kollegin, das wird ihr in der herausgehobenen Rolle als Oppositionsführerin gewiss helfen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und auf die Debatten mit ihr in den kommenden Plenarsitzungen."