Proteste in Bad Segeberg: Förderzentrum soll geschlossen werden
Die Schule am Kastanienweg in Bad Segeberg ist das einzige Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung in Schleswig Holstein. Nun hat der Kreis die Auflösung der Schule beantragt. Dagegen formt sich Protest.
Es ist ein Morgen wie jeder andere auch an der Schule am Kastanienweg in Bad Segeberg. Die Schülerinnen und Schüler kommen zwischen 8:15 und 9 Uhr an, finden sich langsam in den Tag ein und bereiten sich auf den Unterricht vor. Und doch ist die Schule am Kastanienweg keine Schule wie jede andere. Sie ist das einzige Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung in Schleswig-Holstein. Die Schülerinnen und Schüler haben individuelle Geschichten: ADHS, Autismus-Spektrumsstörungen, Missbrauchserfahrungen während der Kindheit.
Sorge, in alte Verhaltensmuster zu fallen
Marian und Tjark sind Schülersprecher an der Schule am Kastanienweg. Seit dem Frühjahr beschäftigt sie dabei vor allem eine Sache: Sie wollen die Auflösung des Schulbetriebs zum Ende des aktuellen Schuljahres verhindern. Denn wenn sie in einer anderen Schule - sei es eine sogenannte Regelschule oder auch ein anderes Förderzentrum - unterrichtet werden, fürchten sie, in alte Verhaltensmuster zu fallen.
Marian ist seit drei Jahren an der Schule am Kastanienweg. An seiner alten Schule wurde er gemobbt, zog sich immer mehr zurück, kompensierte seinen Ärger mit Lügen und Ausrastern. Dadurch verlor er den Bezug zu seinen Eltern. Jetzt wohnt Marian in einem heilpädagogischen Kinderheim und besucht die Schule am Kastanienweg. Er fühlt sich dort sehr wohl: "Also wenn man mal Probleme hat, muss man sich einfach nur melden. Dann kommen die Lehrer schon zu dir und erklären dir halt diese Aufgabe."
Auflösung der öffentlichen Schule vom Kreis beantragt
Die Schule am Kastanienweg ist für Kinder und Jugendliche, die an sogenannten Regelschulen untergehen, sich nicht zurechtfinden und das System sprengen, erklärt Anne Rath, Lehrerin an der Schule am Kastanienweg: "Diese Kinder, diese Schüler sind an anderen Schulen nicht beschulbar. Für sie ist diese Schule hier oft die einzige, die letzte Möglichkeit, einen Schulabschluss zu machen." Aber geht es nach den Plänen des Kreises Segeberg, soll der Betrieb an der Schule am Kastanienweg eingestellt werden. Der Kreis nennt dafür zwei zentrale Gründe. Zum einen habe die Eigentümerin des Gebäudes - die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie - den Wunsch, den Standort anderweitig zu nutzen. Zum anderen sei die Art der Beschulung, also mit einem eigenständigen Förderzentrum dieser Art, nicht mehr zeitgemäß. Man präferiere stattdessen ein System einer möglichst lokal angebundenen und integrativen Beschulung. Nach eigenen Angaben hat der Kreis im Frühjahr die Auflösung der öffentlichen Schule am Kastanienweg beim Bildungsministerium beantragt. Wie und wo die Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrkräfte der Schule im nächsten Schuljahr zur Schule gehen bzw. arbeiten werden, sei Thema in Gesprächen zwischen Schulaufsicht, Kreis, Diakonie und Schulgemeinschaft, erklärt Alexander Kraft, Leiter der Abteilung Schulgestaltung und Schulaufsicht allgemein- und berufsbildende Schulen, Förderzentren, Qualitätssicherung beim Bildungsministerium Schleswig-Holstein.
Der Kreis erklärt, dass die meisten Schülerinnen und Schüler an einer Regelschule unterrichtet werden können. Für einen kleinen anderen Teil schlägt der Kreis vor, kleine Lerngruppen zu schaffen. Anne Rath kritisiert das: "Die anderen Schüler, die diese Symptomatiken dann zu spüren bekommen, würden sehr schnell mit Ablehnung reagieren. Das führt bei den anderen Kindern zu Überforderung, es würde zu Auseinandersetzungen kommen."
Ehemaliger Schüler: "Diese Schule ist alternativlos!"
Xaver Korhout war zwischen 1983 und 1989 selbst auf der Schule am Kastanienweg. Er sagt, dass die Kinder und Jugendlichen, die die Schule besuchen, auf den geschützten Bereich dort angewiesen sind: "Ohne diese Lehrkräfte mit dieser speziellen pädagogischen Ausbildung wäre ich nicht das, was ich heute bin. Ich habe Kinder, ich habe ein Haus, ich verdiene sehr gutes Geld. Ich wäre selbstständig sicherlich so nicht lebensfähig gewesen. Wir brauchen diese Schule. Diese Schule ist alternativlos!"
Marc Seemann ist der Vater von Schülersprecher Tjark. Sechs Schulen und Beschulungsarten hat sein Sohn vor der Schule am Kastanienweg durchlaufen. Aber weder in Regel-Grundschulen, noch im Hausunterricht oder bei Schultrainings, war Tjark richtig aufgehoben, sagt Seemann: "Diese Kinder haben alle einen Weg, den sie schon beschritten haben. Sie sind hier, weil sie hier das bekommen, was sie brauchen. Und genau so geht es den Eltern auch." Er befürchtet, dass sein Sohn ohne die Schule am Kastanienweg keinen Schulabschluss erlangt und nicht selbstständig wird.
Verband Sonderpädagogik kritisiert geplante Schließung
Auch für die Bundesvorsitzende des Verbands Sonderpädagogik, Angela Ehlers, wäre eine Schließung der Schule am Kastanienweg in Bad Segeberg nicht der richtige Weg. Mit einer Auflösung der Schule würde eine Landeplatz für Kinder und Jugendliche mit sehr herausfordernden Verhaltensweisen wegfallen. Sollten die Schülerinnen und Schüler auf Regelschulen wechseln müssen, so geht Ehlers davon aus, dass es zu einer Separation kommen wird. Man solle nicht bei den Kindern und Jugendlichen mit Inklusion ansetzen, die besonders herausfordernd seien, erklärt die Verbandschefin. Eine Auflösung der Schule am Kastanienweg bewertet sie als das Gegenteil von dem, was gut ist.
Wie es für die Schule am Kastanienweg im kommenden Schuljahr weitergeht, ist bisher noch unklar. Alexander Kraft vom Bildungsministerium erklärt gegenüber NDR Schleswig-Holstein: "Die Entscheidung wird durch die Schulaufsicht getroffen. Die prüft: Gibt es ein öffentliches Interesse an dem Betrieb dieser Schule und beide setzen sich dann zusammen und beraten gemeinsam die Lage. Die letzte Verantwortung für die Entscheidung liegt bei der Schulaufsicht im Ministerium."